«Politik hat unglaublich viel Schönes»

Die Christlichdemokratische Volkspartei CVP möchte ihren Namen ändern – das C stört. Seit Wochen wird zum Teil sehr emotional über diese Idee diskutiert. CVP-Präsident Gerhard Pfister im Gespräch mit der SKZ.

Parteipräsident Gerhard Pfister möchte mit einem neuen Namen die Wählbarkeit der CVP vergrössern. (Bild: rs)

 

SKZ: Vor vier Jahren1 sagten Sie: «Sich des C zu genieren, ist, wie wenn sich Schweizer des Kreuzes im Landeswappen genieren würden.» Heute empfinden Sie das C als Behinderung. Wie kam es zu diesem Meinungsumschwung?
Gerhard Pfister: Ich geniere mich nach wie vor nicht des C. Das müssen wir als Partei auch nicht. Wir stellen aber fest, dass wir seit 40 Jahren keine neuen Wählerinnen und Wähler mehr gewinnen können. Analysen des gfs.bern zeigten, dass unsere Politik auf grosse Zustimmung stösst, unsere Wählbarkeit aber eingeschränkt ist: Die Menschen nehmen uns als eine Partei wahr, bei der sie nur mitmachen und sie unterstützen können, wenn sie besonders religiös oder katholisch sind. Dieses Image haben wir insbesondere bei den unter 40-Jährigen. Wenn wir als Partei eine Zukunft haben wollen, müssen wir uns darüber Gedanken machen. Deshalb schlagen wir jetzt durch die Namensänderung eine Öffnung vor. Wir entscheiden im November nur über den nationalen Parteinamen. Da wir eine föderalistisch organisierte Partei sind, kann jede Kantonalpartei bis 2025 für sich entscheiden, ob sie den neuen Namen übernehmen oder bei CVP bleiben will.

Mehrere CVP-Politiker meinten, dass nicht das C im Namen entscheidend sei, sondern die konkrete Politik. Doch hat die CVP nicht schon vor langer Zeit aufgehört, christliche Politik zu betreiben?
Christlich per se ist ein Normanspruch, der von der Politik gar nicht erfüllt werden kann. Im Philosophiestudium lernt man: Es gibt einen naturalistischen und einen normativistischen Fehlschluss. Der normativistische Fehlschluss besteht darin, dass aus der Deklamation von Normen noch keine Handlungsanweisung folgt. Aus dem C kann und soll man ein persönliches Glaubensbekenntnis erschliessen, aber daraus gibt es keine direkte politische Handlungsanweisung. Ich kann als guter Christ sowohl für als auch gegen die Konzernverantwortungsinitiative sein. Wenn Pius Segmüller in der aktuellen Diskussion äusserte, wer nicht christlich sei, habe in der Partei nichts mehr zu suchen, zeigt das genau dieses Missverständnis. Der Politiker Segmüller versteht unter christlich etwas anderes als beispielsweise der Politiker Stefan Müller- Altermatt.

Dann stimmen Sie mit Bischof Felix Gmür überein, der erklärte, die CVP sei nicht der verlängerte Arm der Kirche und umgekehrt?
Absolut! Diese Nähe ist eine historische, da die CVP nach dem Sonderbundskrieg zwischen Katholiken und Reformierten die Aufgabe hatte, die Katholikinnen und Katholiken in den Bundesstaat zu integrieren, doch diese Aufgabe ist seit mehr als 50 Jahren, seit dem Zweiten Vatikanum, erfüllt. Insofern ist die Nähe der CVP zur Katholischen Kirche nicht mehr gegeben und auch nicht mehr notwendig. Es gibt in allen Parteien gute Christinnen und Christen und es gibt in allen Parteien eher weniger gute. Der Exklusivitätsanspruch der CVP auf christliche Politik ist nicht einlösbar, er ist auch nicht richtig. Ich werde vermutlich als einziger Parteipräsident regelmässig darauf angesprochen, was die katholische Kirche entscheidet, kommuniziert oder falsch macht. Bischof Gmür ist genauso wenig für die CVP verantwortlich wie ich für die katholische Kirche.

Wird eine Namensänderung genügen, um das Image einer «Katholikenpartei» abstreifen zu können?
Im Kanton Zug, wo die CVP die stärkste Partei ist, wurde ich noch nie gefragt, wie oft ich in die Kirche gehe. Wenn ich aber in Bern für die CVP auftrete, passiert es öfters, dass ich gefragt werde, ob ich noch immer zur Befehlsausgabe nach Rom ginge. Kaum noch jemand kennt den Unterschied zwischen katholisch und reformiert, und es interessiert die Menschen auch nicht mehr, doch beim Wählen kommt es ihnen in den Sinn. Das kollektive historische Gedächtnis macht diesen Unterschied noch immer. Und genau hier liegt die Herausforderung für unsere Partei. Die CVP Oberwallis hat die gleichen Werte wie die CVP Bern oder die CVP Tessin, die sich übrigens nie CVP nannte, sondern Demokratische Volkspartei. Heutzutage müssen wir die Wählerinnen und Wähler durch gute Politik überzeugen. Der heutige Wähler ist ein sogenannter hybrider Wähler, d. h. er verschreibt sich nicht mehr einer Partei auf Lebenszeit, sondern entscheidet situativ, welche Partei ihn im Moment überzeugt und welche für ihn im Moment die richtige Lösung für sein wichtigstes Problem bietet. Hier muss sich die CVP bewähren. Die erwähnte Analyse zeigte: Viele Menschen unterstützen eine Mittepolitik – eine Politik, die Solidarität, Freiheit und Verantwortung vertritt – und eine bürgerliche Partei, die eine hohe soziale Verantwortung übernimmt. Und diese Menschen möchten wir erreichen.

Der angedachte Name «Die Mitte» sagt eigentlich nichts aus. Hat die CVP ihr Programm verloren?
Es ist interessant, dass die Diskussion erst jetzt kommt. Es gibt in der Schweiz eine Partei, der man alles nachsagt, aber nicht Profillosigkeit: die SVP. Und die SVP nennt sich in der Westschweiz seit 1970 Mitteunion. Das stört niemanden. Ganz egal, wie sich die SVP nennt, sie betreibt sicher keine Mittepolitik. Die politische Landschaft der Schweiz entwickelt sich zu einer Dreipoligkeit. Wir haben links und rechts je einen Pol und in der Mitte wird ein dritter Pol entstehen. Dort ist die CVP die führende Partei und dort werden wir das Feld besetzen. Viele Menschen, die sich politisch in der Mitte verorten, wissen ganz genau, was sie wollen. Und diesen werden wir ein politisches Zuhause bieten können.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Religion?
Ich habe ein absolut unverkrampftes Verhältnis zu meinem eigenen Katholizismus. Ich bin vermutlich ein durchschnittlich guter Katholik und ein vielleicht weniger guter Christ. Aufgewachsen in der katholischen Lebenswelt, bin ich einer der letzten CVPler, der die klassische Karriere machte: katholisches Internat, katholische Universität und dann selbstverständlich der CVP beigetreten, weil schon mein Grossvater CVP wählte. Ich hatte hervorragende Lehrer in Disentis und hervorragende Dozenten, die mir eine Orientierung gegeben haben. Mein Elternhaus war nicht frömmlerisch, aber der Glaube war wichtig. Ich würde nie aus der Kirche austreten, nur weil ich eine andere politische Auffassung habe als der Gemeindeleiter oder Priester, der gerade predigt. Der Pluralismus soll in der Kirche genauso stattfinden wie in der Politik. Aber ich habe mich noch nie besonders beeindrucken lassen, wenn mir ein Prediger sagen wollte, wie ich am nächsten Sonntag zu stimmen hätte. Ich reagiere jedoch allergisch, wenn die Kirche versucht, mit ihrer metaphysischen Autorität Politik zu machen. Hier teile ich die Auffassung von Gottfried Locher, der kürzlich sagte, das politische Engagement der Kirche trage immer das Risiko, die Gemeinschaft der Gläubigen zu spalten. Wenn ein Kirchenexponent sich politisch äussert, dann hat es die Konnotation: Das ist christlich – und impliziert, die gegenteilige Meinung sei es nicht. Das finde ich schwierig. Selbstverständlich gibt es ethische Grundsätze, die die Kirche vertreten muss, und so z. B. bei der Frage der Todesstrafe richtigerweise klar dagegen Stellung nimmt.

Wie erholen Sie sich von der Arbeit und der Politik?
Ich bin ein medialer Konsument: lesen, fernsehen, Theaterbesuche. Das ist für mich Erholung. Politik hat unglaublich viel Schönes. Sie hat aber auch anstrengende Seiten, gerade für mich als Parteipräsidenten: die permanente Erreichbarkeit, die Verfügbarkeit, die Medialisierung, auch unterstützt durch die Digitalisierung. Wirkliche Erholung habe ich bestenfalls in zwei Phasen im Jahr: Zwischen Weihnachten und Neujahr, wo ich nicht erreichbar sein muss, und ein oder zwei Wochen im Sommer. Ich will mich nicht beklagen, denn Politik ist eines der wenigen Dinge, die man freiwillig tut und mit der man sofort aufhören muss, wenn man keine Lust mehr dazu hat. Es gibt genügend andere, die die Aufgabe gerne übernehmen würden.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Am Sommerparteitag in Appenzell vom 23. August 2016.

 

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