Die Frage, warum jemand in der Kirche bleibt, stellt sich wohl für die meisten von uns Leserinnen und Leser der «Schweizerischen Kirchenzeitung» nicht. Viele von uns sind voll engagiert in der Kirche, wir interessieren uns, was in der Kirche Schweiz läuft, vielleicht auch in der Kirche weltweit. Wir sind überzeugt und wir wollen informiert sein.
Manchmal versuche ich mich jedoch einzufühlen in ganz gewöhnliche Kirchenmitglieder, auf Französisch würde man sagen «des fidèles lambda». Schliesslich kennen wir in unserem Umfeld immer auch Leute, die keinen besonderen Bezug zur Kirche haben, vielleicht sogar nicht mehr gläubig sind. Da stellt sich doch wahrscheinlich gerade diese Frage für einige. Denn zugegeben, wenn man sich ein wenig «draussen» umhört, dann braucht sich derjenige, der aus der Kirche austritt, meist kaum zu rechtfertigen, ja er erntet vielleicht sogar Verständnis. Man kann sich ja denken, wieso er austritt, Gründe gibt es deren genug: Missbrauch, Geschlechterungleichstellung, archaisches System etc., und gleichzeitig kann er auch noch Steuern sparen (zumindest in Kantonen mit dualem System).
Auf der anderen Seite gibt es kaum Kircheneintritte. Doch, es gibt sie doch noch, die Taufen von kleinen Kindern, aber laut neuesten Kirchenstatistiken nehmen auch diese massiv ab, nur noch etwa ein Drittel aller Kinder von katholischen Eltern werden heute als Kleinkinder getauft. Werden sich diese später, «wenn sie dann selbst entscheiden können», taufen lassen? Und werden sich Menschen, die zum diesbezüglich am meisten wachsenden Teil der Bevölkerung zählen, nämlich zu denen ohne Religionszugehörigkeit, eines Tages darum bemühen, der Kirche beizutreten? Es ist zu befürchten, dass nur ein verschwindend kleiner Teil diesen Schritt machen wird. Und was ist nun mit den Leuten, die in der Kirche bleiben? Sind das Leute, die sich diesbezüglich einfach keine Gedanken machen? Die gar nicht realisieren, dass sie eigentlich noch dazugehören? Die vielleicht zu bequem sind, um die nötigen Schritte einzuleiten, oder nur bleiben, um ihre Eltern nicht zu verletzen? Oder bleiben sie tatsächlich aus Überzeugung?
So stellt sich die Gegenfrage an uns, an uns mehr oder weniger «Kirchen-Profis»: Was unternehmen wir, damit letztere Gruppe weiterhin in der Kirche bleibt? Wie sprechen wir sie an? Was bieten wir ihnen? Haben wir selbst Vorbildcharakter für diese Menschen? Leben wir selber, was wir predigen? Bieten wir ihnen Unterstützung, damit ihr Leben lebenswert ist und bleibt? Lassen wir ihnen etwas vom Reich Gottes aufscheinen, hier auf Erden, wir als Mitglieder und Mitverantwortliche in dieser unserer Kirche?
Vielleicht sollten wir immer wieder, nicht nur jetzt gerade im synodalen Prozess, diese Menschen fragen, die trotz allem in der Kirche geblieben sind, warum sie weiterhin dazugehören und dazugehören wollen. Vielleicht entstünde daraus eine grössere Motivation für uns? Und vielleicht liesse sich auf diese Weise unsere Kirche von innen her verändern.
Marianne Pohl-Henzen