800 Jahre Thomas von Aquin (1225–1274)

Thomas von Aquin im Porträt von Sandro Botticelli (1445–1510); Datum unbekannt. (Bild: WikiCommons)

 

Beginnt ein Bruder aus dem Dominikanerorden einen Aufsatz über den heiligen Thomas von Aquin mit «ein Heiliger für unsere Zeit?», so könnte der aufmerksame Leser etwas misstrauisch werden. Schliesslich sind die Predigerbrüder dafür bekannt, dass sie ihren berühmtesten Philosophen und Theologen während eines Grossteils ihrer langen Geschichte gefördert haben, manchmal mit etwas übertriebenem Eifer. Ich betrachte folgend drei Hauptmerkmale oder Eigenheiten des Denkens des italienischen Dominikaners aus dem dreizehnten Jahrhundert mit dem Spitznamen «Der stumme Ochse», die unsere eigenen schöpferischen Überlegungen zum christlichen Leben und zur Spiritualität anregen könnten.

Erstens hat sich Thomas von seiner Jugendzeit als Student an der Universität Neapel bis zu seinem Tod mit grosser Neugier in die Werke der alten heidnischen und der damals zeitgenössischen muslimischen und jüdischen Philosophen vertieft. Seine berühmte Theologie der göttlichen Eigenschaften, die Tugendethik oder die Lehre von der Transsubstantiation wären ohne die Anwendung der philosophischen Werkzeuge, die er in den Schriften des Aristoteles, der antiken platonischen Denker oder der mittelalterlichen nichtchristlichen Gelehrten fand, nie entstanden. Thomas stammte aus einer süditalienischen Region, die schon Jahrhunderte zuvor ein kultureller Knotenpunkt war. Sein Vertrauen in die Fähigkeit des christlichen Denkens, mit dem «Anderen» zu sprechen und sich dessen Ansichten teilweise anzueignen, entsprang zum einen seiner Theologie der Güte der Schöpfung (und damit der Macht der menschlichen Vernunft) und zum anderen seinen festen metaphysischen Überzeugungen, die es ihm ermöglichten, zwischen Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden, wobei er stets nach den Funken der Wahrheit suchte, die immer auch anderswo zu finden sind. Thomas deutet damit an, dass ein gesunder humanisierender und vollständig christlicher Multikulturalismus gedeihen kann, wenn er in der festen Überzeugung von der Wahrheit der Menschenwürde und der Kraft der Vernunft als Geschenk des Schöpfers verwurzelt ist.

Zweitens entwickelte Thomas von Aquin eine christliche Ethik, welche die Tugenden in den Mittelpunkt stellt, und zwar sowohl die Kardinaltugenden, die er bei Aristoteles fand (Gerechtigkeit, Klugheit, Mässigung und Tapferkeit), als auch die theologischen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Thomas bietet keine gebotszentrierte moralische Gesamtsicht, in der ständiger (sogar unreflektierter) Gehorsam gegenüber einer legitimen Autorität der Schlüssel zu geistigem Wachstum ist. Vielmehr bestand er darauf, dass der Weg des ethischen Fortschreitens die natürliche Erfüllung des menschlichen Wesens mit sich bringt, dass er der Zeitlichkeit des Menschen und seiner einzigartigen Stellung in der Gemeinschaft entspricht und dass ein solcher Fortschritt die menschliche Person zum echten Glück führt. Die Tugendethik des Thomas impliziert eine Verkündigung und Katechese, die selbst nicht moralisierend ist, sondern das Evangelium in seiner ganzen Schönheit darzustellen sucht und darauf vertraut, dass diese Wahrheit die tiefsten Neigungen des menschlichen Geistes und Herzens anspricht. Die Schriften von Servais Pinckaers und ähnlicher Autoren bieten einen hervorragenden Einstieg in die Ethik des heiligen Thomas.

Drittens war der Aquinate nicht nur ein abstrakter Geist, der sich gerne mit metaphysischen Betrachtungen abgab, die nur wenigen zugänglich sind, sondern auch ein Prediger und Lehrer der Heiligen Schrift. Unter seinen letzten Werken finden sich Predigten, die er in Neapel vor grossen Menschenmengen über grundlegende christliche Gebete gehalten hat, sowie Bibelkommentare, die reichhaltige und bewegende Meditationen über die Heilstaten Christi bieten, und zwar in einer Sprache, die oft auch für Nichtfachleute zugänglich ist. Eines der Hauptthemen der neueren historischen Studien zu Thomas von Aquin – etwa von Autoren wie Jean-Pierre Torrell – ist seine Darstellung der Geheimnisse des Lebens Christi.

In den letzten Jahrzehnten hat es eine vielleicht überraschende Erneuerung des philosophischen und theologischen Interesses an Thomas von Aquin gegeben, insbesondere unter jungen Wissenschaftlern in der französisch- und englischsprachigen Welt. In diesem Licht gesehen scheint die beste christliche Theologie eine zu sein, die einem biblischen Sprichwort folgt: «Nova et vetera» – wir brauchen beides: das Neue und das Alte.

Bernhard Blankenhorn OP*

 

* P. Bernhard Blankenhorn OP ist ordentlicher Professor für dogmatische Theologie an der Universität Freiburg i. Ü.

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Editorial

Saturnalische Vorsätze

Das neue Jahr ist zwar bei Erscheinen dieser Ausgabe der SKZ schon über zwei Wochen alt, und vielleicht haben Sie, liebe Leserin und lieber Leser, Ihre guten Vorsätze bereits wieder vergessen oder sind tatsächlich diszipliniert bei deren Umsetzung. Mich interessierte, woher dieser Brauch von den guten Vorsätzen (womit sich alle mehr oder weniger quälen) herstammt. Und siehe da, der schlauste Kuchen der Welt (der Google-Hopf) bringt es zutage: Die Neujahrswünsche haben ihren Ursprung in den römischen Saturnalien, einer Festtagszeit, die dem Gott Saturn gewidmet war. Zu dieser Zeit wurden Geschenke ausgetauscht und es herrschte allgemeine Freude und Fröhlichkeit. Auch in anderen Kulturen und Religionen gibt es ähnliche Traditionen. So wünscht man sich im christlichen Raum zum Beispiel «Frohes neues Jahr» oder «Alles Gute zum neuen Jahr». Auch wenn die Neujahrswünsche manchmal etwas oberflächlich erscheinen, sind sie doch eine schöne Geste, mit der wir unseren Mitmenschen unsere Wertschätzung und Zuneigung zeigen. Und uns damit selber eine kleine Aufgabe erteilen, die unser befristetes Weilen hier auf Erden gerade im Zwischenmenschlichen sinngebend bereichert. In Graubünden ist es Tradition, mit Birnbrot und einem Gläsli Röteli auf das neue Jahr anzustossen. Ein alter Brauch, den ich nicht nur lebendig halten möchte (Vorsatz), sondern der mir auch jährlich erneut zu grosser Freude gereicht.

Brigitte Burri