Der Geschmack der Religionen

Gemeinsames Essen mit Menschen aus anderen Kulturen setzt Aufmerksamkeit und die Kenntnis der Bräuche und Sitten der anderen voraus. Religionstheologische Konzepte können es erschweren oder erleichtern, bei den anderen zu kosten.

 

Viele Religionen kennen eine bestimmte Form von Sinnlichkeit. Das zeigt sich in verschiedenen Bereichen: in Speisevorschriften, der Art und Weise, wie Nahrung zubereitet werden darf und worauf in der Feier von Ritualen geachtet werden muss. Da werden wir neben Gesang, Texten und visuellen Eindrücken auch durch Kerzenduft, Weihrauch oder Räucherstäbchen berührt. Ebenso sind die Enthaltsamkeit und der Verzicht auf Sinnliches durch Fastenregeln vielen Religionen gemein. Wonach aber riecht und schmeckt es, wenn die Religionen und ihre Anhängerinnen und Anhänger zusammenkommen? Was ist der Geschmack des interreligiösen Dialogs?

Götter speisen

Vor knapp zwei Jahren ging ein Videoclip durch die sozialen Medien. Er zeigt einen Tisch, an dem gemeinsam gegessen wird. Es sind Götter verschiedenster Religionen und Weltanschauungen, die sich um den Tisch versammeln. Sie unterhalten sich ausgelassen und verbringen beim Essen eine schöne Zeit zusammen. Zeus erkundigt sich bei Jesus, wo denn sein Vater sei, worauf dieser antwortet: «Überall.» Zeus schaut irritiert um sich, da ergänzt Jesus, er mache nur Spass: «Dad ist beschäftigt.» Aphrodite erhält ständig Nachrichten in der Dating-App, und Ganesha ärgert sich über die Elefantenwitze von Buddha. Moses sagt zu seinem Tischnachbarn Ron: «Ron, lass uns beim Essen nicht über Religion sprechen». Angesprochen wird hier L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, der die weibliche Bodhisattva Guan Yin, Göttin der Barmherzigkeit, fragt, ob sie denn schon einmal über Scientology nachgedacht hätte, als er feststellt, dass sie berühmt ist. Eine junge Frau erhält einen Anruf. Es ist Mohammed. Er kann leider nicht kommen, weil er die Kinder von der Kita abholen muss. Zeus, der nicht unhöflich sein will, fragt, welche Religion sie repräsentiere, worauf diese antwortet: «Keine.» Sie, die Konfessionslosen, seien die die am schnellsten wachsende Gemeinschaft Australiens.
Ganesha meint, sie sollten sich häufiger treffen, worauf Luke Skywalker erwidert, dies würde die Galaxie zu einem schöneren Ort machen. Dionysos fragt, worauf sie anstossen wollten. Die Atheistin schlägt vor: «Auf Lamm, das Fleisch, das wir alle essen können.» und alle stossen auf das «Lamm» an.

Schliesslich entpuppte sich das Video als Lammfleisch-Werbung des australischen Fleischproduzenten Meat & Livestock Australia (MLA) und löste eine heftige Reaktionswelle aus.

Theologie der Religionen am Esstisch

Was hier als humorvoll gedacht war, bringt unter kritischer Betrachtung mehrere Probleme auf unterschiedlichen Ebenen mit sich. Das Video nutzt als Kommunikationsmedium «Humor». Das kann für die Darstellung von Religion für die einen äusserst unterhaltsam sein, für andere aber sehr verletzend. So verwundert es nicht, dass sich einige Stimmen gegen dieses Video erhoben haben. Die australische Hindu-Gemeinschaft war höchst empört, da Ganesha als Vegetarier niemals Fleisch essen würde. Problematisch an diesem Video ist auch die Darstellung des interreligiösen Dialogs. Zwei Dinge fallen besonders auf: Erstens wird ein ganz bestimmtes Setting inszeniert, ein gemeinsames Essen. Das erinnert stark an das Letzte Abendmahl – ein zentrales Motiv im Christentum. Dadurch wird, wie so oft, der interreli- giöse Dialog durch das Christentum dominiert.

Ein zweiter Aspekt ist der im interreligiösen Dialog weitverbreitete Wunsch nach etwas, das alle Religionen vereint. Das wird im Schlusssatz, Lammfleisch sei das, was alle essen könnten, deutlich. Hinter diesem Wunsch, beziehungsweise hinter dem Ziel, dasjenige zu finden, was alle Religionsgemeinschaften teilen, steckt ein bestimmtes Programm: der religionstheologische Pluralismus. Der religionstheologische Pluralismus ist ein Modell innerhalb der Theologie der Religionen, die sich mit der Frage auseinandersetzt, was es für das Christentum bedeutet, dass es andere Religionen gibt und wie damit umgegangen werden soll. Der Pluralismus sagt, es gebe verschiedene Wege, die zur Erlösung führten, die auch in anderen Religionen gefunden werden können. Dies im Gegensatz zum Exklusivismus, der dies komplett negiert und dem Inklusivismus, demzufolge in anderen Religionen nur ansatzweise Heil gefunden werden kann. Hinter der Pluralismus-These steckt die Annahme, allen Religionen sei ein Gemeinsames, die letztgültige Realität, Gott, übergeordnet.

Bei den anderen kosten

Dieser vieldiskutierten These gegenüber steht ein neueres Modell: der Partikularismus. Der Partikularismus ist schwerer zu fassen. Im Kern aber werden die Unterschiede zwischen den Religionen über die Gemeinsamkeiten gestellt und ein alle Religionen verbindendes Element wird abgelehnt. Vielmehr wird die Einzigartigkeit jeder Religion betont. Es ist durchaus möglich, dass der Heilige Geist auch in anderen Religionen wirkt, doch können wir immer nur aus unserer eigenen religiösen Tradition sprechen und keine Aussagen über andere machen. Die Stärke dieses Modells liegt darin, die anderen Religionen in ihrem Anderssein zu respektieren, ohne Gemeinsamkeiten suchen und finden zu müssen. Das macht das Buffet am runden Tisch der Religionen vielseitig und wir können einander dazu einladen, einmal bei den anderen zu kosten.

Miriam Schneider*

 

 

* Miriam Schneider ist Assistentin am Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern. Link zum erwähnten Videoclip: www.bit.ly/2UihlbT