Im portativen Heimatland zu Hause

Während für die einen ihr Kraftort an einen Ort oder an ein Gebäude gebunden ist, ist jener von Thomas Markus Meier beweglich und ein unerschöpflicher Schatz zwischen Buchdeckeln.

Von Heinrich Heine stammt die Idee der Bibel als «portatives Heimatland». Ein heiliger Ort also, der nicht ortsgebunden ist, sondern gezügelt werden kann. Nun ist die Bibel nicht nur ein Text, sondern auch ein konkretes, haptisch fass- und spürbares Buch. Vor der Erfindung des Buchdruckes noch ist jede Bibel ein Einzelstück und hat einen eigenen Namen. Das berühmteste Exemplar mit Bezug in unser Land ist etwa die «Bibel von Moutier-Grandval», benannt nach dem Ort, wo die Bibel aus Tours bis ins 16. Jahrhundert zu Hause war; heute liegt sie in der British Library. Aber auch die frühen Buchdrucke waren oft noch Einzelstücke, und so trägt jede Gutenberg-Bibel einen Zusatznamen («Mazarin-Bibel», «Berliner Gutenbergbibel»).

Das bewegliche, portative Heimatland also ist ein Buch in mannigfacher Ausgestaltung. Eine stattliche Bibliothek. Manche sind in den Texten, den Geschichten der Bibel zu Hause, also in einem Buch. Ich fühle mich darüber hinaus nicht nur im Buch Bibel zu Hause, sondern in einer Bibliothek von Bibeln, von konkret benennbaren Einzelbüchern. Seien es die seltenen, spätantiken Purpurhandschriften wie der vom Tintenfrass zerfressenen «Wiener Genesis» oder dem ältesten bekannten illustrierten Evangeliar, dem «Codex purpureus Rossanensis». Dieser ordnet übrigens jeder der neutestamentlichen Szenen vier ersttestamentliche Vorbilder zu – und steht so am Beginn einer Reihe typologischer Illustrations- modelle. Wie später die berühmte «Armenbibel» – mitnichten ein Buch für Analphabeten – das merkt spätestens, wer mal wirklich in so einer «Biblia pauperum» blättert. Ähnliche Modelle gibt es mit dem «Heilsspiegel», der «Bible moralisée» und anderen Werken. All die genannten typologischen Werke gibt es in unterschiedlichen Ausgaben, aber es gibt auch hier wieder einmalige Einzelstücke. Etwa den «Peterborough-Psalter», der einzige mir bekannte Psalter mit einem typologischen Bildprogramm.

Vor zehn Jahren berichtete das damalige Radio DRS 2 (heute SRF 2 Kultur) in einer halbstündigen Sendung über meine Bibelsammlung, seit da ist sie weiter gewachsen, und sie ist auch gezügelt. Nach der Radiosendung gab es Zuwächse, weil Zuhörerinnen (es waren meist verwitwete Pfarrfrauen) ihre Erbstücke an einem guten Ort wissen wollten. Vor allem aber entschied ich mich im Nachgang der Radiosendung, meine Sammlung öffentlich zugänglich zu machen. Meist waren es kleinere Gruppen, Pfarreiräte, Lektoren, der Freundeskreis theologiekurse.ch, die sich für eine bis anderthalb Stunden anmeldeten und oft viel länger blieben. Aber die Gruppengrösse war schlicht begrenzt, weil die Sammlung in einem Zimmer meiner Wohnung untergebracht und der Platz so beschränkt war.

Portatives Heimatland: Mittlerweile ist die Sammlung ins Pfarreizentrum Klösterli in Frauenfeld gezügelt, wo auch grössere Gruppen empfangen werden können. Die Bibeln werden gezeigt und herumgegeben, was eine sinnliche Erfahrung ermöglicht. Es ist etwas anderes, in Schulbüchern oder Kunstbänden die archaischen Darstellungen aus dem «Stuttgarter Psalter» zu sehen – oder so einen Psalter in die Hände zu nehmen. Schrift und Bild im Verhältnis zu sehen. Bilder zu entdecken, die über die Buchseiten hinweg miteinander im Gespräch sind. Neben dem Hauptaugenmerk auf illustrierte Bibeln gibt es auch eine kleinere Abteilung von biblischen Illustrationen in Stundenbüchern (exquisit das «Schwarze Gebetbuch Karls des Kühnen» aus der Burgunderbeute, das die Eidgenossen nach Mailand verhökert hatten); Künstlerbibeln (nicht jene Marketing-Bibeln wie die immer wieder neu zusammenstellbaren «Chagall-Bibeln» und ähnlich, sondern Bibeln, die eigens als Ganzes von einem Künstler oder einer Künstlerin gestaltet wurden (Salvador Dalí, Ernst Fuchs, Gigi Banini) und unterschiedliche Übersetzungen ins Deutsche, samt unverzeihlichen Druckfehlern. Welche sind das? Und wie kam ich zu meiner Sammelleidenschaft? Kommen Sie als Gruppe vorbei und tauchen Sie ein ins portative Heimatland, gelandet derzeit in Frauenfeld.

Thomas Markus Meier

 

Die Bibelsammlung von Thomas Markus Meier bildet einen Querschnitt ab durch die Geschichte der Bibelillustrationen. Es hat darunter hochwertige Faksimiles (originalgetreue Nachbildungen) spätantiker Purpurhandschriften, mit denen die Geschichte christlicher Bibelbebilderungen beginnt. Alle im Text erwähnten Bibeln sind in der Sammlung zu sehen.
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In loser Folge berichten die Redaktorinnen und die Redaktionskommissionsmitglieder der SKZ über ihre Lieblingsorte geistiger Einkehr.

 


Thomas Markus Meier

Dr. theol. Thomas Markus Meier (Jg 1965) arbeitet als Pastoralraumleiter der Pfarrei St. Anna Frauenfeld und ist Mitglied der Redaktionskommission der SKZ. Auf Facebook betreibt er die Seite Biblioblog. Dort bespricht er Beobachtungen zur Bibel und kommentiert auch die Übersetzungsänderungen der revidierten Einheitsübersetzung – es fehlen nur noch die Samuelbücher, Teile von Jesaja und Ezechiel sowie das ganze Jeremiabuch. www.facebook.com/Nutzernamenfrei