Nationale Heimstätte für das jüdische Volk

Dies forderte seit 1897 der politische Zionismus, der eine Antwort war auf das Scheitern der jüdischen Emanzipation und die aufkommende Judenfeindlichkeit in Europa. Er führte 1948 zur Errichtung des Staates Israel.

Im Mai 2018 jährt sich die Gründung des Staates Israel zum 70. Mal. Am 14. Mai 1948 proklamierte der erste israelische Premierminister David Ben Gurion den jüdischen Staat. Ein halbes Jahr zuvor, am 29. November 1947, hatte die UNO in New York die Teilung des seit 1920/22 existierenden britischen Mandats in Palästina in einen jüdischen und in einen arabischen Staat beschlossen. Der «Jischuw», die sich selbst verwaltende politische Körperschaft der Juden Palästinas, und die zionistische Weltorganisation stimmten dem Teilungsplan zu. Die Arabische Liga und die Araber Palästinas lehnten die Teilung ab. Und so wurde mit dem Ende der britischen Herrschaft einzig der Staat Israel ausgerufen, nicht aber ein arabisch-palästinensischer Staat. Noch in der gleichen Nacht griffen die Armeen Syriens, Ägyptens, Jordaniens, Libanons und des Iraks das neugeborene Israel an, nachdem schon seit Herbst 1947 im Lande ein Guerillakrieg zwischen irregulären arabischen Truppen und dem Jischuw getobt hatte.

Nach anfänglicher Bedrängnis konnte sich Israel aber halten und sein Staatsgebiet konsolidieren. Rund 650 000 palästinensische Araber flohen aus dem Gebiet des neuen Staates oder wurden im Laufe der Kämpfe vertrieben. Fast gleichzeitig begannen Flucht und Vertreibung von fast einer Million nordafrikanischer und orientalischer Juden. 1949 unterzeichneten Israel und die arabischen Staaten Waffenstillstandsabkommen. Die Linien, wo die Armeen bei Kriegsende standen, wurden dabei zu De-facto-Grenzen, die bis zum Sechstagekrieg 1967 galten. In den Jahren nach 1949 verdreifachte sich Israels jüdische Bevölkerung von 800 000 Personen auf rund zwei Millionen. Heute leben in Israel (ohne palästinensische Autonomiegebiete) rund 8,8 Millionen Menschen: 74,6 Prozent sind Juden, 20,9 sunnitisch-muslimische Araber und Drusen sowie 4,5 Prozent sogenannte «Andere». Mit 170 000 Personen bilden die christlichen Konfessionen eine Minderheit.

Zionistische Vision

Die Gründung des Staates Israel und der ihr zugrunde liegenden zionistischen Bewegung sind aus der europäischen Geschichte und aus dem nahöstlichen Geschehen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts heraus zu verstehen. Die zionistische Vision, ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina, dem «Land der Väter», zu schaffen, war eine Antwort auf das Scheitern der jüdischen Emanzipation in Europa. In Frankreich, Deutschland und Österreich kam mit dem rassistisch und pseudowissenschaftlich argumentierenden Antisemitismus eine neue Form der Judenfeindschaft auf. Im Osten führten antijüdische Massnahmen und Pogrome zu einer Verelendung der jüdischen Bevölkerung im zaristischen Reich und zur Auswanderung von bis zu 2,5 Millionen Juden in die USA, die 1924 ihre Tore für jüdische Einwanderung weitgehend schlossen.

In dieser doppelt misslichen Situation suchte der Zionismus das jüdische Selbstverständnis in West- und in Zentraleuropa neu zu definieren und mit dem Aufbau einer Heimstätte für die jüdischen Massen aus Osteuropa eine Zufluchtsstätte zu errichten. «Vater des politischen Zionismus» war der Wiener Journalist und Autor Theodor Herzl, Gründer und Vorsitzender der 1897 in Basel gegründeten Zionistischen Weltorganisation (WZO). Unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre in Frankreich (ein jüdischer Offizier war zu Unrecht der Spionage für Deutschland angeklagt), als die Republik von Antisemitismus erfasst wurde, hatte Herzl mit der Schrift «Der Judenstaat» das Konzept jüdischer Souveränität und der Rückkehr in das alt-neue Land entworfen. Am von ihm 1897 nach Basel einberufenen ersten Zionistenkongress verabschiedeten die rund 200 Delegierten das «Basler Programm» für die Schaffung einer «öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte» in Palästina. «In Basel habe ich den Judenstaat gegründet», so Herzl. Zunächst schien seine Vision eines von den Grossmächten garantierten jüdischen Gemeinwesens illusorisch.

Balfour-Deklaration

Erst der Erste Weltkrieg brachte den Durchbruch, als der britische Aussenminister Arthur James Balfour am 2. November 1917 in einem an den Präsidenten der Englischen Zionistischen Föderation adressierten Brief der zionistischen Bewegung die Unterstützung seiner Regierung für «die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk» zusicherte. Die sogenannte «Balfour-Deklaration» wurde vom neu gegründeten Völkerbund 1920 übernommen und damit Völkerrecht. In der Folge wurde das Völkerbundmandat Palästina/Eretz Israel, so der offizielle Name, aufgegleist und an die britische Besatzungsmacht übergeben. Der britische Kolonialminister Winston Churchill trennte 1922 das Emirat (später Königreich) Jordanien vom Mandat ab. Die Bildung Jordaniens, bei gleichzeitiger Schaffung der modernen arabischen Staaten Syrien, Libanon und Irak, verhinderte aber den Ausbruch des sich kontinuierlich verschärfenden Konfliktes zwischen jüdischer und arabischer Nationalbewegung nicht. Noch im Osmanischen Palästina des 19. Jahrhunderts definierte sich die dort lebende Bevölkerung in erster Linie über die Religion und nicht über die Nation. So lebten vor 1914 rund 94 000 Juden, 70 000 Christen verschiedener Konfessionen und 525 000 vorwiegend sunnitische Muslime im Lande.

Arabischer Nationalismus

Erst spät wurde auch Palästina vom arabischen Nationalismus erfasst, welcher eine einzige arabische Nation propagierte und die Schaffung eines grossen arabischen Staates aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches anstrebte. Vereinte das Osmanische Reich noch eine Vielzahl von Religionen, Konfessionen und Ethnien, bedeutete das Ende des Reiches mit dem Genozid an den Armeniern, dem Griechisch-Türkischen Krieg, den darauf folgenden ethnischen Säuberungen, der Schaffung eines türkischen Nationalstaates, den Aufständen der Kurden sowie dem Aufkommen des arabischen Nationalismus und der Bildung arabischer Nationalstaaten das Ausbrechen zahlreicher Konflikte. Nachdem sich noch 1919 mit dem Abkommen zwischen Chaim Weitzmann, dem Präsidenten der zionistischen Bewegung, und dem Haschemiten Emir Feisal eine Einigung zwischen jüdischer und arabischer Nationalbewegung rund um Palästina abgezeichnet hatte, nahm die Rivalität zwischen Zionismus und arabischem Nationalismus nun überhand. Besonders gerungen wurde in den Zwanziger- und Dreissigerjahren um die jüdische Einwanderung nach Palästina. Diese war zwar im Mandat explizit so vorgesehen, wurde aber aufgrund massiver arabischer Opposition von den Briten eingeschränkt.


Errichtung eines souveränen Staatswesens

Ab 1939 durften für die nächsten fünf Jahre nur noch 75 000 Juden legal einwandern. Ein wichtiger Zufluchtsort für die europäischen Juden wurde damit weitgehend gesperrt. Dies hatte Folgen, als sich die zionistische Bewegung im Dezember 1946 in Basel traf. Das demografische, kulturelle, religiöse und politische Zentrum jüdischen Lebens war durch die Schoah gewaltsam verschoben worden, weg von Europa hin nach Palästina und den Vereinigten Staaten. Zwei Drittel der Juden Europas waren ermordet worden. Über 250 000 Überlebende lebten als «Displaced Persons» in Lagern in Süddeutschland und Österreich. Den meisten war der Weg zurück in ihre Heimatländer aufgrund des dort nach wie vor tobenden Antisemitismus versperrt. So fielen nach 1945 allein in Polen rund 2000 Juden Pogromen zum Opfer. Nur kleine Kontingente wurden von den USA, Australien und Kanada aufgenommen. Auswanderung nach Palästina erschien als Lösung.

Seit Oktober 1945 beschäftigte sich eine «Anglo-Amerikanische Untersuchungskommission» unter der Leitung des Juristen Earl G. Harrison im Auftrag von US-Präsident Truman mit der Lage der überlebenden Juden. Harrison kam zum Schluss, dass es für sie keine andere Lösung gebe, als Europa in Richtung Palästina zu verlassen. Er forderte darum im Mai 1946 die sofortige Ausstellung von 100 000 Einwanderungszertifikaten. Grossbritannien lehnte ab. Das durch den Krieg geschwächte britische Empire wollte nicht die strategisch wichtigen arabischen Staaten gegen sich aufbringen. Die jüdische Einwanderung nach Palästina, wo schon 1946 ein jüdisches Gemeinwesen mit 600 000 Menschen bestand, blieb deshalb weitgehend illegal. Die Briten suchten Einwandererschiffe abzufangen und die jüdischen Flüchtlinge entweder wieder nach Europa zurückzuschicken oder auf Zypern zu internieren. Dies sorgte weltweit für Irritation. Die zionistische Bewegung verschärfte vor diesem Hintergrund ihre Forderungen. Hatte sie sich seit 1917 mit einer sogenannten «Heimstätte» innerhalb des britischen Empires zufriedengegeben, forderte man jetzt in Basel am 22. Zionistenkongress 1946  ein voll souveränes Staatswesen. Die Errichtung eines jüdischen Staats wurde als dringlich erklärt, systematisch vorangetrieben und dann 1948 verwirklicht.

Simon Erlanger


Simon Erlanger

Dr. Simon Erlanger (Jg. 1965) ist Historiker und Journalist. Nach Studien in Basel und Jerusalem promovierte er an der Universität Basel mit einer Arbeit zur Geschichte der schweizerischen Arbeitslager während des Zweiten Weltkrieges. Er ist Lehr- und Forschungsbeauftragter für jüdische Studien und jüdische Geschichte am Institut für Jüdisch-Christliche Forschung der Universität Luzern. Journalistisch war er bis 1999 als Chefredaktor der «Jüdischen Rundschau Maccabi» tätig und danach als Redaktor und Produzent bei der «Basler Zeitung», «bz Basel» und «Telebasel».

 

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