Schweizer Katholizismus zwischen 1871 und 1914

Goldenes Jubiläum des katholischen Gesellenvereins Zürich 1863/1913 – Einzug mit Fahnenträgern in voller Kirche. (Bild: Gretlers Panoptikum zur Sozialgeschichte, Schweizerisches Sozialarchiv, Urheber unbekannt)

 

Im Zeitraum von 1870 bis 1914 kommt der Katholizismus durch die Nachwehen der europäischen liberalen Revolutionen von 1848 und die Bildung von neuen Nationalstaaten (vor allem das Königreich Italien und das Deutsche Kaiserreich) arg in Bedrängnis. Besonders die Kurie versuchte in der Folge den papalistischen Geist zu stärken. Papst Pius IX. (Pontifikat 1846–1878) forderte in diesem Sinne mit der Erklärung des Unfehlbarkeitsdogmas auf dem Ersten Vatikanischen Konzil 1869–1870 die Abgrenzung gegen aussen und hierarchische Disziplinierung im Innern. Dieser Positionsbezug führte zwar vorerst zu einem Aufschwung der katholischen Bewegung in ganz Europa, dann aber bald in eine Sackgasse. Auch folgte dieser zunehmenden Abschottung der «Kulturkampf» im deutschsprachigen Raum, ein eigentliches Zerwürfnis des gesellschaftlichen Gefüges in Europa. Die katholische Kirche geriet in eine tiefe Modernismuskrise, begleitet von einer teilweise radikalen Absage an das wissenschaftliche Weltbild. Der «Ultramontanismus» wurde mit dem langen Pontifikat von Pius IX. Leitideologie und erst mit dem nächsten Papst, Leo XIII. (Pontifikat 1878–1903), etwas gemildert.

In der Schweiz zeigte sich die politisch-religiöse Lage ambivalent. Einerseits verschärfte man im Zeichen des Kulturkampfes in der totalrevidierten Bundesverfassung von 1874 den «Jesuitenartikel», andererseits wurde mit der Einführung des fakultativen Referendums die Demokratie gestärkt. Diese bewies damit ihre integrative Kraft, auch und gerade bezüglich der Katholisch-Konservativen. Die Schweiz schlug so in Europa einen Sonderweg ein, als neutraler Staat nachfolgend auch im Ersten Weltkrieg.

Leo XIII., auch «Friedens»- oder «Arbeiterpapst» genannt, förderte intensiv die Bildung von religiösen Vereinen (besonders Frauenvereinen). Mit der ersten Sozialenzyklika «Rerum Novarum» von 1891 entwickelte er auf dem Boden des Naturrechts die katholische Soziallehre weiter und gab eine sinnvolle Antwort auf die soziale Frage der Industrialisierung. Diese Positionierung unterstützte unter anderem die Gründung der katholischen Arbeiterbewegung. In der ganzen Schweiz hatten sich christliche Arbeitervereine gebildet, die als Selbsthilfegruppen schliesslich eigene Gewerkschaften und Parteien gründeten, auch als Antwort auf die sozialistischen Ideen der Zeit.
Eine der bedeutendsten Tatsachen der Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts ist die Erweiterung ihres Tätigkeitsgebietes über die ganze Erde. Die Mission des 19. Jahrhunderts stand mit der imperialistischen Ausdehnung der führenden politischen Mächte in engstem Zusammenhang, wobei Mission und kolonisatorische Unternehmen sich gegenseitig förderten.

Papst Pius X. (Pontifikat 1903–1914) nahm dann das Narrativ des «Antimodernismus» wieder auf und verschärfte abermals die Tonlage und damit die Abgrenzung. Katholiken und Protestanten vermochten aufgrund dieser Schwächung dem aufziehenden Sturm des Ersten Weltkrieges nichts entgegenzusetzen.René Roca*

René Roca*

 

* Dr. phil. René Roca (Jg. 1961) studierte an der Universität Zürich Allgemeine Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er promovierte mit einer Arbeit zu «Bernhard Meyer und der liberale Katholizismus der Sonderbundszeit. Religion und Politik in Luzern (1830–1848)». Er ist  Gymnasiallehrer in Basel und leitet das Forschungsinstitut direkte Demokratie (www.fidd.ch). Er publiziert regelmässig zu den Themen direkte Demokratie, Genossenschaftsprinzip und Naturrecht.

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Editorial

Das verflixte siebte Jahr...

... habe ich soeben vollendet und stehe an der Startlinie zum achten meiner Tätigkeit bei der SKZ. Für die meisten von uns ist das noch keine so lange Zeit, als dass es dafür Orden, Pauken und Trompeten geben könnte. Wenn ich respektvoll auf die Dienstjahre von den Klerikern im Personenregister blicke, die 70 und mehr Jahre im Dienst der Kirche wirken, dann bin ich ein kleines Glühwürmchen, ein verglimmender Funke in der Nacht. Und doch fühle ich mich nicht minder gesegnet, im grossen Räderwerk der Kirche als kleines Zahnrad mitbeteiligt sein zu dürfen:

Weil die vielen verschiedenen Themen, die wir in der SKZ bis anhin behandelten, jedes Mal ein Fundus an Neuem sind und zum privaten Weiterforschen animieren.

Weil Theologie immer auch Philosophie ist und die grossen Fragen des Lebens nicht verdrängt, sondern aktiv angeht, Trost und Halt, Freude und Hoffnung gibt.

Weil das Wissen, das wir mit all den Autorinnen und Autoren und allen Verantwortlichen der SKZ auf Papier versammeln, nicht nur beachtlich, sondern einzigartig ist und weiterwächst.

Weil ich an den christlichen Werten, die in einer digital-viralen Welt zusehends mit Füssen getreten werden, festhalte und mithelfen möchte, sie hochzuhalten.

Nicht zuletzt durchwirkt der christliche Glaube unser aller Leben wie ein feines, pulsierendes Adergeflecht, angetrieben von einem unermüdlichen Herzen. Meine Welt wäre leer ohne Glaube. Und ohne SKZ.

Brigitte Burri