Zur ungelösten Frage der Ämter im Kontext der Feiern des Glaubens

Die Liturgiekonstitution war die sichtbarste Frucht des Konzils. Im Rückblick darauf hat die «liturgische Frage» an brennender Aktualität eher zugelegt, wie jüngst Martin Klöckener in seinen Beiträgen1 festhält. Aus der Sicht der praktischen Seelsorge liegt wohl der wundeste Punkt weiterhin bei der Frage der Ämter. Dabei bräuchte die Ordination von Frauen zum Dienstamt nicht zum Nebenschauplatz erklärt zu werden2 und die Lösung des Verhältnisses von kirchlichem Amt und den Laiendiensten nicht auf die lange Bank geschoben. Darum fragt sich, wie sich der bisherige Reformweg in der Praxis mit dem Ziel vereinbaren lässt, die Vergegenwärtigung von Jesus Christus in den Feiern des Glaubens nicht mehr, wie über Jahrhunderte üblich, allein auf die Person und Rolle des Priesters einzuschränken. In dieser einseitigen Zuschreibung nämlich liegt das Kernproblem des kirchlichen Amtes heute.

Der Weg der Reform begann lange vor dem Konzil. Theologie und Praxis gingen dabei Hand in Hand. Die allgemeine Wiederentdeckung der Feiern des Glaubens führte in neuer Priorität zum gemeinsamen Vollzug der gottesdienstlichen Handlungen. Die Erarbeitung der Liturgiekonstitution war auf diesem Hintergrund mehr als folgerichtig. Es war der Dominikaner Yves Congar, der dann 1967 programmatisch über «L’‹Ecclesia› ou communauté chrétienne, sujet intégral de l’action liturgique»3 reflektierte. Demnach erfolgte in der karolingischen Epoche der Umschlag vom ehemals korporativen Verständnis der liturgischen Versammlung zur Kirchenschau, die in der Rolle des – allein Christus repräsentierenden – Priesters gipfelte. In der Folge fokussierte die spätere Entwicklung auf die alleinige Konsekrationsvollmacht durch den Ordinierten. Congar zielte auf die Geschichte der Ekklesiologie «sous l’angle du destin du schème corpus-caput, corps-tête». Das Schicksal des Bezugspaars «Körper/Leib-Haupt» lag für Congar darin, dass der Begriff «caput» oft den Begriff «corpus» absorbiert habe. Darum seine Frage auf dem Hintergrund des Konzils: «Peut-être a-t-on commencé de surmonter cet abus séculaire?»

Mehrfach auf die Studien von Yves Congar Bezug nehmend diskutierte zehn Jahre später Leonardo Boff ebenfalls auf dem Boden der Tradition die Möglichkeit «ausserordentlicher Diener der Eucharistie».4 Er war damit erfolglos. Weitere Vorschläge seitens Edward Schillebeeckx' u. a. zeigten die Dringlichkeit auf, der ungelösten «Ämterfrage» endlich die Spitze zu brechen. Die Feststellung ist berechtigt: In der Ämterfrage riskierten seit den Tagen des Konzils zahlreiche Personen immer wieder Kopf und Kragen. Ist es darum, weil mit dem Vatikanum II die Einbindung des «Ordo» in das korporative Ganze der Kirche erst zur Hälfte erreicht worden ist? Die Anfrage eines Fachmanns für Kirchenbau zielt denn auch ins Zentrum: «Sagen Sie mir, warum sich bei Anpassungen in Kirchenräumen, die Geister über der Frage der Anordnung der Trias Altar / Ambo / Priestersitz derart scheiden?» Antwort: «Ich vermute an der ungelösten Frage, wie sich in und durch die Feier des Glaubens die Vergegenwärtigung Christi darstellen lässt.»

Die Lösung liegt m. E. nicht darin, die in der Feier des Glaubens vollzogene Vergegenwärtigung Christi einzig auf die ordinierte Person zu konzentrieren. Unabdingbar ist die Aufteilung der liturgischen Rollen. Diese sind im Vollzug sorgfältig aufeinander abzustimmen. Denn erst im liturgischen Dialog entfaltet sich der Kontakt mit dem letzten und transzendenten Subjekt der liturgischen Aktion, mit Jesus Christus. Auf ihn ausgerichtet vollzieht sich das Beten – in stets neuer Individualität – in der Versammlung und im gemeinsamen Ritus, der getragen vom göttlichen Geist von allen einzelnen Gliedern des Leibes Christi vollzogen wird. Anders gesagt: Wo die Versammlung nicht auf «Empfang» eingestellt ist, entfaltet sich auch nicht die Atmosphäre christlicher Liturgie, die mit dem Zweiten Vatikanum definitiv aus dem Dornröschenschlaf der Privatheit gerissen wurde.

Beinahe skurril wirkt darum mancherorts der Vollzug von Eucharistiefeiern. Personen, die in Gruppen um den Altar feiern, drängen sich darauf zu, ohne rollenspezifisch «offene Räume» zu berücksichtigen, und geraten über diese Frage in sinnlosen Streit. Oder die räumliche Anordnung jener, die um den Altar feiern, grenzt sich ab von der Versammlung der Mitfeiernden. Längskirchen wirken so, dass «vorne» am Altar fast konventikelhaft «aufgesetzt» gefeiert wird. Weiterhin herrscht ein «monarchischer» Christomonismus vor, so dass die Mitfeiernden im Schiff den Eindruck nicht wegwischen können, einem Kreis von Aristokraten gegenüberzustehen. Mit der Grundanlage des Kirchenraumes konfrontiert, wird bei der Erneuerung solcher Räume sorgfältig darauf geachtet werden müssen, wie sich der ganze Leib Christi in ihm atmosphärisch spürbar repräsentieren lässt.

1 Martin Klöckener: Die «Liturgische Frage»: Ein brennendes Thema der Gegenwart. Inspirationen aus der Liturgiekonstitution des Konzils, in: SKZ 181 (2013), 755–758, 772–779, sowie zwei Einträge von Eva-Maria Faber im empfehlenswerten www.konzilsblog.ch, 21./ 22. Dezember 2013.

2 Im Blick auf neue Kirchenmodelle äussern sich Doris Strahm und Heidi Rudolf über «Leitungsfunktionen von Frauen in der Römisch-Katholischen Kirche» als Teil der Studie des Interreligiösen Thinktank «Rabbinerinnen, Kantorinnen, Imaminnen, Muftis, Pfarrerinnen, Bischöfinnen, Kirchenrätinnen … Leitungsfunktio-nen von Frauen im Judentum, im Christentum und im Islam» April 2011, 32–46. Kostenloser Download auf www.interrelthinktank.ch (ITT_Studie_2011_web.pdf).

3 Das über Jahrhunderte bestehende Missverhältnis erläuterte Yves Congar in: L’Ecclesia ou communauté chrétienne, sujet intégral de l’action liturgique, in: J.-P. Jossua / Y. Congar: La Liturgie après Vatican II. Bilans, études, prospective. Paris 1967, 241–282, hier 276.

4 Leonardo Boff: Der Laie und die Befähigung zur Feier des Herrenmahles. Zweite quaestio disputata, in: Ders.: Die Neuentdeckung der Kirche. Mainz 1980, 100–109, hier 103.


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)