Zerbrechlich, aber unendlich stark Die

Die Schmetterlingskrankheit ist eine entstellende, unheilbare und noch dazu schmerzhafte Hautkrankheit. Ausgelöst wird sie durch einen genetischen Defekt. Das Kinderspital Bethlehem ermöglicht den «Schmetterlingskindern» ein Stück weit Normalität - durch eine ganzheitliche medizinische Versorgung, Aufklärung und Vernetzung der betroffenen Familien.

Yousef Sweiti kam mit der Schmetterlingskrankheit zur Welt – anfänglich ein grosser Schock für die Eltern. (Bild: Meinrad Schade)

 

Der kleine Yousef Sweiti liegt auf einem dicken Kissen auf dem Sofa und quasselt fröhlich vor sich hin. Behutsam küsst seine Schwester den Einjährigen auf den Bauch. Hände und Beine des strahlenden Kleinkinds stecken in Verbänden, im Gesicht verschorfen zahlreiche Wunden. Jede Reibung kann zu neuen Verletzungen führen: Yousef ist ein «Schmetterlingskind», seine Haut ist so zerbrechlich wie die Flügel eines Schmetterlings.

Bei der Geburt ein Schock

Bei Yousef wurde die Krankheit schon bei seiner Geburt sichtbar: Von den Knien bis zu den Fussgelenken, vom Ellenbogen bis zu den Händen ist die Haut des Jungen nicht richtig ausgebildet. Für die Eltern aus dem kleinen ländlichen Dorf Deir Sammit westlich von Hebron war dies ein Schock. «Ich habe mit einem Kaiserschnitt entbunden und das Baby nicht sofort gesehen», erinnert sich Mutter Amani (34). «Aber mein Mann brach beim Anblick des Kleinen zusammen. Man sagte ihm, das Kind wird nicht lange überleben.»

Doch der Vater des Kindes, Abdelrahman (41), will nicht so schnell aufgeben. Er weiss von der guten Versorgung im Kinderspital Bethlehem und besteht auf einer Einweisung. Das Kinderspital kann den Sweitis tatsächlich Hoffnung geben, da es auf die Behandlung der Schmetterlingskrankheit vorbereitet ist. Gleichzeitig verschweigt man der Familie nicht, dass eine schwere Form von Epidermolysis bullosa Yousef Zeit seines Lebens begleiten wird. Nach Yousefs Einweisung auf die Neugeborenen-Intensivstation beginnt die standardisierte Behandlung der unheilbaren Schmetterlingskrankheit. Die Diagnose wird durch einen Gentest bestätigt. Im Spital beginnt sich der Zustand des kleinen Patienten zu stabilisieren. 18 Tage verbringt der Neugeborene auf der Intensivstation, bevor die Mutter ihren Sohn sieht. Amani braucht diese Zeit, um sich mental auf die Begegnung mit ihrem Kind vorzubereiten und wird dabei vom Kinderspital psychosozial betreut. «Es ist wichtig, den Familien zu zeigen, dass sie nicht allein sind», betont die Sozialarbeiterin Hiba Sa'di. «Es ist nicht einfach für eine Mutter, ein schwer krankes und völlig entstelltes Baby zu akzeptieren. Sie müssen erst lernen, die Kinder zu berühren und ihnen Zärtlichkeiten und Liebe zukommen zu lassen.» Der Schock, der ihrem Mann bei der Geburt des Kindes widerfuhr, bleibt Amani deshalb bei der ersten Begegnung erspart.

Spezialisierte Betreuung nur in Bethlehem möglich

Das Kinderspital Bethlehem ist das einzige Spital in Palästina, das in der Lage ist, Kinder wie Yousef zu behandeln. So gehören heute rund 40 Schmetterlingskinder aus 35 Familien zu den Patientinnen und Patienten des Spitals. Die meisten von ihnen kommen aus der Gegend rund um Hebron, aus Beit Fajjar südlich von Bethlehem oder aus Ubeidija an den Abhängen der judäischen Wüste zum Toten Meer. In diesen Orten beginnt sich aber die Aufklärungsarbeit des Kinderspitals langsam auszuzahlen. Der Sozialdienst des Kinderspitals informiert über Bethlehem hinaus über die genetischen Risiken der weitverbreiteten Verwandtenehen. «In den letzten fünf Jahren», erklärt Hiba Sa'di, «haben immer mehr junge Paare in eine Genkartierung vor der Heirat eingewilligt.» Kostenlose Gentests gehören daher ebenso zum Angebot des Spitals wie die Beratung für die betroffenen Familien vor Ort.

Wie sehr die Krankheit das Leben der Betroffenen beeinflusst, hängt nicht zuletzt vom Subtyp und der Schwere des Verlaufs ab. «Das A und O der Behandlung ist eine sachgerechte Pflege der Haut und Wunden, um Entzündungen zu verhindern. Wir unterrichten die Mütter», so Hiba Sa’di, «damit können wir die Spitalaufenthalte der Kinder reduzieren.» Allgemein haben etwa zwei Drittel der Betroffenen eine normale Lebenserwartung. Allerdings überwiegen in Palästina die schweren Fälle, in denen die Genmutation lebensverkürzend sein kann.

Die grösste Herausforderung für die Eltern und das Spital ist die Ungewissheit: «Was einem Kind hilft, kann bei einem anderen ohne Wirkung bleiben. Aber es gibt Leitlinien für jede Behandlung, an denen wir uns orientieren», stellt die Chefärztin des Spitals, Dr. Hiyam Marzouqa, fest. Für die Mütter und Väter dieser Kinder sind zudem Vernetzung und Austausch mit anderen betroffenen Familien wichtig. Hier kommt erneut der Sozialdienst des Kinderspitals ins Spiel. «Wir kennen die Familien und wir bringen sie miteinander in Kontakt», erzählt Sa'di. So fördert das Spital die praktische und emotionale Unterstützung für Betroffene, ähnlich wie bei Selbsthilfegruppen in der Schweiz.

Erfahrungsaustausch führt zu Freundschaft

Im Fall des kleinen Yousef erweist sich das Angebot des Kinderspitals als ein Glücksfall. «Uns wurde gesagt, dass es in unserer Nähe weitere betroffene Familien gibt», erinnern sich Yousefs Eltern. Damit meinten sie Mariam und Samer Darrabi’ aus Dura, die das gleiche Schicksal teilen und langjährige Erfahrung mit der Genkrankheit besitzen. Zwei ihrer Söhne, Yasan (24) und Joud (5), sind wie Yousef Schmetterlingskinder. Eine Schwester Mariams und ein Cousin Samers leiden ebenfalls unter der Krankheit, von der es in der Schweiz nur wenige Fälle gibt. Mariam Darrabi’ ermutigt die besorgten Sweitis, Yousef im Anschluss an die Stabilisierung im Spital nach Hause zu holen. Sie erinnert sich noch gut an die eigene Situation, an den Schock der Diagnose und an das Gefühl der Aussichtslosigkeit. Sie war bei der Geburt von Yasan gerade mal 18 Jahre alt. Auch damals gaben die Ärzte im örtlichen Krankenhaus dem Neugeborenen keine Chance. Doch die Familie insistierte und brachte den Kleinen nach Bethlehem. Yasans und Yousefs Geschichten ähneln sich, gerade deshalb ist Mariam Darrabi’sErfahrung so hilfreich für die Sweitis.

Hilfsbereitschaft und Grosszügigkeit endeten nicht beim Erfahrungsaustausch. «Mariam bot uns an, sich so lange um Yousef zu kümmern, bis wir uns das selber zutrauten», sagt Abdelrahman Sweiti. Mehrere Tage lang kommt Mariam Darrabi’ täglich zu den Sweitis, um bei der Ernährung, beim Baden und Verbandwechsel des kleinen Schmetterlingsjungen zu helfen. «Ich habe ihnen alles Grundlegende beigebracht», sagt Mariam Darrabi’, «jetzt stehen die Sweitis auf eigenen Füssen!» Auch heute sind die beiden Familien vereint. Mariams jüngster Sohn, das Schmetterlingskind Joud, spielt derweil unbedarft mit Yousefs Geschwistern vor dem Haus. Sorgen machen sich die Elternpaare nicht: Inzwischen haben auch die gesunden Kinder gelernt, was die empfindlichen Schmetterlingskinder gerade noch ertragen können und was vermieden werden muss.

Sozialarbeiterin als Vermittlerin

Wenn die Kinder grösser sind, wird der Umgang mit der Krankheit leichter. «Sie wachsen mit ihrer Krankheit auf und lernen zu verstehen, was ihnen Schaden zufügt», ermutigt Mariam Yousefs Eltern, «auch das Immunsystem der Kinder verbessert sich mit der Zeit.» Amani Sweiti hat unterdessen so viel Selbstvertrauen gefasst, dass auch sie ihre Erfahrung als Mutter eines Schmetterlingskindes an andere Betroffene weitergeben will.

Als «Vermittlerin» zwischen den Familien ist Hiba Sa’di vom Sozialdienst des Kinderspitals regelmässig telefonisch in Kontakt mit den Familien oder macht Hausbesuche vor Ort. Verstärkt wird diese Betreuung durch Konsultationen der Familien im Kinderspital Bethlehem, wo sie Verbandsmaterial und Medikamente kostenlos erhalten. In Anbetracht eines monatlichen Mindestlohns in Palästina von umgerechnet rund 390 Franken ist diese Hilfe für betroffene Familien essenziell.

Auch wenn die Schmetterlingskrankheit nicht geheilt werden kann: Die Betreuung des Kinderspitals macht die Flügel der Schmetterlingskinder unendlich stark. Die medizinische, therapeutische und soziale Versorgung durch das Kinderspital ermöglicht den Kindern, ins Leben zu fliegen.

Andrea Krogmann


Epidermolysis bullosa, so die Schmetterlingskrankheit mit wissenschaftlichem Namen, wird durch eine Genmutation ausgelöst. Sie beeinträchtigt die Proteinbildung der Haut und beschädigt dadurch ihre Struktur und Elastizität. In Folge dieses Schadens ist die Haut der Betroffenen extrem leicht verwundbar. Erschwert wird diese Symptomatik durch viele weitere schwere Begleiterscheinungen, wie zum Beispiel Verwachsungen an Fingern und Zehen sowie Blasen an Schleimhäuten, welche die Nahrungsaufnahme und Verdauung erschweren. Trotz vereinzelter Therapieerfolge kann die Medizin die Schmetterlingskrankheit bis heute nicht heilen. Lediglich die Symptome dieser Krankheit lassen sich behandeln.

 

Der Verein Kinderhilfe Bethlehem mit Sitz in Luzern finanziert und betreibt das Caritas Baby Hospital in Bethlehem im Westjordanland. Zehntausende Kinder und Babys werden dort jährlich stationär oder ambulant betreut. Alle Kinder erhalten Hilfe, unabhängig von ihrer Herkunft und Religion. Das Behandlungskonzept bindet die Eltern eng in den Heilungsprozess ihrer Kinder mit ein und das Spital verfügt über einen gut ausgebauten Sozialdienst. Mit 250 lokalen Angestellten ist das Caritas Baby Hospital ein bedeutender Arbeitgeber in der Region. Das Spital stärkt das palästinensische Gesundheitswesen und ist darüber hinaus führend bei der Ausbildung von Ärzten und Pflegenden in der Kindermedizin. Nur dank Spenden kann das Caritas Baby Hospital seine Aufgaben erfüllen und Kinderleben retten.

Unter www.kinderhilfe-bethlehem.ch finden gibt es mehr Informationen über den Verein, das Spital und die aktuelle Situation in Bethlehem.

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Kinderhilfe Bethlehem
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