100 Jahre Schweizerische St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche

Bild: Anne Bürgisser. Installation Blablabor von Annette Schmucki und Reto Friedmann. Radio 1–7, Kartause Ittingen 2019.

 

Institutionen kommen und gehen. Nicht jede hat die Bestimmung, Epochen zu überdauern. Die 1924 gegründete Societas Sancti Lucae (SSL) schon. Warum? Eine erste Antwort ist so naheliegend wie banal: die zur Versammlung der Gläubigen erforderliche Infrastruktur stellt eine fortwährende Gestaltungsaufgabe dar. Dass es um mehr geht und wir dankbar sein dürfen, die SSL zu haben, will ich in einem Dreischritt kurz andeuten.

Patina

Als Gründungsimpuls der SSL kann der Drang nach Überwindung des Historismus angegeben werden. Diesen Historismus illustriert der fleissige und fromme Stanser Maler Melchior Paul von Deschwanden (1811-1881) ausgezeichnet, dessen hunderte (!) Altarbilder viele unserer Kirchen zieren – gar der reformierten! Seine Rechtfertigung, er male «für fromme Gemüter und nicht für Kritiker»,  steht emblematisch für das Ghetto, in das sich die Kirche damals hineinmanövriert hatte. 

Mit der vom Zürcher Cabaret Voltaire ab 1916 für bildende Kunst ausgehenden Protestbewegung Dada einerseits und der 1919 gegründete Kunstschule Bauhaus in Weimar für eine neue Auffassung von Architektur und Design anderseits wurden nach dem Trauma des Ersten Weltkrieges enorme kreative Kräfte freigesetzt, die zur Revolutionierung des Kunstverständnisses insgesamt führten. 

In diesem Kontext wurde am 5. Dezember 1924 in Olten die Societas Sancti Lucae gegründet. Der zunächst rein katholische Verein suchte durch Zusammenarbeit Gleichgesinnter «zur Hebung des künstlerischen Empfindens im Volke» beizutragen, und dies mittels Ausstellungen, Wettbewerbe, religiöse Tagungen und «durch die Bekämpfung unkünstlerischer Fabrikware in Kirche und Haus» (Gründungsstatut). 

Wenngleich Gründungsmotivation und Name heute etwas fremdeln mögen, bilden sie doch historisch verortbare und inspirierende Referenzpunkte für die fortdauernde Grundspannung zwischen Kunst und Kirche. 

Potenzial 

Das historische Erbe des Tandems Kunst und Kirche ist enorm. Gerade weil sie immer wieder sehr kontrovers verlaufen ist, hat sie das westliche Denken mitgeprägt und in mehreren Disziplinen das Reflexionsniveau nachhaltig gehoben. Nicht erst mit dem reformatorischen Bilderstreit, bereits der Ikonoklasmus von Byzanz stellte grundsätzliche und also je neu inspirierende Fragen nach dem Umgang mit der Darstellungsweise des nicht Darstellbaren.

Wenngleich die klassischen Aufgaben von Kirchenbau und (-Neu-)-Ausstattung selten geworden sind, besteht mit der SSL seit 100 Jahren – und seit den 1970er Jahren selbstverständlich ökumenisch – ein offener Austausch auf Augenhöhe zwischen Interessierten der Bereiche Theologie, Kunstgeschichte, Architektur und bildender Kunst. 

Ein grosses und sehr wertvolles Potential der SSL sehe ich ob ihrer interdisziplinären und ökumenischen Fachkompetenz gerade darin, im derzeit aufkommenden Bildersturm zu helfen, richtungsweisende Impulse zu geben. Denn im explosiven Wachstum der entgrenzten und quasi rechtsfreien digitalen Bilderflut zeichnet sich eine gewisse Sättigung ab, die schon jetzt von Ruf nach Regulation bis zu kategorischer Verweigerung reicht. Der rasant wachsende Bereich der sogenannten künstlichen Intelligenz stellt die Wahrheitsfrage in qualitativ noch nie dagewesener Weise in alle Schichten der Gesellschaft hinein. Wir haben gelernt, dass globale Phänomene lokal adressiert und kultiviert werden müssen. Hierfür ist die SSL prädestiniert.

Prognose 

Ein sorgfältiges, nüchternes Nachdenken über Sinnlichkeit und alles Wahrnehmbare ist angesichts dieser «demokratisierten» Ästhetisierung unseres Alltags geboten. Und viele werden mehr und mehr nach weniger suchen: sowohl auf künstlerischer wie auf theologisch-spiritueller Seite in der Reduktion neue Wege gehen oder alte asketische Impulse wieder aufgreifen.

In Anlehnung an Walter M. Förderer (1928-2006) – Bildhauer, Kirchenbauer, Autor und prominentes SSL-Mitglied –, der «Gebilde von hoher Zwecklosigkeit» zu schaffen strebte, sehe ich eine wichtige Aufgabe der SSL als einer Institution der Begegnung künftig vor allem darin, ein Safe Space für Menschen zu sein, die nach Wesentlichem, Echtem, Belastbarem und in allem nach zweckfreiem Sein im menschlichen Zusammenleben suchen und diesen Erfahrungen Ausdruck verleihen wollen.

In der dialektischen Beziehung der beiden Universen Kunst und Kirche liegt mehr als genug konstruktive Spannung für weitere 100 Jahre. 

Peter Spichtig

 

* Peter Spichtig OP (Jg. 1968) stammt aus Sachseln OW. Er studierte in Freiburg i. Ü. und Berkeley (USA). Er ist Seelsorger in der Pfarrei Dreikönigen in Zürich und Mitarbeiter am Liturgischen Institut.

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Editorial

Heitere Sommertage

Wenn ich Mascha Kalékos Gedicht «Sozusagen grundlos vergnügt» lese, sehe ich das Bild eines heiteren Sommertages vor mir. «Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen», so eröffnet sie ihr Gedicht. In dieser Leichtigkeit geht es im Gedicht weiter, gewürzt mit einer Brise Humor. Wenn Kaléko sich freut am Flöten der Amseln, am Summen der Bienen und am Stechen der Mücken. Sie freut sich an den roten Luftballons, die in den Himmel steigen und am Wechsel der Jahreszeiten. In der Freude sieht sie «des Lebens Sinn». Sie freut sich vor allem, dass sie ist. Das wirkt sich auf ihr Innenleben aus: «In mir ist alles aufgeräumt und heiter: Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt. An solchem Tag erklettert man die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt.» Ich freue mich auf heitere Sommertage. Das Büro ist aufgeräumt, die To-do-Liste klein. Ich ziehe auf Schusters Rappen durchs Land, erkunde neue Gegenden und entdecke einsame Wege und lauschige Plätze. Ich geniesse die Stille des Waldes, den Duft der Föhren, die Farben der Blumen und die Frische des Baches. Manches Mal steht am Wegrand eine Kapelle oder Kirche, deren Fresken und Geschichte mich beeindrucken. Reich beschenkt kehre ich zurück und hoffe mit Mascha Kaléko, «dass ich mich an das Schöne / Und das Wunder niemals ganz gewöhne. Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu! / Ich freue mich, dass ich … Dass ich mich freu.» Liebe Leserin, lieber Leser, ich wünsche Ihnen heitere Sommertage!

Maria Hässig