«Der Mensch braucht Arbeit»

Alois Gmür ist Braumeister in der eigenen Familienbrauerei und CVP-Nationalrat. Wie er wirtschaftliches Denken und christliches Engagement in Einklang bringt, erzählt er im Interview mit der SKZ.

Alois Gmür (Jg. 1955) ist Braumeister in der Familienbrauerei Rosengarten AG in Einsiedeln SZ. Er war Bezirksrat und Bezirksammann in Einsiedeln sowie von 2004 bis 2011 Kantonsrat. Seit 2011 ist er für die CVP im Nationalrat. (Bild: zvg)

 

SKZ: Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Alois Gmür: Mein Vater hat bereits politisiert, er war CVP-Kantonsrat. Ich selbst engagierte mich schon immer in der Jugendarbeit; unter anderem war ich im Vorstand des Verbandes katholischer Pfadfinder. Dadurch erhielt ich Freude an der Arbeit in einem Vorstandsgremium und lernte, mit Menschen umzugehen. Ausserdem war ich schon immer gesellig und diskutierte gern. Als ich die Anfrage erhielt, mich als Bezirksrat zur Verfügung zu stellen, habe ich zugesagt.

Warum gerade die CVP?
Wie gesagt, war bereits mein Vater in der CVP. Ich bin überzeugt, dass sie die beste Partei ist; für mich kommt keine andere in Frage. Ich pflege die christlichen Werte und bin praktizierender Katholik. Ausserdem ist die Politik der CVP nicht schwarz-weiss. Wir versuchen immer, durch Kompromisse Lösungen zu finden, und das ist meines Erachtens etwas vom Wichtigsten im Leben.

Als Christ pflegen Sie christliche Werte, doch als Unternehmer müssen Sie auch auf den Umsatz schauen. Wie schaffen Sie die Balance?
Wir schaffen in unserem Betrieb die Balance gut. Unseren Gewinn – der nicht übermässig gross ist – investieren wir sofort wieder in den Betrieb für Erneuerungen zugunsten von Arbeitserleichterungen und Qualitätssteigerung. Wir zahlten in den letzten Jahren auch nie eine Dividende aus. Als Arbeitgeber versuchen wir, gute Löhne zu bezahlen. So bezahlten wir auch jetzt, in dieser schwierigen Zeit der Coronakrise, immer 100 Prozent Lohn, obwohl wir nur 80 Prozent von der Arbeitslosenversicherung erhielten. Wir werden dieses Jahr sicher einen Verlust erleiden, doch wir haben Reserven. Deshalb mache ich mir keine grossen Sorgen.

Eine Aussage von Ihnen lautet: «Die Wirtschaft ist für den Menschen da – und nicht umgekehrt!»
Wir haben viele Unternehmen, die nur das Geld sehen, nicht den Menschen. Das darf nicht sein. Der Mensch braucht Arbeit und deshalb braucht es die Wirtschaft. Selbstverständlich dürfen Unternehmen Gewinn erzielen, doch muss immer der Mensch im Vordergrund stehen; die Arbeitenden dürfen nicht ausgebeutet werden. Es ist die Aufgabe der Unternehmen, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen und einen menschlichen Umgang mit den Angestellten zu pflegen, damit die Menschen Freude an ihrer Arbeit haben. Der Mensch soll durch die Wirtschaft glücklich werden, nicht unglücklich.

Sie setzen sich für eine familienfreundliche Umgebung in der Wirtschaft ein. Wie kann das umgesetzt werden?
Zum Beispiel durch den Vaterschaftsurlaub, der aktuell diskutiert wird. Aber auch durch flexible Arbeitszeiten oder durch die Mitfinanzierung von Kindertagesstätten und Tagesschulen, damit die Angestellten nicht zu viel von ihrem Lohn für die Kosten der Tagesbetreuung ihrer Kinder ausgeben müssen. Wenn ein Kind krank ist, sollte es möglich sein, dass ein Elternteil zu Hause bleiben kann. In unserem Betrieb achten wir z. B. darauf, dass Angestellte mit Familie ihre Ferien in der schulfreien Zeit nehmen können. Wir unterstützen auch die sogenannten Mütter- resp. Vätertage, an denen Kinder ihre Eltern zur Arbeit begleiten, um zu sehen, was diese den ganzen Tag konkret tun.

Sie haben das erste Babyfenster der Schweiz im Spital Einsiedeln eingeführt und sind gegen Abtreibung. Damit stehen Sie selbst in der CVP eher allein da.
Allein bin ich nicht (schmunzelt). Wir in Einsiedeln waren die Ersten in der Schweiz, die ein Babyfenster einführten, und wurden dafür heftig kritisiert, auch von Politikerinnen und Politikern, selbst aus der CVP. Der Hauptvorwurf war, dass das Babyfenster keine wirkliche Lösung sei. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es die letztmögliche Lösung ist, ein Leben zu retten. Mir ist bewusst, dass den Müttern nicht geholfen ist, wenn sie ihr Kind einfach abgeben. Aber ich glaube, dass es den Frauen besser geht, wenn sie wissen, dass ihr Kind lebt, als wenn sie sich ihr Leben lang Vorwürfe machen müssen, ihrem Kind das Leben genommen zu haben. Mehrere Mütter haben Briefe hinterlegt, in denen sie baten, gut für ihr Kind zu sorgen. Sie selbst würden sich von der Situation überfordert fühlen. Einige von ihnen haben sich später gemeldet und wollten ihr Kind zurück. Das ist natürlich das Beste, was passieren kann.1

Seit 2017 sind Sie Präsident des Stiftungsrats der Schweizerischen Pfadistiftung. Nur aus nostalgischen Gründen?
Die Pfadibewegung liegt mir nach wie vor am Herzen. Meine besten Kollegen kenne ich noch aus meiner Pfadizeit und auch alle meine Kinder waren in der Pfadi. Ich finde, sie ist eine sehr gute Jugendorganisation – genau wie Blauring oder Jungwacht. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, zusammen in ein Lager zu gehen oder gemeinsame Anlässe zu pflegen. Innerhalb der Pfadi gibt es den Verband katholischer Pfadfinder. Dieser erarbeitet auch Unterlagen für Besinnungen. In einem Lager gibt es immer wieder Momente, in denen es für Kinder schwierig ist, in einer Gemeinschaft zu leben. Und wenn sie dann spirituelle Hilfe erhalten, ist das sicher gut. Ich setze mich in der Stiftung dafür ein, dass es genügend Lagerplätze gibt und Lagerhäuser gebaut werden können. Ich gebe so der Pfadi zurück, was ich von ihr erhalten habe.

Was nehmen Sie aus der Coronakrise mit?
Mich beeindruckte, wie diszipliniert sich die Menschen an die offiziellen Weisungen hielten. Unsere Kinder sorgten für meine Frau und mich und gingen für uns einkaufen. Es wurde viel Nachbarschaftshilfe geleistet. Der Zusammenhalt in den Dörfern und Quartieren hat mich sehr beeindruckt. Mir fiel aber auch auf, wie wichtig es war, dass die Menschen das Haus verlassen durften. Leider gab es auch viele Unzufriedene. Ich erhielt täglich mehrere Mails und Telefonanrufe von Menschen, die sich über die Massnahmen ärgerten.

Durch die Coronakrise gab es Umsatzeinbrüche, doch der Brauereiverband ruft nicht nach staatlicher Unterstützung. Warum nicht?
Es gibt verschiedene staatliche Unterstützungen. Wir beantragten z. B. bei der Arbeitslosenversicherung Kurzarbeit. Einige Brauereien mussten auch die Liquiditätshilfen in Anspruch nehmen. Die Bierbranche bezahlt pro Jahr 115 Mio. Biersteuern. Für Wein gibt es keine analoge Steuer. Nun hat das Parlament beschlossen, für die Vermarktung von Schweizer Wein zehn Millionen zu bezahlen. Während die Brauereien dem Staat Geld abgeben, erhält die Weinbranche vom Staat einen Beitrag, obwohl sie selbst keine Abgaben leisten muss. Das ist ungerecht und nicht angebracht.

Was halten Sie von den Diskussionen, das C aus dem Parteinamen zu entfernen?
Die Menschen müssen aufgrund unserer Politik erkennen können, für was die Partei einsteht. An den Taten soll man uns messen und nicht an Äusserlichkeiten wie einem Namen. Ich hänge nicht am C, doch muss unsere Partei natürlich nach wie vor eine Politik betreiben, welche die christlichen Werte vertritt. Für viele ist die CVP eine Partei der Katholikinnen und Katholiken und sie gehen deshalb auf Distanz. Das ist schade.

Wie erholen Sie sich?
Der Sonntag ist mir heilig, wobei der Sonntag für mich am Samstagabend mit dem Besuch der heiligen Messe beginnt. Den Sonntag geniesse ich mit meiner Frau bei einem Spaziergang oder bei einem Ausflug mit den Grosskindern. So schöpfe ich wieder Kraft. Aber ich möchte dazu sagen, dass ich alles, was ich mache, gern tue: Im Betrieb arbeiten und Politik betreiben sind für mich keine Belastung, sondern eine Freude. So muss ich mich nicht gross erholen. Ich nehme jeden Tag so, wie er kommt und mache das Beste daraus.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Das Babyfenster im Spital Einsiedeln gibt es seit 2001. Seither wurden 14 Kinder ins Fenster gelegt. Weitere Babyfenster gibt es in Bern, Davos GR, Olten SO, Zollikon ZH, Bellinzona, Basel und Sitten.