«Wort des lebendigen Gottes» – wirklich?

Ein Leserbrief zeigt der Redaktion, dass jeweils auch das Editorial gut gelesen wird. So hat ein Satz im Editorial der Ausgabe 12/2018 «Die Bibel – das Buch für uns» eine Leserin zum Nachdenken angeregt.

 
 
Die Erwähnung Ihres Dozenten für das Alte Testament hat mich angesprochen. Sein Zitat: «Die Bibel ist nicht Wort Gottes – sie kann aber für uns zum Wort Gottes werden.» Immer wieder stört mich das Ende einer Lesung, vor allem wenn x etwas Geschichtliches aus dem Alten Testament vorkommt. Fast immer heisst es: «Wort des lebendigen Gottes.» Ein paar wenige Lektoren haben eine (für mich jedenfalls) bessere Version gefunden, z. B.:

a) «Worte der heiligen Schrift» oder
b) «Das sind die Worte der heutigen Lesung».
Vermutlich hängt es von der Einstellung des jeweiligen Priesters ab. Ich fände es sinnvoll und schön, wenn es noch mehr moderne, sinnvoll überlegende Priester gäbe, die je nach Lesung eine Antwort vorschlagen. Ob Sie so einen Wunsch in der SKZ mitteilen können, weiss ich nicht.

Monika Boyer, Luzern

 

Antwort der Redaktion: Wir haben beim Liturgischen Institut in Freiburg i. Ue. nachgefragt, ob dieser Zuruf – wie von der Leserbriefschreiberin gewünscht – jeweils dem Inhalt der Lesung angepasst werden könnte. Hier die Antwort:

Hier ist ein wichtiges Thema angesprochen, das viele Christen beschäftigt: Wie kann man auf eine biblische Lesung mit geschichtlichem Inhalt (oder einem stossenden Bibeltext) antworten «Wort des lebendigen Gottes»? Wie kann das Wort Gottes sein? Einen Schlüssel bietet Paulus: «Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Glaubenden, wirksam» (1 Thess 2,13). Paulus weiss um die Schwäche des menschlichen Wortes und muss doch damit Gottes Wort verkünden. Er dankt Gott, dass die Hörenden die Stimme Gottes dennoch herausgehört haben, sodass die göttliche Botschaft jetzt in ihnen wirksam ist. Darin erweist Gott sich als lebendig.

Für die Schrift gewordene biblische Verkündigung gilt das auch: Es sind menschliche Worte, durch die Gott spricht. Sie transportieren Erfahrungen mit dem Gott Jesu, der der Gott der Väter Israels ist und sein Volk in die Freiheit führt. Durch die unterschiedlichen biblischen Worte (im Plural) hindurch spricht er selber: das Wort im Singular. Diese Stimme zu hören, ist nicht einfach. Wenn wir zu fest mit den menschlichen Worten beschäftigt sind, wird es schwierig, auf sie zu lauschen. Wenn wir uns nur auf einen Inhalt fokussieren und die sprechende Person nicht wahrnehmen, scheitert schon die zwischenmenschliche Kommunikation, für die gott-menschliche gilt es noch einmal mehr. Gottes Wort im Menschenwort zu hören, ist nicht selbstverständlich. Die Formel «Wort des lebendigen Gottes» steht in dieser Linie: Es geht nicht um Worte im Plural, also Menschenworte, es geht um die durch diese Worte hindurchklingende Stimme Gottes. Sie ist Leben und will immer neu Leben schaffen. Deshalb können die Mitfeiernden antworten «Dank sei Gott». Ich kenne bislang keine Formel, die das gott-menschliche Beziehungsgeschehen der biblischen Lesung besser zum Ausdruck bringt.

Gunda Brüske,
Co-Leiterin Liturgisches Institut, Freiburg i. Ue.