Für die Kirchen ist die Beschäftigung mit dem Tourismusthema bisher von eher randständiger Natur. Zwar werden immer wieder Überlegungen zur Tourismusseelsorge oder zur Präsenz von Kirche an Urlaubsorten angestellt. Zugleich existieren vielfältige Angebote der touristischen Erschliessung von herausragenden kirchlichen Sehenswürdigkeiten. Aber was dies mittel- und langfristig mit einer verstärkten Gastlichkeit von Kirche in der «säkularen Öffentlichkeit» und eigenen strategischen Entwicklungsmassnahmen zu tun haben könnte, wird kaum bedacht. Dies ist umso bedauerlicher als der Reisemarkt selbst von höchst dynamischen Entwicklungen gekennzeichnet ist, die für die Kirchen eine grosse Chance «spezifischer Gastlichkeit» mit sich bringen.
Religiöse Flaneure und imposante Bauten
Dass und warum Reisende kirchliche Orte aufsuchen, scheint die Reisebranche schon viel klarer zu sehen als die Kirchen selbst. Längst hat man sich auf die in den letzten Jahrzehnten massiv gestiegenen Wünsche nach einem stimmigen, authentischen und unbedingt persönlich passgenauen Angebot eingestellt. Touristische Slogans wie «Zuhause bei Freunden», «Freunde fürs Leben» oder «Discover your smile» zeigen dies auf markante Weise. Daran anknüpfend sind Kirchen für viele Reisende nicht nur kulturell und historisch gesehen, sondern auch aus religiösen und spirituellen Gründen sehr attraktive Anlaufadressen.
Auch wenn kirchen- und religionssoziologisch der Anteil derer, die weder «Believers» im klassischen Bekenntnissinn noch «Belongers» einer Kirche sind, weiter sinkt, scheint das Interesse und vielleicht auch Bedürfnis, eben solche Stätten aufzusuchen, ungebrochen. Zugleich üben insbesondere imposante Kirchenbauten nach wie vor erhebliche Faszination aus. Auch scheint, nicht zuletzt aufgrund der coronabedingten internationalen Reisebeschränkungen, das Interesse vieler Menschen an der Kenntnis der eigenen Wurzeln und eben auch religiösen Herkunft stark zugenommen zu haben.
Schon diese wenigen Aspekte sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Vermutung einer weitgreifenden Säkularisierung im Blick auf die Faszination religiöser «Urlaubsdestinationen» zu relativieren ist.
Willkommenskultur pflegen
Aus diesem Grund sind klare kirchliche Strategien im Blick auf die Begehungs- und Begegnungsinteressen der Menschen gefragt, die man im eigenen Nahraum willkommen heissen und beherbergen will. Kirchen sollten sich hier als im wahrsten Sinn des Wortes «offen» zeigen: Dies sollte beinhalten, eine Haltung der Offenheit auch gegenüber denjenigen zu entwickeln, denen man möglicherweise überhaupt nur einmal im Leben begegnet. Es verlangt zugleich erhebliche Vorsicht vor einem missionarischen «Einladungs»-Gestus. Und dies macht es auch notwendig, die eigene Symbol- und Sprachwelt möglichst niederschwellig zu erschliessen und dabei zugleich Formen personaler Präsenz anzubieten. Dies kann in Form niederschwelliger seelsorgerlicher Angebote, Signalen der «offenen Tür» und auch durch jeweils auf die konkrete Reisegruppe passgenau zugeschnittene Führungen geschehen.
Dafür ist die Vernetzung mit den lokalen Tourismusbehörden, aber auch mit anderen Gruppen und Einzelpersonen vor Ort bzgl. gemeinsamer Präsenz- und Veranstaltungsmöglichkeiten unbedingt notwendig. Ein gemeinsamer Veranstaltungskalender mit entsprechenden digitalen Informationen, aber auch geistlichen Begrüssungsworten dürfte selbst und vielleicht gerade von den religiösen Flaneuren aufmerksam und wohlwollend, vielleicht sogar im besten Sinn überrascht wahrgenommen werden.
In jedem (Einzel-)Fall haben kirchliche Orte das beste Potenzial dazu, als «offene Gemeinden» zu Orten des Staunens, der Bildung – und auch der Leistungslosigkeit! – für die Sinn-Suchenden der Gegenwart zu werden. Im besten Fall verschränken sich in solchen Erfahrungen dann Urlaubs- und Alltagswelt über den Moment des punktuellen Begehens und Begegnens weit hinaus und geben dem «Discover your smile» eine sehr viel wesentlichere Sinn-Bedeutung.
Thomas Schlag