Würde der menschlichen Person

1965 wurde die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit «Dignitatis humanae (personae)» (Würde der menschlichen Person) veröffentlicht. Aus diesem Anlass führten die Professuren für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht sowie für Philosophie der Theologischen Fakultät der Universität Luzern am 12. Oktober 2015 eine Veranstaltung durch.

Das Ziel war es, die der Konzilserklärung zugrundeliegenden Begriffe der Person und der Menschenwürde aus philosophischer, kirchenrechtlicher und sozialethischer Perspektive zu untersuchen. Adrian Loretan hat die Tagungsbeiträge in einem Sammelband1 herausgegeben und eine Einführung verfasst.

Personenwürde an erster Stelle

Gut 200 Jahre nach der Aufklärung und der Französischen Revolution anerkennt die Kirche aus lehramtlicher Sicht die Grundwerte des demokratischen Rechtsstaates und übernimmt die Sichtweise der Würde der Personen. Jedem Menschen ist als Person unabhängig von seiner Religion mit Achtung zu begegnen. Paul VI. ist bereit, diese Haltung in einem kirchlichen Grundgesetz festzuschreiben. Sein weitsichtiges Vorgehen wird mit dem Pontifikatswechsel abgebrochen. Trotzdem lässt sich das neu geformte Selbstverständnis der katholischen Kirche nicht mehr rückgängig machen. Es führt zu einer veränderten Betrachtung von Andersgläubigen, fremden Kulturen und der Kirche selbst (Ämter, Liturgie, Pastoral, Mitarbeit der Laien usw.), und es entstand eine dialogisch personale Sicht der Kirche. Gleichwohl ist die Lehre von der personalen Würde in der Kirche noch kein Allgemeingut. Es gibt weiterhin Versuche, den Primat der Wahrheit über die Freiheit der Personen zu stellen. Ein gemeinsamer Zugang der Religionen und Kulturen zur begründeten Menschenwürde scheint über die Goldene Regel möglich.

Menschliche Person im Kirchenrecht

Burkhard J. Berkmann nimmt die Frage auf, welche Auswirkungen die konziliare Lehre von der personalen Würde auf den Personenbegriff im CIC/1983 hat. Wird dieses Gesetzbuch der theologischen Begründung natürlicher Personen als selbständige Träger von Rechten und Pflichten aufgrund ihrer Ebenbildlichkeit mit Gott gerecht? Berkmann kommt zum Schluss, dass im Kirchenrecht alle Menschen ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit Personen und als solche Träger von zu schützenden Rechten sind. Auf dieser Basis ist ein Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen möglich. Eine Basierung des kirchenrechtlichen Personenverständnisses mit einer umfassenderen Umschreibung der damit zusammenhängenden Grundrechte in einem kirchlichen Grundgesetz aber wäre wünschenswert.

Menschenwürde – Rechtsbegriff der Kirche

In ihrem Beitrag zeigt Monica Herghelegiu auf, wie der Aspekt der Menschenwürde Eingang in den CIC/83 findet. Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff hat eine kurze Tradition. Von der Kirche werden sie und die daraus kommenden Rechte und Pflichten erstmals in der Enzyklika «Pacem in terris» (1963) anerkannt. Dieses Lebensvermächtnis von Johannes XXIII. prägt die Ausrichtung der Konzilsdokumente. So werden die Grundrechte jeder Person in der angestrebten Verfassung der Kirche (LEF)2 verankert. Leider tritt diese Verfassung nie in Kraft. Im CIC/83 wird dem Begriff der Würde des Menschen kein Platz mehr eingeräumt. Der Stellenwert der Personenwürde und die Liste der Grundrechte bedürften im Kirchenrecht einer Überarbeitung.

Menschenwürde/Menschenrechte

Peter Kirchschläger spürt dem Verhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten nach. Durch letztere wird die Menschenwürde geschützt und konkretisiert, indem die einzelnen Rechte ihren Sinngehalt verdeutlichen. Umgekehrt begründet die Menschenwürde Menschenrechte und ordnet sie in einen Horizont ein. Die Menschenwürde christlich verstehen basiert auf dem Glauben an die Gottebenbildlichkeit und fusst auf dem Umstand, dass die Schöpfung den Menschen anvertraut ist. Dieses Menschenbild prägt die Haltung der Kirche gegenüber den Menschenrechten inner- und ausserhalb der Kirche.

Philosophischer Personenbegriff

Gregor Damschen untersucht die philosophische Frage, «wie man auf eine nichtwillkürliche Weise den Begriff der Person definieren, die ihn bestimmenden Wesensbedingungen herausfinden und die Träger des Personseins aufzählen könnte». Damschen gelangt zur Feststellung, dass die Frage bislang noch ungeklärt ist. Trotz vieler Konventionen und Lehrmeinungen sei bislang noch nicht hinreichend klar, was mit einer Person philosophisch gemeint ist.

Die Beiträge dieses Sammelbandes verweisen auf die grundlegende Bedeutung der theologisch fundierten Menschenwürde, die den Menschrechten zugrundeliegen. Damit ist ein Rechtsverständnis grundgelegt, das den Dialog mit der säkularen Rechtswissenschaft aufnehmen kann.

 

1 Adrian Loretan (Hrsg.): Die Würde der menschlichen Person. Zur Konzilserklärung über die Religionsfreiheit «Dignitatis humanae», ReligionsRecht im Dialog Bd. 21, Wien u. a. 2017.

2 LEF = Lex ecclesiae fundamentalis (siehe Synopsis «Lex ecclesiae fuandamentalis», Leuven 2001).

Paul Schneider

lic. oec. publ. Paul Schneider absolviert das Masterstudium Theologie an der Universität Luzern.