Altes Buch in neuer Sprache

Die überarbeitete Einheitsübersetzung ist seit Dezember 2016 erhältlich. Thomas Markus Meier hat einen kritischen Blick auf die Übersetzung gewagt.

«Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte» (Gen 11,1) – so erzählt die Bibel am Anfang der Turmbaugeschichte. Sprache und Wörter sind ein-deutig, klar. Am Ende dieser Geschichte ist die Sprache der ganzen Erde verwirrt und die Menschheit zerstreut.

Eine neue Sprache finden

Weil nun eben die «Sprache der ganzen Erde» (Gen 11,9) verwirrt ist, müssen wir Sprachen übersetzen, Wörter finden, die das Gemeinte treffen. In der ehemaligen Einheitsübersetzung war nicht die Rede von der «Sprache der ganzen Erde», sondern von der «Sprache aller Welt». Beim Übersetzen gibt es zwei Hauptrichtungen: Versuche ich, den Ausgangstext in der Zielsprache abzubilden, oder soll die Zielsprache möglichst ungekünstelt klingen, als «Allerweltssprache» sozusagen, wobei kaum heraushörbar wird, dass es ein übersetzter Text ist?

Wer die Revision der Einheitsübersetzung mit der Fassung von 1979 vergleicht und die Unterschiede sodann in anderen deutschsprachigen Bibelübersetzungen nachschlägt, wird etwas Interessantes feststellen: Es gibt Übersetzungstraditionen, die ganz nah an den Ausgangssprachen bleiben wollen, wie etwa die «Elberfelder Bibel». Am andern Rand des Spektrums liegen Übersetzungen, die möglichst die Alltags-, die Allerweltssprache im Fokus haben (etwa «Die gute Nachricht» oder «Hoffnung für alle»).

Von den Übersetzungen, die in anderen kirchlichen Traditionen im Gottesdienst vorgelesen werden («Zürcher-Bibel» oder «Lutherbibel 2017»), unterschied sich die ehemalige Einheitsübersetzung oftmals darin, dass sie sich weiter von den Ausgangssprachen entfernt hatte und vergleichbar mit der «Guten Nachricht» oder «Hoffnung für alle» übersetzt worden war. Neu will die Revision das Fremde und Eigentümliche, das der Bibel und ihrem Stil anhaftet, wieder deutlicher machen. Oder einst getilgte, scheinbar redundante Wörter (etwa «siehe») wie ein Signal einblenden: Hier ist Bibel, hier klingt es auch anders (vgl. Kapitel 4 «Grundlinien und Schlaglichter der Revision» im Anhang der neuen Bibelausgabe).

Und so klingt es anders, wenn das Gemeinte zwar klar ist, aber ungewohnt tönt oder heute anders ausgedrückt würde: «Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte.» In der ehemaligen Einheitsübersetzung war der hebräische Text nicht nur übersetzt, sondern gewissermassen auch korrigiert worden: «Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte.» Sprache ist oft mehr, als was Menschen sprechen. Sprache transportiert Ideen, Welten, Mentalitäten. Sprache kann eine vergangene Welt wieder erklingen lassen. Sprache hat zu tun mit dem Boden, auf dem gesprochen wird: «Die ganze Erde hatte eine Sprache.»

Vom Schilfmeer zum HERRN

Soweit ich es überblicken kann, hat die Revision den Text sehr genau angeschaut (Re-vision) und revidiert, wo es den Text zu klären, zu verbessern, umzuformulieren galt. Dabei wurden Veränderungen sehr sorgfältig durchgezogen, sodass ein verändertes Wort bei allen einschlägigen Stellen angepasst wurde. Als Beispiel nenne ich das «jam suf», das Schilfmeer – allerdings gefällt mir just da die Revision nicht. Denn entgegen ihrer erklärten Absicht, aus dem Hebräischen zu übersetzen und nicht der (griechischen) Septuaginta zu folgen, geht sie beim Schilfmeer nach Letzterer und schreibt neu immer «Rotes Meer», was kaum eine andere deutschsprachige Bibelübersetzung macht. Die einzige mir bekannte Ausnahme ist «Neues Leben», eine evangelikale Übersetzung, allerdings aus dem Englischen.

Einige markante Änderungen wurden schon vielfach kommentiert und schafften es gar in die Boulevardpresse, etwa dass «Adam» neu korrekt als Gattung («Mensch»/«Erdling») und nicht mehr als Eigenname wiedergegeben ist. Oder dass die Direktive Papst Benedikts XVI. umgesetzt ist, aus Respekt vor der jüdischen Tradition den Namen Gottes nicht mehr auszusprechen (siehe «Bibel heute» 1/2018, 6). Und so wird das Tetragramm (JHWH) nicht mehr ausgeschrieben, sondern immer in Kapitälchen als HERR wiedergegeben. Hier hätte ich mir allerdings eine mutigere, originellere Entscheidung gewünscht – sichtbar wird die Unzulänglichkeit dort, wo im Hebräischen das Tetragramm JHWH von «Adonai»/«Herr» begleitet wird. Da weicht die Revision aus und schreibt «Herr GOTT».

Post-it oder Buch?

Mit zwei konkreten Beispielen möchte ich die Ausführungen zur Revision erden. «Die ganze Erde hatte eine Sprache» gilt eben nicht mehr. Es gibt eine Vielzahl von Übersetzungen und oft lohnt sich der Vergleich, weil sich dann eine Breite des Bedeutungsspektrums auftut.

Das erste Mal, dass die Bibel von einem Buch spricht («sefer»), ist die berühmte Szene, in der Mose, wortwörtlich unterstützt von Aaron und Hur, seine Hände im Kampf gegen Amalek ausstreckt. Da soll der Kampf gegen das Heimtückische, gegen Angriffe hinterrücks, in ein «Buch» («sefer») geschrieben werden. Die Revision schreibt neu «Buch», wo früher «Urkunde» stand (Ex 17,14). Es mag zwar wenig Text gewesen sein, aber es ging um mehr als einen «Fresszettel» – zumal der Überlebenskampf später ganze Bände füllen wird. Festhalten, festschreiben in einem Buch – die Bibel als Ganzes ist ein Buch der Erinnerung, zum Lesen und Wiederlesen.

Geradezu ein (Vor-)Lesemarathon ist im Buch Josua beschrieben. Auf dem Berg Ebal baut Josua einen Altar und schreibt auf dessen Steine ein Doppel der Weisung des Mose, der Tora. Wie hat nun die ehemalige Einheitsübersetzung diese Szene auf Deutsch formuliert? «Und Josua brachte dort auf den Steinen eine Abschrift des Gesetzes des Mose an; er schrieb vor den Augen der Israeliten darauf» (Jos 8,32). Das klingt wiederum etwas nach Fresszettel, nach Post-it: Josua heftet den Bibeltext an die Steine. Und dann wird wiederholt, er habe geschrieben.

Wie aber steht es im Bibeltext? Wörtlich übersetzt ginge es in etwa so: «Und er schrieb dort auf die Steine ein Doppel der Weisung des Mose, die (jen)er geschrieben hatte angesichts der Söhne Israels.» Es geht also um ein Schreiben – quasi In-den-Stein-Meisseln, damit das Wort dauerhaft bleibt. «Wie geschrieben steht» dauerhaft, Buchstabe für Buchstabe, kein Post-it, kein «Copy/paste».

Die Szene wird so viel eindrücklicher: die Bibel live abgeschrieben, rekapituliert. Die ehemalige Einheitsübersetzung hatte sich vielleicht ausgemalt, wie mühsam und langwierig das für das Volk gewesen wäre, und hat Josua deshalb einfach eine Abschrift anbringen lassen. Aber vielleicht ging es vielmehr darum, zu erzählen, wie im gelobten Land zum ersten Mal ein Altar errichtet und ein Opfer dargebracht wird. Wie Josua die ganze Tora an den Altar schreibt und sie ein paar Verse später vorlesen wird. Das ist in der Tat wenig realistisch, vielmehr spirituell: Opferkult geht einher mit Wortverkündigung. Das erste Opfer im verheissenen Land ist gleichzeitig eine monumentale Wort-Gottes-Feier. Es gibt den Altar als Tisch des Brotes und des Wortes – wie es später das Zweite Vatikanum formulieren wird.

Wie steht nun die fragliche Stelle in der revidierten Einheitsübersetzung? «Und dort schrieb er auf die Steine eine Abschrift der Weisung des Mose, die dieser geschrieben hatte vor den Augen der Israeliten.» Gut ersichtlich, dass diese Übersetzung viel genauer ist. Auch wird nicht mehr (damals wohl aus stilistischen Gründen) Josuas Name wiederholt, sondern, wie im Hebräischen, das Pronomen gewählt. Aus dem Zusammenhang ist klar, dass Josua gemeint ist.

Josua, in der ehemaligen Einheitsübersetzung, brachte eine Abschrift an und überschrieb sie. Ein Stück weit wäre das ja ein Bild für eine Übersetzungsrevision. Der Text wird nicht gänzlich neu eingeschrieben (übersetzt), sondern nur umgeschrieben, angepasst, wo nötig. Als solches dünkt mich die Revision weitgehend gelungen und eine Verbesserung. Und sie öffnet neue Blicke, wie in der soeben beschriebenen Szenerie.

In der Offenbarung des Johannes (Offb 10,2) erblickt der Seher ein geöffnetes kleines Buch. In der ehemaligen Einheitsübersetzung war das Büchlein, etwas freier übersetzt, «aufgeschlagen». In der Revision nun ist das geöffnete Buch wie eine Vorschau auf den geöffneten Tempel ein Kapitel später (Offb 11,19). Buch und Tempel werden aufgetan. Neu übersetzt heisst neu lesen – mir hat die Revision manches in der Schrift neu aufgetan!

Thomas Markus Meier

 

Auf Facebook («Biblioblog») kommentiert Thomas Markus Meier unter anderem die Veränderungen der Revision – gut die Hälfte aller biblischen Bücher sind bereits behandelt.
www.facebook.com/Nutzernamenfrei/?ref=bookmarks


Thomas Markus Meier

Dr. theol. Thomas Markus Meier (Jg 1965) arbeitet als Pastoralraumleiter der Pfarrei St. Anna Frauenfeld und ist Mitglied der Redaktionskommission der SKZ. Auf Facebook betreibt er die Seite Biblioblog. Dort bespricht er Beobachtungen zur Bibel und kommentiert auch die Übersetzungsänderungen der revidierten Einheitsübersetzung – es fehlen nur noch die Samuelbücher, Teile von Jesaja und Ezechiel sowie das ganze Jeremiabuch. www.facebook.com/Nutzernamenfrei