Feinschmecker in der Tierwelt

Fliegen und Schmetterlinge können mit den Füssen schmecken, Welse gar über die ganze Körperoberfläche. Verglichen mit anderen Säugetieren liegt der Allesfresser Mensch im Mittelfeld der Möglichkeiten, Geschmacksrichtungen zu unterscheiden.

 

Wie viel wir schmecken, hängt von der Anzahl der Geschmacksknospen ab. Viele Knospen bedeuten viel Geschmack. Ein erwachsener Mensch hat zwischen 2000 und 5000 Knospen, bei Säuglingen sind es doppelt so viele. Als Allesfresser liegt der Mensch im Mittelfeld der Geschmackswahrnehmung. Gourmets sind die reinen Pflanzenfresser wie das Pferd, das über rund 35'000 Geschmacksknospen verfügt. Wenig entwickelt ist der Geschmackssinn hingegen bei Fleisch- und Fischfressern. Katzen haben nur 500 Geschmacksknospen und der Pinguin kann nicht einmal sein Hauptnahrungsmittel, den Fisch, schmecken, er hat nämlich nur Geschmackssensoren für salzig und sauer. Pinguine, die Fische am Stück runterschlingen, brauchen dazu kaum ihren Geschmackssinn. Auf ihrer Zunge fanden Forscher keine Geschmacks- knospen, sondern nur Widerhaken, mit denen sie lebendige Fische festhalten und schlucken können. In der antarktischen Kälte funktionieren die Geschmackssinne für Süsses, Salziges und Umami schlecht oder gar nicht. Das könnte ein Grund sein, weswegen sich bei den Pinguinen im Laufe der Evolution der Geschmackssinn zurückgebildet hat.

Grasarten am Geschmack unterscheiden

Eine Katze, die ihre Beute selber jagt und frisch verspeist, läuft kaum Gefahr, verdorbenes oder giftiges Fleisch zu sich zu nehmen, darum braucht sie nur wenige Geschmacksknospen. Und sie sind nicht Naschkatzen, denn Katzen können Süsses gar nicht schmecken. Anders ist es beim Pferd, das genau schmecken muss, ob ein Kraut geniessbar oder gar giftig ist: Von den 450 häufigsten Gras- und Kräuterarten stehen 250 auf dem Speisezettel der Pferde, die andern 200 werden konsequent gemieden, da sie weniger nahrhaft oder giftig sind. Um diese Nuancen zu schmecken, ist das Pferd auf eine hohe Anzahl von Geschmacksknospen angewiesen. Auch Kälber mit 25'000 und Schweine mit 15'000 Geschmacksknospen schmecken viel besser als Menschen. Die meisten Vögel hingegen haben «keinen guten Geschmack», Hühner beispielsweise können süss und bitter nicht unterscheiden, sie haben nur 20 bis 40 Geschmacksknospen.

Fünf Geschmacksqualitäten

Der Mensch kann fünf verschiedene Geschmacksqualitäten unterscheiden: süss, sauer, salzig, bitter und umami. Ursprünglich konnten die Menschen die Nahrung damit ihren Nährwerten zuordnen: Süss- und Umami-Geschmack garantiert viele Kalorien, salzig zeigt Mineralien an. Der unangenehme bittere Geschmack warnt vor giftigen und verdorbenen Speisen. Der saure Geschmack vor unreifen Früchten. Übrigens gehört die Empfindung von scharf nicht zum Geschmackssinn: Wenn wir etwas als scharf empfinden, so hat dies mit einer chemischen Reizung der Nervenfasern im Mund zu tun, die auch auf schmerzhafte Wärmereize reagieren. Während süss, sauer, salzig, bitter und umami unbestrittene Geschmacksqualitäten sind, versuchen Wissenschaftler weitere Geschmackssinne zu identifizieren: Studien liefern Hinweise darauf, dass die menschliche Zunge auch Knospen hat, die auf Fett oder Stärke reagieren. Die Forschung dazu steckt aber noch in den Kinderschuhen.

Kulinarischer Genuss mit den Füssen

Barfuss über Honig gehen und dabei die Süsse wahrnehmen: Was bei uns Menschen nicht funktioniert, ist bei Fliegen alltäglich. Wie viele andere Insekten haben sie an ihren Gliedmassen Geschmacksrezeptoren. Tritt die Fliege auf eine Süssigkeit, fährt sie reflexartig ihren Saugrüssel aus. Schmetterlinge schmecken mit ihren Füssen nicht nur den Nektar der Blüten, sondern die Weibchen trampeln auf Blättern herum, um zu merken, ob die Pflanze ihrem Nachwuchs schmecken würde und es sich somit lohnt, Eier abzulegen.

Mit dem ganzen Körper schmecken

Nicht nur mit dem Mund, nein, mit dem ganzen Körper schmeckt der Wels. Der Europäische Wels hat Rezeptoren für süss, sauer, bitter und salzig. Mit 250'000 Geschmacksknospen führt er in unseren Breiten die Rangliste der Gourmets an. Bei tagsüber in klaren Gewässern jagenden Fischen wie dem Hecht ist der Geschmackssinn auf die Mundhöhle beschränkt. Bei Dämmerungsfischen oder Arten, die ihre Nahrung aus dem Schlamm herauswühlen, ist der Geschmackssinn auf die Lippen, Barteln und beim Wels sogar auf die ganze Körperoberfläche und die Flossen ausgedehnt. Barteltragende Fische schwimmen dicht über dem Boden und prüfen die Umgebung mit den Barteln. Beim Amerikanischen Zwergwels, der 680'000 Geschmacksknospen hat, spielt der Geschmackssinn die Hauptrolle beim Auffinden von Nahrung.

Der Geschmackssinn ist je nach Nahrung und Lebensumgebung unterschiedlich ausgeprägt und wird meist mit dem Mund, zuweilen auch mit anderen Körperteilen wahrgenommen.

Claudia Baumberger*

 

* Claudia Baumberger ist Biologin. Sie arbeitet bei oeku Kirche und Umwelt in Bern.