Zwei Interreligiöse Kongresse

Zwei interreligiöse Geschwister-Organisationen führten im August in Birmingham (England) ihren Kongress durch: Die 1900 gegründete "International Association for Religious Freedom" (IARF) und der 1910 entstandene Zweig der "International Association of Liberal Religious Women" (IALRW). Die Eröffnungsfeier des IALRW-Kongresses in der Kathedrale St. Philip in Zusammenarbeit mit der anglikanischen Priesterin Catherine Ogle, Dekanin der Kathedrale von Birmingham, war selbst ein solches geglücktes Experiment. Ogle schilderte die wertvolle und bereichernde Interkulturalität der Millionenstadt sowie die interreligiöse Arbeit, u. a. mit den Vertretern der Sikhs, des Islams, Buddhismus, Hinduismus oder Judentums, die alle in der "Faith Leaders Group" vertreten sind. So entstand vor einigen Jahren das "Interfaith Encounter Program", das in einer DVD für den Kongress den Betrachter auf einer je zehnminütigen Führung ins Kultgebäude von sechs ausgewählten Religionen mitnimmt. "Die Diversität macht meine Nachbarschaft aus", meinte Ogle, "chinesische Methodisten oder irakische Christen, Katholiken, afrikanisch-karibische Anglikaner, die alle untereinander Kontakte pflegen. Wir müssen aber bewusst Gelegenheiten schaffen, um den Leuten zu begegnen, die anders sind."

Religionsfreiheit und Dialog

"Raising our Voices for Change toward a Sustainable World" umfasste als Leitthema des IALRW-Kongresses die Schwerpunkte: Religionsfreiheit und interreligiöser Dialog; nachhaltiger Lebensunterhalt und Stärkung von Frauen; nachhaltige Umwelt und Ökologie; Friedenserziehung und Menschenrechte. Als erste Weltorganisation von Frauen mit (liberaler) interreligiöser Ausrichtung hat die IALRW mit der Professorin Kamar Oniah Kamarazuma (Malaysia) die erste muslimische Präsidentin gewählt. Die abtretende Präsidentin und Professorin in Tokio, Kathy Matsui, brachte Einsichten aus einem Workshop in China zu Versöhnung von historischen Konflikten in Bezug auf das von Japanern angerichtete Nanjing-Massaker von 1937 ein. Die Thematik zeigte, wie lange psychosoziale Traumata und historische Konflikte nachwirken können. Bis heute ist die Geschichte Japans nicht genügend aufgearbeitet, v. a. in Bezug auf die "Comfort Women".

Am nachfolgenden 34. IARF-Kongress zum Thema "Digitales Zeitalter und Menschenrechte" nahmen Schweizerinnen und Schweizer des Vereins "libref" (liberal reformiert) teil. Der früher Schweizerischer Verein für Freies Christentum benannte Verein, entstanden 1871, war 1900 Gründungsmitglied der IARF. Andreas Peter (Pfarrer Neumünster Zürich) äusserte sich zufrieden über die Begegnungsmöglichkeiten, wo Schwierigkeiten in der freien Religionsausübung zur Sprache kamen. Die IARF richtete eine Botschaft an die Öffentlichkeit zur aktuellen "grössten Bedrohung der religiösen Freiheit" mit der Aufforderung an alle religiösen und internationalen Gemeinschaften sowie die UNO, sich gegen hasserfülltes Handeln, Töten oder Vertreiben von Jesiden, Christen, Schiiten und andern Glaubensvertretern zu richten. Sie schloss sich dem Bischof von Coventry, Rabbinerin Laura Janner Klausner, Bischof Angaelos und Vertretern der orthodoxen Christen, des Islams, von Hindus, Sikhs und Anhängern des zoroastrischen Glaubens an in der Erklärung, das Geschehen im Norden Iraks sei eine "Tragödie historischen Ausmasses, in welcher Tausende unschuldiger Menschen in unmittelbarer Todesgefahr sind einzig aufgrund ihres Glaubens": "Wir drängen die muslimischen Gemeinschaften, ihre Anstrengungen zu verdoppeln und gemeinsam die Barbarei des IS zu verurteilen."

Religion und Demokratie

Das Referat zu "Faktoren der Steigerung und Hinderung des Einflusses von Religion auf die demokratische Entwicklung" von Caecilia J. van Peski (NL), OSZE-Beobachterin in der Ukraine, untersuchte das Verhältnis von Religion und Demokratie. Entgegen früherer Forschung hat sich der positive Einfluss von Religiosität auf demokratische Werte und Normen erwiesen. Kirchen besitzen ein grosses Potenzial für eine freiheitliche Demokratie, religiöse Aktivität führt zur Entwicklung ziviler Fähigkeiten und Normen und liefert eine organisatorische und philosophische Basis für einige soziale Bewegungen. Wenn religiöser Glaube positiv mit konservativ-traditionellen Werten und negativ mit Offenheit für Veränderung von Religion und Kontext verbunden werde, so Peski, sei im Kontrast dazu Demokratisierung positiv bezogen auf Offenheit für Veränderung, Betonung des unabhängigen Denkens, universelle Ausrichtung, Naturrechte und Gleichstellung. Negativ jedoch sei sie bezogen auf Werte wie Konformität, Tradition und Sicherheit. Das ergebe einen inhärenten und systematischen Wertekonflikt zwischen religiösen und demokratischen Wertesystemen. Religiöser Glaube könne durch konservativere Werte Demokratie unterminieren, ein religiös soziales Vehalten dagegen bewirke eine Unterstützung von Demokratie, indem sie grösseres Vertrauen in Institutionen und politisches Engagement fördere. Nicht der religiöse Glaube und religiöses Verhalten selbst bewirken eine demokratische Haltung, betonte sie, vielmehr Werte und Verhaltensweisen, die sie dem religiösen Individuum vermitteln. Sie zog die optimistische Schlussfolgerung, dass so Raum für Interventionen entstehe und insbesondere Menschen zum Verständnis demokratischer Normen und zur Beschwichtigung des Wertekonflikts erzogen werden, der in nichtdemokratischen Tendenzen mitschwinge und dem Gläubigen oft vermittelt werde.

Konversion zum Islam und Islamismus

Aston Walker aus Birmingham, Sohn eines Sklaven und Menschenrechtsaktivisten von Barbados, Computerspezialist und Künstler, sprach zum Thema Digitales Zeitalter. Der Konvertit – als junger Erwachsener trat er zum Islam über – gab zugleich einen Einblick in die Befindlichkeit junger Muslime in Westeuropa. Seine eigene Vergangenheit war von einem gewalttätigen Lebensstil geprägt. Bei Muslimen erfuhr er ein absolutes Verständnis von Gott als Schöpfer sowie Zugehörigkeit und das Gefühl, ein Mann zu sein. Erst später wurde ihm der Extremismus seiner neuen Umgebung als Zerrbild eines Islams bewusst. Er sollte als Dschihadist nach Afghanistan und Bosnien reisen. Seine Mutter riet ihm, dies genau zu prüfen. Das kritische Buch (Titel: "Al-Albani Unveiled") deckte ihm die wahren Hintergründe, politischen Einflüsse und Interpretationen des Korans bei den Islamisten auf. Walker beschrieb, wie Immigranten ihre Bräuche aus der Heimat mitgebracht haben und sie weiter pflegen. Darin zeige sich ein Desinteresse am Gastland. Die meisten Immigranten wollten ihren Kindern eine gute Schulbildung geben und sie zu "guten Muslimen" erziehen. Beides zugleich sei jedoch nicht möglich. Über diese Fragen werde aber kaum gesprochen. Solche Muslime verlieren rasch ihre Identität, so Walker. Sie machten dann den Dschihad zu einem Fetisch. Als Konvertit will Walker, der sich selbst als "grassroot" bezeichnet, ein "guter Gast" in England sein. Aufgewachsen in Birmingham, fühle er sich in der englischen Gesellschaft zu Hause. 

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.