Das Konzil verlangt Gleichstellung der Geschlechter

In der Enzyklika Pacem in terris beginnt Johannes XXIII. mitten im Zweiten Vatikanischen Konzil 1963 menschenrechtlich zu argumentieren. Dieser Wende schliesst sich das Konzil an. Damit entstehen neue Fragekomplexe, denen sich Prof. Dr. Adrian Loretan widmet.

Was heisst Diskriminierung? Das Konzil argumentiert menschenrechtlich-theologisch: Es gibt «in Christus und in der Kirche keine Ungleichheit aufgrund von Rasse und Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Geschlecht» (LG 32), und verneint so ausdrücklich jede Theorie oder Praxis, «die zwischen Mensch und Mensch (…) bezüglich der Menschenwürde und der daraus fliessenden Rechte einen Unterschied macht. Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen (…) um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht.» (NA 5) Daher muss «jede Form einer Diskriminierung (…) beseitigt werden, da sie dem Plan Gottes widerspricht» (GS 29). Dies ist keine soziologische Beschreibung der Wirklichkeit, sondern eine normative Sicht, wie es sein müsste, aber nicht ist.

Diskriminierung lässt sich umschreiben als «eine qualifizierte Art von Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen, welche eine Benachteiligung eines Menschen zum Ziel oder zur Folge hat, die als Herabwürdigung einzustufen ist, weil sie an einem Unterscheidungsmerkmal an-knüpft, das einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betreffenden Person ausmacht. Das Diskriminierungsverbot ist verletzt, wenn die Schlechterstellung wegen eines verpönten Merkmals erfolgt und in der konkreten Situation nicht gerechtfertigt werden kann.»1 Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Verwendung des Unterscheidungskriteriums und der Benachteiligung bestehen. Eine indirekte Diskriminierung liegt vor, wenn eine Massnahme neutral formuliert ist, also keine der verpönten Merkmale aufweist, in ihren Auswirkungen jedoch eine Personengruppe mit Merkmalen, die im Rahmen einer direkten Diskriminierung als verpönt einzustufen wären, besonders stark benachteiligt.

Das staatliche Recht verbietet Diskriminierung: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung» (Art. 8 Abs. 2 BV). Widerspricht die Kirche mit ihren Diskriminierungen dem Plan Gottes gemäss GS 29?

Was heisst Kirche?

Die Kirche ist eine menschliche Gemeinschaft und ein Werkzeug des Heiligen Geistes (LG 8). So «gelten in ihr auch (in analoger Weise) die Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens, wie sie etwa die Katholische Soziallehre verkündet. Deshalb kann die Kirche in ihrer sozialen Ausgestaltung und in ihrer Organisation auch einen Weg des Lernens gehen (…), ohne dass die Grundstruktur, die ihr von Christus her eingestiftet ist, verloren gehen würde. (…) Der Geheimnischarakter hebt den Sozialcharakter der Kirche nicht auf.»2

Für das Personalrecht der Kirche hat dies zur Folge, dass «die Würde der menschlichen Person» (DH 1) und die daraus folgenden Rechte (NA 5) beachtet werden müssen. Damit wird auf den modernen Rechtsbegriff Bezug genommen, der der Konzilserklärung zur Religionsfreiheit zu Grund liegt.3 Die Kirche kann in ihrem bewährten Unterscheidungsvermögen dazu gelangen, Bräuche zu revidieren. «Haben wir keine Angst, sie zu revidieren! In gleicher Weise gibt es kirchlichen Normen (…), die zu anderen Zeiten sehr wirksam gewesen sein mögen, aber nicht mehr die gleiche erzieherische Kraft als Richtlinien des Lebens besitzen. Der heilige Thomas von Aquin betonte, dass die Vorschriften, die dem Volk Gottes von Christus und den Aposteln gegeben wurden, ‹ganz wenige› sind.»4

Kirchliche Grundrechte – an Menschenrechten orientierbar?

Die Frage, ob und in welcher Form Grundrechte in der Kirche denkbar sind, verweist auf ein elementares Problem: das Spannungsverhältnis zwischen den Ansprüchen der Kirche als Glaubensgemeinschaft und den subjektiven Rechten des einzelnen Kirchenmitgliedes, das gleichzeitig ja auch Bürger und Mensch mit den zugehörigen Rechten und Pflichten ist. Durch die Taufe wird der Einzelne in die Kirche aufgenommen (c. 204 i. V. m. 96 CIC) und hat Anteil an Grundrechten und -pflichten aller Gläubigen (cc. 208–223 CIC). Es wird die «wahre Gleichheit an Würde» für alle Gläubigen (c. 208 CIC) betont. Nichtsdestotrotz unterscheiden sich die Aufgaben der Gläubigen durch ihre «Stellung» (c. 208 CIC), was als Diskriminierung aufgefasst werden kann.

Aber «wie lässt sich religiöse Inpflichtnahme, die durch gemeinsam anerkannte Glaubenswahrheiten und ein einheitliches Glaubensbekenntnis objektiv vorgegeben ist, mit subjektiv aufgegebener autonomer religiöser Selbstbindung innerhalb der jeweiligen Kirchenverfassung in Übereinstimmung bringen?»5 Ein Ausgleich zwischen Glaubenswahrheit und Freiheitsrechten muss theologisch und rechtlich gesucht werden.6

Die Bischöfe haben zu Recht gefordert, «dass die Rechte der Personen in geeigneter Weise umschrieben und sichergestellt werden. Dies bringt mit sich, dass die Ausübung der (Amts-)Gewalt deutlicher als Dienst erscheint, ihre Anwendung besser gesichert und ihr Missbrauch ausgeschlossen wird.»7 Das kirchliche Recht müsste aus sozialwissenschaftlicher Sicht die Gläubigen vor innerkirchlichem Machtmissbrauch schützen und könnte dies am wirkungsvollsten mit gerichtlich durchsetzbaren innerkirchlichen Grundrechten gewährleisten. Daher bedarf es aus sozialwissenschaftlicher und kirchenrechtlicher Sicht der Grundrechte.

Möglichkeiten einer nichtdiskriminierenden rechtlichen Umsetzung

«Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann» (c. 1024 CIC). Die höheren Kirchenämter stehen nur zölibatären geweihten Männern offen, da das Kirchenamt mit voller Hirtensorge nach c. 150 CIC an die Weihe geknüpft ist (cc. 1008 i. V. m. 1024 CIC). Wie ist diese Rechtslage möglichst nichtdiskriminierend zu interpretieren? Es gibt Möglichkeiten, die Geschlechterdiskriminierung ansatzweise zu überwinden. Denn Frauen und verheiratete Männer können auch unabhängig von der Weihe an der Leitungsvollmacht (c. 129 §2 CIC) und an den kirchlichen Ämtern (c. 228 i. V. m. c. 145 CIC) beteiligt werden.8

Werden Kirchen in einer Rechtskultur der Gleichstellung der Geschlechter eine Struktur der Ungleichstellung der Geschlechter aufrechterhalten können?9 Die Zeichen der Zeit (Grundrechtsentwicklung) sprechen dafür, dass das begonnene grundrechtliche Denken, das auch im Konzil und im päpstlichen Lehramt Aufnahme fand, unumkehrbar ist. Wird die Kirche die Menschenrechte nach aussen in ihrer Soziallehre einfordern können und gleichzeitig Symbole der Ungleichstellung der Geschlechter in ihrer Liturgie und ihrem Kirchenbild vorleben?10 Kann das Recht einer solchen Kirche «Vorbildfunktion» für Gesellschaft und Staat übernehmen?11

Die deutschen Bischöfe wollen im Rahmen des geltenden Rechts «den Anteil der Frauen in Entscheidungspositionen (…) in der Kirche erhöhen».12 Noch deutlicher fordert Papst Johannes Paul II., dass es «daher dringend einiger konkreter Schritte (bedürfe …), dass den Frauen Räume zur Mitwirkung in verschiedenen Bereichen und auf allen Ebenen (sic!) eröffnet werden, auch in den Prozessen der Entscheidungsfindung, vor allem dort, wo es sie selbst angeht.»13 Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienarbeit für Frauen wird eingefordert.14 Gerade auf dem Gebiet der theologischen, kulturellen und spirituellen Reflexion erwartet der Papst von den Frauen überraschend neue Zugänge zum Glauben in all seinen Ausdrucksformen. So führt er weiter aus: «Sicher muss man viele Forderungen, die die Stellung der Frau in verschiedenen gesellschaftlichen und kirchlichen Bereichen betreffen, als berechtigt anerkennen. In gleicher Weise gilt es hervorzuheben, dass das neue Bewusstsein der Frau auch den Männern hilft, ihre Denkmuster, ihr Selbstverständnis und ihre Art und Weise zu überprüfen, wie sie sich in der Geschichte etablieren und diese auslegen, wie sie ihr soziales, politisches, wirtschaftliches, religiöses und kirchliches Leben gestalten.»15 Wie diese letzte Forderung des heiligen Papstes in den Ortskirchen der Schweiz umgesetzt wird, darauf dürfen die Gläubigen gespannt sein.

 

1 Walter Kälin: Grundrechte im Kulturkonflikt. Freiheit und Gleichheit in der Einwanderungsgesellschaft. Zürich 2000, 107.

2 Reinhard Kardinal Marx: Die Leitungsaufgabe des Bischofs. Anmerkungen und Perspektiven, in: Ludger Müller / Wilhelm Rees (Hrsg.): Geist – Kirche – Recht. FS für Libero Gerosa. Berlin 2014, 39–47, hier 42 f.

3 Vgl. Adrian Loretan (Hrsg.): Die Würde der menschlichen Person. Zur Konzilserklärung über die Religionsfreiheit «Dignitatis humanae». Wien u. a. 2017 (ReligionsRecht im Dialog. 21).

4 Franziskus: Evangelii Gaudium. Apostolisches Schreiben über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (14. 11. 2013), in: AAS 105 (2013) 1038, Nr. 43. Vgl. Summa Theologiae I–II, q. 107, a.4. Vgl. Peter Kistner: Das göttliche Recht und die Kirchenverfassung. Der Freiraum für eine Reform. Berlin 2007 (Tübinger kirchenrechtliche Studien Bd. 9).

5 Felix Hafner: Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte. Fribourg 1992, 174.

6 Vgl. Adrian Loretan: Wahrheitsansprüche im Kontext der Freiheitsrechte. Zürich 2017 (Religionsrechtliche Studien 3).

7 Praefatio. Vorrede zum CIC 1983. Lateinisch–deutsche Ausgabe. Kevelaer 52001, XXXVII.

8 Vgl. Adrian Loretan: Laien im pastoralen Dienst. Ein Amt in der kirchlichen Gesetzgebung. Fribourg 21997, hier Laien als Amtsträger: 214–280; Laien als Jurisdiktionsträger: 281–338.

9 Vgl. Denise Buser / Adrian Loretan: Gleichstellung der Geschlechter und die Kirchen. Ein Beitrag zur menschenrechtlichen und ökumenischen Diskussion. Fribourg 1999.

10 Vgl. Marianne Heimbach-Steins (Hrsg.): Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften. Band 55: Menschenrechte in der Katholischen Kirche. Münster 2014.

11 Vgl. ablehnend Dietmar Mieth: Die Spannung zwischen Recht und Moral in der katholischen Kirche, in: Concilium 32 (1996) 410–415, hier 411–413, im Unterschied zu Klaus Demmer: Christliche Existenz unter dem Anspruch des Rechts. Ethische Bausteine der Rechtstheologie. Fribourg 1995, 137. Vgl. dazu Marianne Heimbach-Steins: Frauenbild und Frauenrolle. Gesellschaftliche und kirchliche Leitideen im Hintergrund der Diskussion um den Diakonat der Frau, in: Peter Hünermann u. a. (Hrsg.): Diakonat. Ein Amt für Frauen – Ein frauengerechtes Amt? Stuttgart 1997, 14–32.

12 Kirchenamt der Evangelischen Kirche Deutschlands/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Bonn, Nr. 203.

13 Johannes Paul II.: Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata. Über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt (25.3.1996), in: AAS 88 (1996) 429–431, Nr. 58. (deutsch: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles. Bonn 1996, Nr. 125).

14 Kongregation für Glaubenslehre (Hrsg.): Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche: Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt. Rom 2004, Nr. 13.

15 Apostolisches Schreiben Vita consecrata, Nr. 57.

Adrian Loretan

Adrian Loretan

Prof. Dr. Adrian Loretan ist Ordinarius für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern und Co-Direktor des Zentrums für Religionsverfassungsrecht