Wo ein Wille, da ein Weg

Guido Scherrer entdeckt bei Meister Eckehart, wie ein Weg aus blockierten Situationen gefunden werden kann: Es braucht hierfür ein liebendes Herz und einen entschiedenen Willen.

Es ist eine schwierige Aufgabe, nach dem Lockdown das gesellschaftliche und kirchliche Leben, dort wo es Stillstand oder massive Einschränkungen gab, wieder zum Laufen zu bringen. Das «Abstellen» ging rasch, nicht schmerzlos – das Hochfahren erfolgt in Etappen und in verschiedensten Teilbereichen. Geduld fällt nicht leicht. Vieles ist noch in Frage gestellt. So macht sich bei manchen Zeitgenossen Unverständnis breit. Denn was andernorts möglich ist, sollte doch auch hier und jetzt ermöglicht werden. Ich frage mich, ob das wirklich ein den Umständen entsprechendes Verhalten ist, oder ob sich nicht grösstenteils nur Egoismus breitmacht. Geht es weiterhin um die Gesundheit der Menschen und ihren Schutz vor einer folgenreichen Ansteckung als das höchste Gut, oder geht es um wirtschaftliche, private oder gar solistische Interessen? Manche haben es satt, sich länger Einschränkungen diktieren zu lassen. Viele wollen wieder die Freiheiten geniessen, die sie hatten; sie wollen wieder planen mit der Zuversicht, dass sie ihre Vorhaben in die Tat umsetzen können. So waren wir es gewohnt: Wir planten und liessen uns verplanen. Dass gedankenlose Unvorsichtigkeit und Rücksichtslosigkeit nicht nur uns selber gefährden, sondern auch andere, verdrängen oder vergessen wir sehr gerne.

Innerkirchlicher Lockdown

In den verschiedenen Leitungsebenen unseres kirchlichen Betriebes erlebe ich manchmal etwas Ähnliches. Verschiedene Parteien sitzen miteinander um einen Tisch und suchen nach gemeinsamen Lösungen. Das geht solange einigermassen gut, als alle bereit sind, wirklich aufeinander zu hören, miteinander zu ringen, um bestmögliche Ziele oder Kompromisse zu erreichen. Wo aber einzelne anderen das ehrliche Bemühen absprechen, wo das, was andere sagen und tun, als unvereinbar mit der kirchlichen Lehre abgetan wird, kommt das gemeinsame Suchen zum Stillstand. Die Situation ist blockiert. Oft sind da alte Geschichten mit ihm Spiel. Nicht selten setzt sich der durch, der mehr Macht hat. Diese Art von Lockdown oder Absperrung gibt es schon länger, schon vor dem März 2020.

Geschwister im Glauben

Wie kann bei all der Suche nach Wahrheit so schnell in Vergessenheit geraten, dass wir in der Kirche zuallererst Schwestern und Brüder im Glauben sind? Wir sind nicht zuerst Freunde – versammelt in den gleichen Interessensgebieten –, wir sind Schwestern und Brüder in der Berufung des gemeinsamen Glaubens. Wer das Herz auf dem richtigen Fleck hat, muss doch bei allen unterschiedlichen Auffassungen den Weg zum Gegenüber finden, sagte ich mir. Aber eben, mit den Herzensangelegenheiten ist es so eine Sache. Ich kann dem Herzen halt nicht befehlen, wen es mögen oder lieben muss; wer mir spontan sympathisch ist und wer es mir einfach nicht recht machen kann, ist oft eine Gefühlssache. So ist mir ein Wort von Meister Eckehart zu einer Entdeckung geworden. In seinen «Reden der Unterweisung» finden sich zwei interessante Sätze: «Die Stätte der Liebe ist allein im Willen; wer mehr Willen hat, der hat auch mehr Liebe. Aber wer davon mehr hat, das weiss niemand vom andern.»

Miteinander um die Wahrheit ringen, dazu braucht es nicht zuerst ein liebendes Herz, dazu gehört der entschiedene Wille. Nur wo ein Wille ist, müsste eigentlich ein Weg gefunden werden können.

Guido Scherrer


Guido Scherrer

Guido Scherrer (Jg. 1960) wurde nach verschiedenen Tätigkeiten in der Pfarreiseelsorge im Bistum St. Gallen 2003 Regens. Anfang 2016 erfolgte die Ernennung zum Generalvikar. Weiter gehört Scherrer der Herausgeberkommission der SKZ an.