«Wie kann man für Lachen Geld bezahlen?»

Ohne Priester aus dem Ausland könnten viele Pfarreien nicht mehr betreut werden. Auch der Seminarist Hermann Ngoma Mbuinga aus der Republik Kongo möchte später in der Schweiz tätig sein.

Hermann Ngoma Mbuinga (Jg. 1992) schliesst dieses Jahr das Theologiestudium an der Theologischen Hochschule Chur ab. (Bild: rs)

 

SKZ: Sie stammen ursprünglich aus der Republik Kongo und haben zunächst dort Theologie studiert. Was hat Sie veranlasst, Ihr Studium in der Schweiz weiterzuführen?
Hermann Ngoma Mbuinga: Mich faszinierte die deutsche Theologie. Ich las viel Ratzinger, aber auch deutsche Philosophen und wollte mich näher mit ihnen beschäftigen. In Deutschland lernte ich die deutsche Sprache und wollte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. weiterstudieren und bei den Jesuiten eintreten. Nach einer Zeit der Prüfung merkte ich aber, dass ich mich zum Diözesanpriester berufen fühle.

Mein Onkel ist im Kanton Zürich als Pfarrer tätig. Ich fragte ihn, ob er ein Bistum suchen könne, das mich aufnehmen würde. Er meinte, dass dies schwierig sei, da ich Schwarzafrikaner sei und mir niemand vertraue. Er versuchte es im Bistum Chur und die Verantwortlichen waren bereit, mich aufzunehmen. So bin ich nach Chur ins Seminar gekommen. Und jeden Tag, wenn ich das Fenster öffne und den Calanda anschaue, frage ich mich, wie ich hier gelandet bin (lacht). Es war nie geplant, dass ich in die Schweiz komme.

Wie haben Sie Ihre Ankunft in Europa erlebt?
Mir wurde erst in Deutschland bewusst, dass ich schwarz bin. Und das gaben mir einige Menschen zu spüren. Zum Glück lernte ich auch nette Menschen kennen. Dadurch fühlte ich mich getröstet und ich merkte, dass nicht alle so sind. Ich dachte mir: Okay, ich bin halt ein Ausländer.

Und hier in der Schweiz?
Ich muss ehrlich sagen: Da ich schon einige negative Erfahrungen gemacht hatte, war ich sehr überrascht, wie respektvoll man mir in der Schweiz begegnet ist und wie hilfsbereit die Menschen sind. Die Aufnahmebereitschaft in der Schweiz ist nicht zu vergleichen mit jener in Deutschland. Ich fühle mich hier in der Schweiz wirklich zu Hause. Ich weiss mich von allen angenommen. Hier respektieren sich die Menschen gegenseitig, und das weiss ich zu schätzen.

Was hilft Ihnen, sich zu integrieren?
Zunächst meine Demut. Ich weiss, dass ich noch vieles lernen muss. Es gibt einiges, das ich nicht weiss, und ich muss nachfragen. Oder ich entschuldige mich, wenn ich merke, dass ich etwas Falsches gesagt oder getan habe. Ich frage auch immer nach, wie man hier etwas macht oder was man hier nicht tun darf. Dadurch lerne ich viel. Wenn mir etwas entgegenkommt, das mich verletzt oder enttäuscht, versuche ich es mit Humor zu nehmen. In Deutschland nahm ich alles immer sehr persönlich, zu ernst. Verletzende Äusserungen beschäftigten mich oft noch lange und machten mich kaputt. Jetzt nehme ich es mit Humor und denke: Es ist nur eine Person, die so denkt, die anderen denken anders.

Was können wir tun, damit Sie sich in der Schweiz willkommen fühlen?
Ich fühle mich schon willkommen. Mit anderen Afrikanern oder Flüchtlingen habe ich keinen grossen Kontakt und kann deshalb nicht sagen, wo allenfalls Probleme sind. Aber es ist sicher etwas Gutes, wenn die Schweizer den Ausländer nicht den Eindruck vermitteln, sie seien Ausländer, sie seien Fremde. Es ist schon viel, den Flüchtlingen das Gefühl zu geben, dass auch sie Menschen sind. Wenn mir jemand als Mensch begegnet, bedeutet das viel für mich. Er kann als Person sein, wie er will, entscheidend für mich ist, dass er als Mensch auf mich zukommt.

Was gefällt Ihnen in der Schweiz?
Die Leute sind respektvoll und hilfsbereit. Mir gefällt besonders die Musik hier in der Schweiz! Das Handörgeli (lacht)! Und dann die Berge, die Landschaft. Viele Leute kämpfen für die Rechte der Menschen. Wenn dir Unrecht getan wurde, kannst du dich irgendwo beschweren. Die Leute setzen sich für dich ein. Diese Solidarität gefällt mir sehr. Wenn ich wieder nach Afrika zurückgehen sollte, würde ich diese positive Erfahrung mitnehmen, wie hier die Kirche und die Politik mit Menschen umgehen.

Gibt es Dinge, die Sie hier vermissen?
Vieles! Ich vermisse vor allem Menschen mit Humor. Die Leute sind oft kalt und traurig. Ich finde es spannend und das erzähle ich auch immer meiner Familie und meinen Freunden: Hier haben die Menschen fast alles, was man zum Leben braucht: zu essen, eine Wohnung, Versicherungen, ein Auto; trotzdem sind die Leute oft traurig. Bei mir zu Hause haben die Menschen fast nichts zu essen und auch keine Krankenkassen, doch bei uns sind die Leute fast immer fröhlich. Dieser Kontrast! Ich frage mich ständig, warum die Menschen im Gottesdienst aussehen, als ob es immer Winter wäre. Ich kann es mir nicht erklären. Aber nicht alle sind so. Ich kenne auch Schweizer, die fröhlich sind (lacht).

Was können wir von Afrikanern lernen?
Es gibt einiges, was Schweizer von uns Afrikanern lernen könnten. Ich bin dankbar, dass ich Afrikaner bin, denn ich kann auch dann lachen, wenn es mir schlecht geht. Ich wurde bei einem Apéro gefragt, wann ich wieder zurückgehe. Viele Ausländer würden den Schweizern die Arbeit wegnehmen. Da sagte ich: «Kein Problem, wenn Ihr Sohn Priester werden möchte, gebe ich ihm gerne meine Pfarrei ab» (lacht). Ich habe ihm auch gesagt: «Wissen Sie, als die Missionare zu uns nach Afrika gekommen sind, haben sie uns das Evangelium gebracht. Dann sind sie nach Europa zurückgekehrt, haben aber das Evangelium bei uns vergessen. Deswegen bringe ich jetzt das Evangelium nach Europa zurück, aber ich habe eine Kopie davon in Afrika gelassen.» Europäer könnten von uns z.B. Spontanität lernen. Nicht immer alles zu planen. Ich mache ein Beispiel: Viele Freunde von mir wohnen allein. Ich habe in der Schweiz gelernt, dass man nicht stören darf. Ich stelle aber fest: Fast jedes Mal, wenn ich jemanden anrufe und frage, was er so mache, sagt er: «Nichts, und du? Wollen wir zusammen essen gehen?» Und dann, nach dem gemeinsamen Essen, schreiben mir viele: «Danke, dass du dich gemeldet hast. Es hat mir gutgetan.» Die Gesellschaft ist materiell sehr reich, doch menschlich fehlt etwas. Ich möchte für meine Freunde da sein. Auch der Ärmste kann so etwas geben.

Was werden Sie später als afrikanischer Priester in die Kirche Schweiz einbringen?
Ich möchte Freude in die Liturgie bringen. Ich hatte während meines Pfarreipraktikums in Wädenswil einen Wortgottesdienst im Altersheim. Anstelle einer langen Erklärung des Schrifttextes habe ich gesagt: «Ihr Schweizer habt tolle und schöne Lieder. Ich möchte hier das Lied ‹Blueme› zitieren: ‹drum bring mier Blueme so lang i Freud cha ha und nid ersch denn, wenn i muess vo dr gah. Und häts im Läbe halt nid sellä sy, bruch i au kei Blueme wenn i gstorbe bi.› Ein Lächeln zu schenken oder Grüezi zu sagen macht anderen Freude. Und ein zweites Lied, das ihr Schweizer habt, ist: ‹Alls, was bruchsch uf de Wält, das isch Liebi.› Alles was wir brauchen, um glücklich zu sein, haben wir in uns selber. Was wir tun müssen, ist, es weiterzuschenken.» So konnte ich im Gottesdienst Freude verbreiten. Die letzte Strophe des Refrains ist für mich sehr wichtig: «Alls, was brucht uf der Wält, hesch du sälber, tues verschänke und freu dich dra.» Dies möchte ich in der Pfarrei leben, z.B. mit einem Pfarreikaffee nach dem Sonntagsgottesdienst. Ich werde singen oder etwas erzählen, damit die Menschen lachen können. Ich habe gehört, dass es Lachkurse gibt. Da habe ich gedacht: Meine Güte, wie kann man für das Lachen Geld bezahlen? Nein, für das Lachen werde ich jeden Sonntag im Pfarreizentrum zur Verfügung stehen.

Interview: Rosmarie Schärer