Das Stakkato der negativen Kirchenschlagzeilen absorbiert in der Pastoral viel Energie für die Problematisierung binnenstruktureller Schwachstellen und lähmt unseren Blick nach aussen. Bei aller gebührenden Seriosität für den immerwährenden Reformauftrag bleibt das tägliche Gotteslob – die Feier der Tagzeitenliturgie, das Hören auf das Wort Gottes, das Bitten um das tägliche Brot und das Kommen des Reiches Gottes – unverzichtbare Quelle für unseren Glauben an die Frohe Botschaft Jesu Christi, für die Liebe, die wir uns immer schulden, und die Hoffnung, die zuletzt stirbt. Diese unentgeltliche, verschwenderisch grosszügige Quelle soll allen zugänglich werden, die danach fragen. Nur scheint die Nachfrage danach eher rückläufig zu sein.
Perspektivenwechsel ad extra
Die Kirchenstatistik informiert nicht bloss über die beklagenswerten Austrittszahlen, sondern auch darüber, dass sich ein wachsender Drittel der Schweizer Bevölkerung als konfessionslos bezeichnet. Ein flüchtiger Blick auf diesen oder jenen Internetauftritt unserer Diözesen, staatskirchenrechtlichen kantonalen Körperschaften und Pfarreien scheinen die Vermutung zu bestätigen, dass bis heute kaum eine geschärfte Wahrnehmung für das Anliegen einer «inländischen Mission» besteht. Etwas salopp formuliert lande ich als interessierter Internetsurfer auf katholischen Kirchenseiten schneller beim Reglement für die Pfarrsaalnutzung als bei einer Erstinformation über die Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Die These aus Regionen, wo der Katechumenat als ordentlich institutionalisierter Initiationsweg in die Pastoral integriert wurde, lautet: Überall da, wo die Kirche vor Ort ein missionarisches Bewusstsein entwickelt, klopfen fernstehende Erwachsene an die Tür. Wer diese Signale der Offenheit, der Gastfreundschaft, der Willkommenskultur nicht aussendet, muss sich auch nicht wundern, dass sich niemand für sie interessiert.
Zugang zur Quelle der Hoffnung
Diesen missionarischen Perspektivenwechsel einzuüben gehört zum spirituellen Alphabet jeder christlichen Gemeinde. Hierbei fällt den Pfarreiverantwortlichen vor allem die Rolle zu, die diakonischen Charismen zu fördern und zu vernetzen. Und in hartnäckiger Regelmässigkeit zu signalisieren, dass unsere Türen stets offen sein müssen für Menschen, die staunend «sehen, wie wir einander lieben» (Tertullian). Wie könnte ein näheres Kennenlernen anders gehen als durch Begegnung und Freundschaft («kommt und seht»; Joh 1,39). Solche Annäherungen sollen sich in einer Atmosphäre grosszügiger Gastfreundschaft ohne formelle oder administrative Hintergedanken über Jahre hinziehen dürfen. Wenn die Zeit reif erscheint, markiert in einer kleinen Feier in intimem Rahmen der schlichte Ritus der Bezeichnung mit dem Kreuz den Beginn einer ernsthafteren Auseinandersetzung mit dem Glauben, der als Weg konzipiert ist. Der Katechumenat strukturiert eine solche Hinführung über mindestens ein Jahr hindurch durch Phasen, die das geistliche Wachsen und Reifen der Interessierten stützen.1
«Shepherds don’t make Sheep; Sheep make Sheep»
Diese auf den ersten Blick banale Aussage tat als eine Art Leitmotiv im praktisch flächendeckenden Aufbau des Katechumenats in den USA seit den 1980er-Jahren seine Wirkung. Denn der alles entscheidende Punkt ist das Kirchen-, Amts- und Sakramentsverständnis, das im Katechumenat unterschwellig vermittelt wird: Das Hineinwachsenhelfen in die Kirche ist Aufgabe der «Schafe», nicht der «Hirten»! Aufgabe der Pastoralverantwortlichen ist die Strukturierung des Weges und des Weckens und Vernetzens der Charismen. Den Weg gehen die Katechumenen aber mit Frauen und Männern jeden Alters und beruflichen Hintergrunds, die bereit sind, ihren Glauben zu teilen. Der Austausch über die Sonntags-Perikopen spielen hierbei eine zentrale Rolle. Das wiederum wirkt sich zwangsläufig aus auf die biblische Kultur einer Ortspfarrei bzw. Seelsorgeeinheit. Und durch die Stufenfeiern auf dem Weg durchs Kirchenjahr hin zur Feier der Initiationssakramente in der Osternacht wird der ganzen Feiergemeinde bewusst, dass unser Glaube einladend und befreiend ist. Zudem entsteht ein Bewusstsein für die prozessuale Dimension der sakramentalen Realität der Kirche. Um es ganz deutlich zu sagen: Es geht gerade nicht um Katechismusunterricht durch geschulte Fachleute im Setting des Frontalunterrichts. Von eben diesen Fachleuten ist im Gegenteil die Demut abverlangt, «bloss» Räume zu schaffen, in denen sich Freundschaften unter Menschen entwickeln können, die alle pilgernd unterwegs sind. Freilich wird da und dort in einem Bibelgespräch oder bei einer hitzigen Diskussion ein klärendes oder weiterführendes weises Wort nötig sein. Aber der Erste Pädagoge im Glaubensprozess ist Gott Vater selbst durch Christus im Heiligen Geist, der mittels priesterlicher, prophetischer und königlicher Menschen in der Pfarrei seine Kirche aufbaut. Diese Ekklesiologie zu hüten und zu fördern ist Aufgabe der fachtheologischen Leitung. Nichts mehr aber auch nichts weniger.
Willkommenskultur auf allen Ebenen
Wenn der Bischof in einem einfachen und doch feierlichen Gottesdienst alljährlich alle Kandidatinnen und Kandidaten zur Feier der Taufe zulässt und sie zur letzten Etappe der Vorbereitung sendet und segnet, wird deutlich, dass die Aufnahme in die Gemeinschaft der Kirche durch den erfolgt, der für diese Ortskirche die apostolische Verantwortung trägt. Und die Katechumenen haben ein Anrecht auf diese Erfahrung, nicht Einzelne zu sein, sondern «Legion»: eine aus dem ganzen Bistum zusammengerufene grosse Gruppe. Auf welcher Ebene der Gruppenprozess organisiert wird, will gut überlegt sein. In der Westschweiz ist der Erwachsenenkatechumenat seit den 1980er-Jahren kantonalkirchlich organisiert, jener für Kinder im schulpflichtigen Alter indes auf der Pfarreiebene (im Rahmen der Katechese). Das entscheidende Kriterium ist die reale Verankerung der Interessenten in eine ortskirchliche Realität. Wo auch immer die konkrete Katechumenatsgruppe unterwegs ist, ob auf Pfarrei-, Seelsorgeeinheits- oder Bistumsregionsebene: Kirche erneuert sich durch das Engagement der Getauften. Je mehr von ihnen diese missionarische Perspektive einüben – angefangen beim täglichen Morgenlob über das Pfarreileben bis zu den diözesanen Diensten –, desto stärker wird Kirche als eine Realität erlebt werden, die nach aussen ausstrahlt.
Peter Spichtig OP