Ein Band, das hält

Ein Freund ist jemand, der dich auffängt, wenn alle Stricke reissen, weiss ein Sprichwort zu berichten. Doch was hat Freundschaft mit Gott zu tun?

«Echte Fründe ston zesamme su wie ejine Jott un Pott» heisst es in einem Ohrwurm der Kölner Mundartband De Höhner. Gute Freunde gehören zusammen wie Tischgebet und Eintopf – will sagen: Wir beten gemeinsam und essen von einem Teller; wir halten zusammen wie Pech und Schwefel. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen; Freundschaft wohl auch. Wer sein Brot allein verzehrt, ist ein Eigenbrötler; wer es hingegen mit seinen Freundinnen und Freunden teilt, ist ein «Cumpane».

Der Mensch ist mehr

Mit diesen kurzen Bemerkungen sind wir mitten im Thema: Inwiefern nämlich die beiden Urphänomene Freundschaft und Religion miteinander verschwistert sind. Im Rheinland kann man den Gassenhauer der «Höhner» ja nicht nur im Karneval hören, sondern auch unterm Jahr; und er wird mit Inbrunst gesungen, fast wie ein Kirchenlied. Merkwürdig, wie da redensartlich ein menschliches Urphänomen (nämlich Freundschaft) mit einem Urphänomen menschlicher Kultur (der Religion) in Verbindung gebracht wird. Ob das womöglich daran liegt, dass Seelenfreundschaften, ähnlich wie eine wahrhaft gelebte Religiosität, in eine Tiefe reichen, an die man aus eigener Kraft nicht rühren kann, zu der man sich vielmehr hinführen lassen muss?

Um diese Vermutung zu konkretisieren, müssen wir etwas tiefer graben. Und da stellt man zunächst fest: Dass wir freundschaftsfähig sind, zeugt von unserer geistigen Grundkonstitution. Beim Entstehen von Freundschaften spielen Sympathien eine elementare Rolle. Das aus dem Griechischen entlehnte Wort «Sympathie» (wörtlich «Mitleid», «Mitempfinden») bezeichnet ein gemeinsames Gefühl: Man mag einander leiden. Ein unsichtbares Band schlingt sich da um zwei, drei oder mehr Menschen – eine «verschworene Clique». Da sind Leute, mit denen kann man Pferde stehlen, vor denen hat man keine Heimlichkeiten, weil man ihnen vertraut. Voraussetzung dafür sind tiefes Wohlwollen und echte Sympathie. Freundschaft entsteht, wo ein Gleichklang der Seelen herrscht, wo man sich seelentief angesprochen weiss. Und so hat man womöglich, ohne sich dessen bewusst zu sein, «gefunden, den meine Seele liebt» (Hld 1,7; 3,1–4) – meine Seele, nicht meine Hormone! Vasopressin, Noradrenaline, Östrogene und Testosterone lieben nicht. Lieben tut nur der Mensch. Der Mensch aber ist mehr als sein Hormonhaushalt, mehr als seine sozio-ökonomische Vorprägung, mehr auch als seine psychophysische Konstitu- tion. Solche Bemerkungen sind trivial; in Zeiten um sich greifender Naturalisierung des Menschen muss man zuweilen freilich an das Triviale erinnern. Das Triviale ist das Grundlegende. Grundlegend für ein gelingendes Leben sind echte, tiefe Freundschaften.

Und damit ist nun auch am Tag, weshalb tiefe Freundschaften dem Religiösen so nahe benachbart sind. Religion, von lateinisch «religare» sich herleitend, bedeutet so viel wie Rückbindung, Verwurzelung, Sicherheit in einem Grösseren, Allumfassenden. Religiös sein heisst, sich rückgebunden wissen; heisst, seinen Grund nicht in sich selbst suchen, sondern in dem, der mich mir anvertraut; heisst zuletzt, gegenüber dem mich mir Anvertrauenden Dank und Respekt zu empfinden. Das aber bedeutet: Wer immer sich tief in Freundschaften beheimatet hat, der rührt an etwas, das grösser ist als er selbst. Dieses Grössere, Umfassendere nennt der christliche Glaube «Gott»: «In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir» (Apg 17,28). In aufrichtigen Freundschaften strahlt ein Abglanz dieses Zuvorkommenden, Grundlegenden, Allumfassenden auf. Und so sind unsere Freundschaften nicht selten Stellvertreterbeziehungen des Religiösen. Wohl dem, der solcherart Freundschaft zu leben weiss: Er ruht, ob er es weiss oder nicht, «nahe am Herzen Gottes» (vgl. Joh 1,18).

Joachim Negel

 

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Joachim Negel

Prof. Joachim Negel (Jg. 1962) studierte Theologie, Philosophie und Romanistik in Würzburg, Paderborn, Paris, Bonn und Münster. Seit 2015 ist er Professor für Fundamentaltheologie in Freiburg i. Ue.