Wie eine Freundin oder ein Mentor

Welche Bedeutung kommt der Geschlechterrolle beim Aufbau des Gottesbildes und der -beziehung zu? Die Analysekategorie Gender hilft, dies zu eruieren.

In der Praktischen Theologie hilft die Kategorie Gender, die Bedeutung von Geschlechtsrollen im religiösen Bereich zu untersuchen. So können Ein- und Ausschliessungsprozesse aufgedeckt werden, d.h. Diskriminierungen, die der theologischen Aussage der Ebenbildlichkeit Gottes aller Menschen widersprechen. Die Perspektive des «doing gender» erforscht, wie Geschlechtszugehörigkeit bzw. -identität und Geschlechterbeziehungen über alltägliche Zuschreibungen, Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster auch im religiösen Bereich aufgebaut werden.

Es geht weniger darum, Geschlechterdifferenzen herauszuarbeiten, welche die Unterschiede der Geschlechter betonen, sondern vielmehr darum, Geschlechtersensibilität zu entwickeln, welche die Menschen in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit und Divergenz wahr- und ernstnimmt ohne sie durch Rollenerwartungen festzulegen. Wer sich für eine geschlechtersensible Theologie ausspricht, wählt eine Option: Sie oder er setzt voraus, dass die Frage des Verhältnisses der Geschlechter theologisch von Bedeutung ist und optiert dafür, dass sich Theologie in Theorie und Praxis auf ihre Geschlechtersensibilität hin befragen lassen muss. Wer diesen Fragen eine nachrangige oder gar keine Bedeutung zuweist, trifft auch eine Option, legt jedoch andere Kriterien zugrunde.

Die folgenden Aspekte sind einige Merkmale geschlechtersensibler Praktischer Theologie:

Ohne zu leugnen, dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist, wird die Glaubensausprägung einerseits durch die jeweilige individuelle Lebensgeschichte, andererseits durch kulturelle Einflüsse, durch Generationsunterschiede und durch Rollenerwartungen aufgrund des Geschlechts beeinflusst. Auch religiöses (Rollen-)Verhalten wird durch Interaktions- und Zuschreibungsprozesse erlernt. Inzwischen liegen Forschungsergebnisse zur Verknüpfung zwischen Geschlechterrolle (Gender) und der Ausprägung von Religiosität vor. Mit Hilfe der Kategorie Gender können Unterschiede und diskriminierende Zuschreibungsprozesse wahrgenommen und kritisiert werden. Forschungsarbeiten zur Rezeption biblischer Personen durch Jugendliche belegen, dass gleichgeschlechtliche Personen stärkere Identifikationsmöglichkeiten bieten als gegengeschlechtliche. So identifizieren sich Mädchen und Jungen mit unterschiedlichen Personen in einer biblischen Erzählung und bewerten deren Verhalten unterschiedlich. Um geschlechterdifferente Erfahrungen ins Wort zu bringen, ist es wichtig, mit Hilfe einer breiten Palette biblischer Texte vielfältige Identifikationsmöglichkeiten zu geben und ggf. vorhandene Rollenstereotype zu hinterfragen.

Untersuchungen der Gottesvorstellungen von Mädchen und Jungen zeigen, dass das Geschlechtskonzept in das Gottesbild miteinfliesst. In der christlichen Tradition wird Gott traditionell wie ein Mann dargestellt, ohne ihm eine biologische Geschlechtszugehörigkeit zuzuweisen. Mit Hilfe der Kategorie Gender wird deutlich, dass die Bibel das Handeln Gottes nicht nur mit männlichen, sondern auch mit weiblichen Eigenschaften darstellt. So z. B. wie eine Gebärende (Dtn 32,18; Spr 8,24f.), Stillende (Gen 49,25) oder Mutter (Jes 66,13; Hos 13,8). Lebensgeschichtlich kann zwischen dem Gottesbild und der Gottesbeziehung unterschieden werden: Auch wenn das Gottesbild eines Menschen männliche Züge hat, kann die Gottesbeziehung weiblich geprägt sein, wie z.B. eine Freundschaft zur «besten Freundin», einer zentralen Beziehungsform weiblicher Jugendlicher, die auf Statusgleichheit Wert legt. Jungen und Männer beschreiben ihr Verhältnis eher wie zu einem Mentor oder einem grossen Bruder, wodurch ein Statusunterschied bzw. eine nahe familiäre Beziehung mitbenannt wird. Es kann vermutet werden, dass sich hier das unterschiedliche Sozialverhalten von Frauen und Männern in Gruppen spiegelt.  

Die Kategorie Gender macht deutlich, dass in der Praktischen Theologie nicht länger von «dem Menschen» oder «den Kindern und Jugendlichen» die Rede sein kann, sondern eine sensible Wahrnehmung von Unterschieden nötig ist, wenn die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen ernst genommen werden soll.

Angela Kaupp


Angela Kaupp

Prof. Dr. Angela Kaupp (Jg. 1960) studierte Theologie und Pädagogik in Würzburg. Sie promovierte in Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i.Br. und ist seit 2012 Professorin für Praktische Theologie, Religionspädagogik und Fachdidaktik am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz.

 

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