Synodalität: «Panorthodoxe» und «pankatholische» Tagung

Jüngst wurde an der Universität Fribourg am «Institut für Ökumenische Studien» das «Zentrum für das Studium der Ostkirchen» gegründet. Im Vorfeld fand vom 16. bis 18. November 2017 eine Tagung statt zum Thema «Synodalität und ihre praktische Umsetzung – ein theologischer Topos für die Kirche in Ost und West».1

Das Institut für Ökumenische Studien engagiert sich seit Jahren in der Zusammenarbeit mit den Kirchen des Ostens. Zusammen mit der Schweizer Bischofskonferenz lud es am 12. Februar 2017 zur Feier des ersten Jahrestages der Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kirill von Moskau ein, mit Kardinal Kurt Koch und Metropolit Hilarion als Referenten. Am 24. April folgte der Besuch des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus aus Anlass der 20-jährigen Zusammenarbeit zwischen dem Institut für höhere Studien in orthodoxer Theologie in Chambésy und der Theologischen Fakultät Fribourg.

Bisher wenig bekannte synodale Praxis der Ostkirchen

Auf diesem Hintergrund beschlossen das Institut für Ökumenische Studien und die Theologische Fakultät die Gründung eines «Zentrums für das Studium der Ostkirchen» am Institut für Ökumenische Kirchen. Der Gründungsakt fand am 6. Dezember statt, dem Fest des heiligen Nikolaus von Myra, der zugleich Patron der Stadt Fribourg ist. Die Arbeit des Zentrums hatte längst begonnen und fand Ausdruck in einer internationalen Tagung vom 16. bis 18. November zum Thema «Synodalität und ihre praktische Umsetzung – ein theologischer Topos für die Kirche in Ost und West».2 Die Idee zur Tagung war aus der Arbeit der «Gemeinsamen Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche» hervorgegangen: Diese verabschiedete im September 2016 ein Dokument zum Thema «Synodalität und Primat im ersten Jahrtausend. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis im Dienst an der Einheit der Kirche». Im Rahmen der offiziellen Gespräche steht häufig die Suche nach einem gemeinsamen Primatsverständnis im Vordergrund. Wenig bekannt ist dagegen die konkrete synodale Praxis der Ostkirchen. So kam es zu der Entscheidung, in akademischer Perspektive und zugleich als Unterstützung der Arbeit der internationalen theologischen Gesprächskommission, eine Tagung zur Synodalität zu veranstalten. Bewusst wurden für den katholischen Zugang Referenten aus dem Bereich des lateinischen Kirchenrechts (CIC 1983) wie auch aus dem Bereich der katholischen Ostkirchen (CCEO 1990) eingeladen. Von den 14 eingeladenen autokephalen orthodoxen Kirchen sagten 13 ihre Teilnahme zu. Es fehlte nur die Kirche der Tschechischen Länder und der Slowakei. Hinzu kam als Vertreter der Altorientalischen Kirchen Mor Polycarpus Aydin, Metropolit der Syrischen Orthodoxen Kirche in den Niederlanden. Als protestantischer Beobachter wirkte Prof. Pierre Gisel mit. Er vertrat zugleich zusammen mit P. Hervé Legrand OP die «Académie internationale des sciences religieuses», in der sich bereits der verstorbene Metropolit Damaskinos Papandreou von Chambésy engagiert hatte.

Ökumenische Zusammenarbeit

Fribourg bot sich als Veranstaltungsort an, weil hier zwei Mitglieder der Internationalen orthodox-katholischen Gesprächskommission regelmässig in der Ausbildung der orthodoxen Stipendiaten von Chambésy zusammenarbeiten: der orthodoxe Ko- Präsident der Kommission, Erzbischof Job Getcha, Professor am Institut für Chambésy, und Barbara Hallensleben als Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Fribourger Fakultät, Mitglied im Institut für Ökumenische Studien und Direktorin des Zentrums für das Studium der Ostkirchen. Zugleich wurde die Konzeption der Tagung geprägt durch die Kompetenzen von Astrid Kaptijn, Professorin für Kirchenrecht in Fribourg mit Forschungsschwerpunkt im Bereich des Rechts der katholischen Ostkirchen und derzeit Vizerektorin der Universität.

Der Arbeitsweise nach versuchte die Tagung, bewusst von der Praxis der Synodalität auszugehen und die theologischen Strukturen aus dem konkreten kirchlichen Leben zu erheben. Einige Referenten zeigten sich dankbar, dass sie selbst erst durch diese Fragestellung den Reichtum der synodalen Strukturen ihrer Kirche entdecken konnten. Aufbau und Ablauf der Tagung wurden durch ein Komitee vorbereitet.3 Beteiligt waren auch einige orthodoxe Doktorierende der Theologischen Fakultät Fribourg.4 Der Vorbereitung diente auch ein Fragebogen, der die Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Dimensionen des Themas lenkte: Die historische Entwicklung der Synodalität / Die Anwendung der Reglemente im kirchlichen Leben, vor allem im Hinblick auf die Wege zur Entscheidung und deren Umsetzung / Die Repräsentation des kirchlichen Lebens in der Synode – durch Bischöfe allein oder auch durch Laien? / Die Verantwortung des Protos (Vorsitzenden) in der konkreten synodalen Arbeit / Gängige theologische Interpretationen und offizielle kirchenrechtliche Dokumente im jeweiligen Kontext / Einflüsse durch das Verhältnis zwischen Kirche und Staat / Das Verhältnis zwischen der lokalen synodalen Praxis (Diözese, Region und Autokephale Kirche) und der universalkirchlichen Ebene, wie sie etwa durch die panorthodoxe Synode von Kreta im Juni 2016 zum Ausdruck gekommen ist.

Synodales Handeln auch in westlicher Tradition

Die Tagung eröffnete Metropolit Jeremias vom Orthodoxen Zentrum in Chambésy. Neben seinem Grusswort trug er einen Brief des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus vor, der seine Freude über die Initiative zum Ausdruck brachte. Erstaunlich reichhaltig waren die «katholischen» Beiträge am ersten Tag, die deutlich zeigten, dass auch die westliche Tradition reichhaltige Formen synodalen Handelns kennt, auch wenn sie nicht immer im vollen Ausmass praktiziert werden. Thematisiert wurden Grundfragen der Synodalität in katholischer Perspektive (Péter Szabò, Budapest), die Bischofssynode und das Konzil (Pablo Gefaell, Rom) / Die Diözesansynoden, die Pfarrei- und die Patriarchalversammlungen (Eric Besson, Lyon) / Die Bischofskonferenzen und die Partikularkonzilien (Patrick Valdrini, Rom).

In der Perspektive der katholischen Ostkirchen wurde zusätzlich referiert über die Synode im Ostkirchenrecht (Mons. Dimitrios Salachas); den Rat der Hierarchen der Metropolitankirche eigenen Rechts (Michael Kuchera SJ, Rom); die Versammlung der Hierarchen verschiedener Kirchen eigenen Rechts (Bischof George Madathikandathil, Kerala/ Indien).

Den Auftakt zur Synodalität in den autokephalen orthodoxen Kirchen machte Nathan Hoppe, der die Albanische Orthodoxe Kirche im Licht ihrer «Auferstehung» nach der völligen Auslöschung unter dem kommunistischen Regime darstellte. Es folgten Präsentationen über das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel (Dimitrios Nikolakakis), die Patriarchate von Alexandrien (Grigoris Liantas), Antiochien (George Ghandour), Jerusalem (Spyridon Tsitsigkos), die Kirche von Zypern (Metropolit Vasilios Karayiannis). Das Moskauer Patriarchat war durch den jungen Bischof Irenei Steenberg aus Sacramento (USA) vertreten, der zur «Russischen Orthodoxen Auslandskirche» gehört und auf diese Weise besonders gut die «Multi-Synodalität» innerhalb der Russischen Orthodoxen Kirche darstellen konnte. Ergänzt wurde sein Referat durch eine Darstellung der Besonderheiten der Moskauer Kirche in der Ukraine und Belarus (Sergij Bortnyk). Es folgten Beiträge über die Orthodoxen Kirchen von Georgien (P. Levan Mateshvili, vertreten durch Saba Kevlishvili), Serbien (Zdravko Jovanovic), Bulgarien (Ivan Dimitrov), Rumänien (Patriciu Vlaicu), Griechenland (Metropolit Gabriel Papanikolaou) und Polen (Andrzey Kuzma). Die «Orthodox Church in America», die nicht am internationalen orthodox-katholischen Dialog teilnimmt, weil ihre Autokephalie nicht von allen orthodoxen Schwesterkirchen anerkannt ist, wurde durch Will Cohen präsentiert. Prof. Vlassios Phidas, Direktor des Instituts in Chambésy, stellte die Situation der Diaspora in der Wechselwirkung zwischen theologischen Entwicklungen und kanonischen Fragen dar.

Atmosphäre aufmerksamen Zuhörens

Die Vielfalt der Ausdrucksformen synodaler kirchlicher Praxis und die dadurch ausgelösten Fragen erstaunten selbst die eingeladenen Experten.5

Ihre anregenden Fragen waren von Sympathie und gemeinsamer Verantwortung getragen: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Synode und einem Konzil, z. B. im Hinblick auf die panorthodoxe Synode von Kreta? Gründet die synodale Praxis im Weihesakrament der Hierarchie oder im gemeinsamen Charisma der Taufe? Was bedeutet es, wenn der Synode in der lateinischen Kirche ein beratender Charakter zugeschrieben wird, während sie in orthodoxer Tradition Entscheidungsvollmacht hat? Wie kann die Arbeit der Synode so gedacht werden, dass sie die Verantwortung des Vorsitzenden (Protos) nicht einschränkt, sondern seine Rolle als Garant und Repräsentant der Einheit zur Geltung bringt? In welchem Verhältnis stehen synodale Prozesse der Entscheidungsfindung zu heutigen politischen Prozessen, die nicht selten auf formale Mehrheiten reduziert sind?

In der Auswertung wurde die Grundfrage leitend: Wie helfen synodale Strukturen und die synodale Praxis den Kirchen, das Evangelium besser zu verkündigen und zu leben? Die kirchenrechtlichen Gestalten sind lebensförderlich, dürfen aber nicht von der liturgischen Dimension des kirchlichen Lebens und von anderen Ausdrucksformen kirchlicher Communio losgelöst werden.

Ein dichter Moment der Tagung entstand, als der unierte Bischof und Theologe Dimitrios Salachas zu einem orthodoxen Referenten sagte: Wir Unierte müssen zugeben, dass wir aus einem gescheiterten Unionsversuch hervorgegangen sind. Der orthodoxe Theologe Paul Meyendorff zog Bilanz: Wenn wir Orthodoxe untereinander so viele verschiedene Ausdrucksformen der Synodalität haben und uns darüber erst verständigen müssen, und wenn auch Katholiken über diese Frage offen diskutieren, dann sollten wir uns fragen, ob unsere Unterschiede uns wirklich trennen. So konnte der Dominikaner Hervé Legrand am Schluss konstatieren: Wir verwenden unsere Differenzen nicht mehr zur gegenseitigen Abgrenzung, sondern wir haben gemeinsame Probleme entdeckt, die wir auch gemeinsam behandeln sollten.

Eine typische Szene spielte sich nach dem Ende der Tagung ab. Erzbischof Job Getcha stand mit einem Dutzend orthodoxer Studenten im Trubel des Fribourger Bahnhofs und hielt beim Warten auf den Zug eine kleine Vorlesung darüber, warum es für die Orthodoxen Kirchen wichtig ist, an der Ökumenischen Bewegung teilzunehmen. Zu hören war nicht nur das übliche Argument, dass die Orthodoxen vor anderen Christen vom wahren Glauben Zeugnis ablegen müssen, sondern auch die Aussage: Wenn wir nicht an der Ökumenischen Bewegung teilgenommen hätten, dann hätten wir Orthodoxe untereinander uns nicht kennengelernt und würden vielleicht immer noch in gegenseitiger Isolation voneinander leben.

Vielleicht gehörten all diese Ereignisse und Erfahrungen – die offiziellen und diejenigen, die am Rande stattfanden – zu den vielen Schritten, die nötig sind auf dem Weg zur Communio der einen Kirche.

1 Von der SKZ-Redaktion überarbeiteter Text des Berichtes von Barbara Hallensleben.

2 Als Veranstalter wirkten das Institut für Ökumenische Studien, das Institut für orthodoxe Theologie in Chambésy, das Doktoratsprogramm «De civitate hominis. Theologie im postökumenischen Zeitalter» und die «Académie internationale des sciences religieuses».

3 Bestehend aus Erzbischof Job Getcha, Prof. Astrid Kaptijn, Prof. Barbara Hallensleben, P. Thomas Pott OSB (Abtei Chevetogne), P. Patriciu Vlaicu (Rumänische Orthodoxe Kirche) und Mgr Dimitrios Salachas (emeritierter Apostolischer Exarch des griechisch-katholischen Exarchats von Griechenland und Experte für das kanonische Recht).

4 Um möglichst viele Stimmen integrieren zu können, war neben den «Rednern» auch eine grössere Zahl von «Experten» eingeladen, die durch ihre Rückfragen und Diskussionsbeiträge die Auswertung des Gehörten anregten.

5 P. Hyacinthe Destivelle OP (Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen), Viorel Ionita (rumänisch-orthodoxer Theologe), P. Hervé Legrand OP, Metropolit Maximos von Selyvria vom Ökumenischen Patriarchat, Paul Meyendorff (Orthodoxe Hochschule St. Vladimir’s in New York), Goran Sekulovski und Michel Stavrou (Orthodoxes Theologisches Institut Saint- Serge in Paris) und Andrey Shishkov (Dozent der Aspirantura/Doktorantura am Moskauer Patriarchat).


Barbara Hallensleben

Prof. Dr. Barbara Hallensleben (Jg. 1957) ist Professorin der Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und Direktorin des Zentrums für das Studium der Ostkirchen.