Pastorale Innovationen fördern

 

Kirche besteht aus Menschen, die für- und miteinander Kirche gestalten. Ein Blick in die kirchliche Landschaft der Schweiz macht aber eines deutlich: Dieser Grundsatz trifft nur noch für eine Minderheit der Kirchenmitglieder zu. Jahr für Jahr verlassen zahlreiche Menschen ihre Kirche oder gehen innerlich auf Distanz zu ihr. Besonders stark zeigen sich die Trends zu Distanzierung und Entfremdung bei den jüngeren Generationen, ohne die eine zukunftsfähige Kirche kaum denkbar ist.

Für die Kirche gilt, was in Zeiten des Wandels für jede lernende Organisation gilt, die Bestand haben will. Sie muss nicht nur wissen, wofür sie steht, sondern auch, wo sie hinzugehen beabsichtigt. Ein nostalgisch-verklärter Blick in die Vergangenheit hilft ihr bei der Suche nach diesem Weg in der Regel ebenso wenig wie der schwärmerische Blick in die Zukunft. Der berühmte Schritt zurück und ein mutiges Bekenntnis zu Weite und Offenheit kann sie aber davor bewahren, auf Veränderungen nicht nur mit Strukturanpassungen zu reagieren. Den Sehenden tun sich mitunter ganz neue Welten auf: Bisher Ungesehenes oder Vernachlässigtes kann gar zur zündenden Idee werden für den nächsten Schritt nach vorne.

Eine Kirche, die sich als Kirche mit den Menschen versteht, begegnet den Menschen auf der Suche nach sich selbst, nach Orientierung und Sinn in einer von Komplexität und Kontingenz geprägten Welt. Wo Kirche diesen Menschen Raum zur Entwicklung und Mitgestaltung bietet, muss sie sich auf unterschiedliche Suchbewegungen einlassen und auch damit rechnen, dass da und dort Konventionelles durch Unkonventionelles abgelöst wird. Gerade in einer Zeit der Optionenvielfalt, der schwindenden Bindungsbereitschaft und der spirituellen Selbstermächtigung des Individuums kann sie nicht mehr davon ausgehen, dass Menschen sich auf ihre Angebote einlassen. Sie steht darum vor der Herausforderung, ihre Kommunikationsmuster und Praxisroutinen, aber auch ihre Sozialformen zu überdenken, und sie muss eine Bereitschaft und Kompetenz entwickeln, Neues zu wagen und sich auf Menschen einzulassen. Wo das geschieht, wird Kirche unweigerlich zu einer Werkstatt, in der kreative Ideen ihren Platz haben und mit neuen Formen experimentiert wird. Einige Ideen werden Fuss fassen, andere werden wieder verworfen. In jedem Experiment ist sowohl das Risiko des Scheiterns als auch die Chance des Erfolgs angelegt. Für dieses unternehmerische und menschenorientierte Tun muss die zukunftsfähige Kirche Freiräume schaffen, denn geistreiche Aufbrüche brauchen Luft!

Dass die Kirche solche Räume immer wieder schafft, zeigen diverse Beispiele aus der pastoralen Praxis. Die Interdiözesane Koordination (IKO) wird sich an ihrer Tagung im November 2018 dem Thema «Aufbruch und Innovation» widmen und möchte kirchliche Akteure dafür sensibilisieren und anhand von konkreten Projekten auch ermutigen, Neues zu ermöglichen und zu wagen.

Eva Baumann-Neuhaus*

 

 

*Dr. Eva Baumann-Neuhaus (Jg. 1964) studierte Ethnologie an der Universität in Basel und promovierte in Religionswissenschaft an der Universität Zürich. Seit 2009 ist sie am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) in St. Gallen als wissenschaftliche Projektleiterin tätig.