Menschlich gezähmte Grünkraft

Ohne Zaun oder Mauer, ohne klare Abgrenzung nach aussen und Eingrenzung des Innen ist der Garten kein Garten. Was den Garten zum Hort des Lebens macht, ist seine Umzäunung und die Hegungskraft des Menschen.

In einem Garten soll alles seinen Anfang genommen haben. So jedenfalls erzählen es der oder die Verfasser des um 800 v. Chr. entstandenen ersten Buches Mose. Ihre Beschreibung des ersten Gartens erinnert insbesondere dort, wo von dem – in diesem Garten entspringenden und sich dann in vier «Hauptwasser» teilenden – Stromquell die Rede ist, an den um 1500 v. Chr. entstandenen akkadischen Adapa-Mythos und an den seit 2250 v. Chr. von den frühbabylonischen Königen nach ihrem Triumph über die Sumerer angenommenen Titel «Herr der vier Quartiere». Von der Antike bis zur Gegenwart tritt das Bild der vier Quartiere, in deren Mitte ein Wasserquell sprudelt, in mancherlei Form in Erscheinung, wenn die vier «Hauptwasser» unter menschlichem Zugriff auch längst zu kies- oder plattenbelegten Gartenwegen geworden sind.

Umzäunte Geborgenheit

Den ersten Menschheitsgarten schirmten nach dem Sündenfall Cherubime gegen die Übertreter des göttlichen Gebotes und ihre Nachfahren ab. Und dieser Charakter des einerseits Wehrhaften und andererseits Bergenden und Geborgenen ist dem Garten sowohl begrifflich als auch wesenhaft geblieben. Schon die Bezeichnung des ersten Gartens als «Paradies» bringt dies unmissverständlich zum Ausdruck: Das altpersische pairi-daé-za nämlich, das im Babylonischen zu pardisu und im Hebräischen zu pardes wurde, heisst nichts Anderes als «Umzäunung, Umwallung, Mauer». Und auch der «Garten» ist aus dem indogermanischen Wortstamm ghordos abgeleitet, der «Flechtwerk, Zaun, Hürde» bedeutet und semantisch sowohl im griechischen chortos als auch im lateinischen hortus fortlebt. Als «Hort des Lebens» kann der (erste) Garten also für alle auf den mosaischen Religionen beruhenden Kulturen gelten, weil er sich nicht nur als Ort der Menschwerdung, sondern auch als Inbegriff alles im göttlichen Schöpfungsprozess Geschaffenen darstellt, zugleich aber auch mit den Einflüsterungen der Schlange und deren gravierenden Folgen den Grund für seine sowohl semantische als auch essenzielle Wehrhaftigkeit legt. Was das «Paradies» (alias Hortus oder Garten) zum Paradies macht, ist die Mauer!

Macht der Natur – Macht des Menschen

Nicht nur im Innenraum des Gartens manifestiert sich mithin die «Kraft und die Herrlichkeit» seines Schöpfers, sondern auch in den Erfordernissen und Bewerkstelligungen seines Selbstschutzes. Ganz so wie gewappnete Erzengel den Übertretern des göttlichen Gebotes und ihren Nachfahren den Wiedereintritt in den Paradiesgarten verwehrten, muss auch jeder von Menschen angelegte «Garten» zur Not gegen unbefugte Eindringlinge mit Macht verteidigt werden. Diese Macht kann sich auf sehr unterschiedliche Weise manifestieren: im vor- und zwischenstaatlichen Zustand bestenfalls nach den Gesetzen der Vernunft, schlimmstenfalls mit roher Gewalt, im Rahmen einer staatlich gehegten und daher zivilisierten Gesellschaft nach Massgabe der jeweiligen allgemeinen Staats- und Rechtsordnung, die sich dann bis zum «Gartenzaun» kon- kretisieren lässt.

Auch innerhalb des – nun wieder wörtlich verstandenen – Gartens aber manifestiert sich die «Kraft und die Herrlichkeit» von «Gott oder der Natur», wie Baruch de Spinoza (1632–1677) in seinem Tractatus theologico-politicus formuliert, in doppelter Weise: Einerseits als naturgegebenes Wachsen, Blühen und Früchtetragen, andererseits als Spiegelung der göttlichen Ordnungsmacht in der menschlichen. Diese aber ist nicht nur dort augenfällig, wo sie – wie in den orientalischen Gärten der Frühzeit, in den Klostergärten, in den Gärten der Renaissance und in den formalen Barockgärten des 17. und 18. Jahrhunderts – besonders markant in Erscheinung tritt, sondern selbst dort, wo der Garten sich ganz natürlich präsentiert. Auch dort ist neben der göttlichen Wachstumskraft Menschenmacht im Spiel. Auch dort gilt die im Klosterepos «Dreizehnlinden» verkündete Gartenweisheit, dass (nur) «die Rose, die man bindet, frei sich in die Lüfte windet». Überdeutlich kommt dies in den Manifestationen des französischen Gartenideals zum Ausdruck: «Salutierend sind die Hecken eingeschlafen» heisst es in einem Gedicht über den fürstbischöflich-würzburgischen Lustgarten im mainfränkischen Veitshöchheim. Als dann der geometrische Garten – gleichsam als künstlerische Begleitmusik der aufklärerischen Liberalisierungstendenzen – ab dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert nach und nach durch das englische Gartenideal des Landschaftsgartens zurückgedrängt wurde, wurde der menschliche Eingriff zwar weniger augenfällig, blieb für das sachkundige Auge gleichwohl erkennbar. Nicht nur der Schöpfer des Schlossgartens von Versailles, André Lenôtre (1613–1700) und seine Schüler, auch Grossmeister des englischen Landschaftsgartens wie «Capability» Brown (1716–1783), Fürst Pückler-Muskau (1785–1871) und P. J. Lenné (1789–1866) waren machtvoll am Werk. Wer die Gelegenheit hat, den von Brown für den Herzog von Marlborough um 1700 geschaffenen Park von Blenheim Place, die Landschaftsparks des Fürsten Pückler zu Muskau und Branitz sowie in Babelsberg oder auch nur den Englischen Garten von München zu besuchen, kann sich davon beim Durchwandern dieser von diesen bei aller Monumentalität zugleich auch vergleichsweise diskreten Kunstwerken der Landschaftsarchitektur überzeugen. In grossem Umfang nämlich betrieben sie das «Landscaping» (Landschaftsgestaltung), leiteten Flüsse und Bäche um, legten Seen an, trugen Hügel ab. All dies aber so, dass sich diese Eingriffe nur noch dem Auge des Kenners erschlossen, das vollendete Werk aber als Ausdruck einer natürlichen Ordnung in Erscheinung trat. Nicht zuletzt deshalb verkörpern diese profilreichen Landschaftsgärten auch heute noch einen so hohen Erholungswert.

Kurioserweise erleben wir heute zuweilen dort Bürgerproteste, wo die Anmut des «Jardin sinois- anglais» (wie er wegen seiner Anleihen bei der taoistischen Philosophie und Gartenkultur ursprünglich genannt wurde) durch Eingriffe in Wildwuchs erhalten werden soll. Verständlich sind solche Proteste nur vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verstädterung und einer damit einhergehenden ökologischen Verelendung vieler urbaner und suburbaner, zu öden Zivilisationsgeländen verkommenen Räumen. Um ihnen etwas Lebensbejahendes entgegenzusetzen soll daher der «Grünkraft der Erde» (Hildegard von Bingen) freie Bahn gewährt werden, wo immer dies möglich erscheint.

Erhaltung der Gärten – Ziel der Politik

Selbst in dem von der Ökologiebewegung seit Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts so nachdrücklich propagierten Naturgärten lassen sich mehr oder minder machtvolle menschliche Eingriffe nicht vermeiden. Auch die um- und mitweltbewussten Hüter solcher kleiner Naturoasen werden über kurz oder lang erkennen müssen, dass sie ganz ohne Eingriffe nicht weiterkommen. Zumindest werden sie wohl ums Haus gehen und bis zum Gartentor gelangen wollen, ohne sich ein jedes Mal mit der Machete den Weg freikämpfen zu müssen, wie es der Zürcher Autor Franz Hohler in seiner bizarren (im Blick auf das Schicksal der mexikanischen Maya-Region Yukatan unter bestimmten Voraussetzungen aber vielleicht nicht gänzlich abwegigen) Vision einer «Rückeroberung» (1982) der Stadt durch die Natur schildert. Selbst in bienenseligen Naturgärten des 21. Jahrhunderts waltet bis zu einem gewissen Grade die dem Menschen als Lehen gewährte Spiegelung jener göttlichen Ordnungsmacht, vor der sich die Sterblichen aller Zeiten in zuweilen freudiger, zuweilen resignierter, stets aber ohnmächtiger Ehrfurcht neigten.     

Am glückhaftesten freilich gestaltet sich das symbiotische Zusammenwirken von göttlicher Schöpfungsmacht und menschlicher Hegungskraft im Rahmen der – vorzugsweise biologischen – Landwirtschaft und im sorgsam gepflegten Gemüsegarten, den vitalen Selbstversor- gungsmedien jeder menschlichen Gesellschaft. Diese – durch die Dynamik einer weithin vernetzten und daher in mannigfacher Weise krisenanfälligen Weltwirtschaft hart bedrängten – letzten Paradiese als Rückzugsorte zu bewahren, müsste neben der Erhaltung des Friedens vornehmliches Ziel jeder verantwortlichen Politik sein. Wer – wie dies beim Autor der Fall ist – am eigenen Leibe erfahren hat, wie sehr ein Garten in Kriegszeiten zum «Hort des Lebens» werden kann, versteht, wovon hier die Rede ist.

Peter Cornelius Mayer-Tasch

 

Buchempfehlung: «Kleine Philosophie der Macht». Von Peter Cornelius Mayer-Tasch. Stuttgart 2018. ISBN 978-3-515-12035-7, CHF 33.90. www.steiner-verlag.de
Inhalt: Macht durchzieht den menschlichen Alltag, jeder weiss von Erfahrungen der Macht, aber auch der Ohnmacht zu berichten. Der Autor zieht einen Bogen über alle ihre Facetten und wirft am Schluss seiner Ausführungen einen Blick auf den Garten als Medium fürstlicher Machtentfaltung und bürgerlichen Freiheitsverlangens.


Peter Cornelius Mayer-Tasch

Prof. Dr. Peter Cornelius Mayer-Tasch (Jg. 1938) studierte Rechts- und Politikwissenschaft sowie Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in Tübingen, München, Heidelberg, Oxford und Bologna. Er habilitierte 1971 für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Politikwissenschaft. Seit 1971 ist er Professor für Politikwissenschaft und Rechtstheorie am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2016 gründete er die philosophische Praxis Boethius.