Wer will in dieser Kirche noch arbeiten?

Die Kirche erlebt zurzeit eine tiefe Krise. Unmittelbar vor dem Weltgebetstag für kirchliche Berufe ist klar: Berufungspastoral braucht neben dem Gebet einen strukturellen Wandel.

«Warum würde eine Frau für ihn arbeiten wollen?» Mit diesem Satz wird die englische Oskarpreisträgerin Emma Thompson zitiert, nachdem sie der Firma gekündigt hatte, die einen in seiner früheren Stelle übergriffigen Mann als neuen Chef eingestellt hatte. Und sie konkretisiert: «Ich bin mir auch bewusst, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich die Dinge im nötigen Tempo ändern, um die Generation meiner Tochter zu schützen, wenn Leute wie ich [...] kein Zeichen setzen.»1 Würde Emma Thompson einen Beruf in der Kirche ergreifen?
«[...] um die Generation meiner Tochter zu schützen.»

Im Februar erhält der seit Jahren die Kirche erschütternde Missbrauchsskandal eine neue Dimension. Papst Franziskus räumt den sexuellen Missbrauch von Nonnen durch Priester ein: «Ich weiss, dass Priester und auch Bischöfe das getan haben. Und ich glaube, es wird immer noch getan»
«[...] und ich glaube, es wird noch immer getan.»

Im Dezember des letzten Jahres sagt der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer: «Ich glaube, der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche». Man könne das nicht mehr als peripher abtun, sondern müsse radikal umdenken. «Bisher aber fehlt es uns an jeglicher Idee, welche Konsequenzen das für die Theologie haben muss.»
«Der Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche.»

Am 12. Mai begeht die Kirche den Weltgebetstag für kirchliche Berufe, betet darum, dass Menschen sich in den Dienst der Verkündigung stellen. Aber wir beten in einer Kirche, die in ihren Grundfesten erschüttert ist. Und es stellt sich die Frage: Warum würde ich für diese Kirche arbeiten wollen?
Warum würde ich für diese Kirche arbeiten wollen?

Diese Frage stellt sich auch, weil die strukturellen Veränderungen fantasielos stagnieren und so das kirchliche Arbeitsfeld eher schwieriger wird. Ein Beispiel: Der Klerikalismus: Der geringer werdenden Zahl von Priestern steht in Europa eine steigende Zahl von Klerikern als Diakone gegenüber. Erstaunlicherweise geschieht dies nur auf der Nordhalbkugel, wo ca. 40'000 von 45'000 Diakonen weltweit amten, keine 500 in Afrika! «Es gab also [...] Kirchen, die nicht den Bedarf sahen, den ständigen Diakonat zu entfalten. Das sind vor allem die Kirchen, die seit langer Zeit daran gewöhnt sind, ihre Aufgaben mit einer eingeschränkten Zahl von Priestern zu erfüllen und an das Engagement einer grossen Zahl von Laien [...] zu appellieren»2, schreibt Kardinal Gerhard Ludwig Müller bereits 2003. Papst Franziskus wendet sich 2014 an Journalisten: «Sie sprachen über den Klerikalismus. Das ist eines der Übel der Kirche [...] Der Laie muss Laie sein, getauft, er hat die Kraft, die aus seiner Taufe kommt. Diener, aber mit seiner Berufung als Laie, und das ist nicht veräusserlich, nicht verhandelbar [...] Oft habe ich gehört: ‹Wissen Sie, in meiner Pfarrei habe ich einen hervorragenden Laien [...] warum machen wir ihn nicht zum Diakon?› Das ist der Vorschlag des Priesters, sofort: klerikalisieren [...] Und warum? Weil der Diakon wichtiger ist als der Laie? Nein [...] Für mich verhindert der Klerikalismus das Wachstum des Laien.»3
«Für mich verhindert der Klerikalismus das Wachstum des Laien.»

Doch trotz dieses Statements droht die Fantasielosigkeit bei den notwendigen Reformen eine neue Dimension zu erhalten: Die Zulassung von viri probati. Diese Zulassung würde Frauen im kirchlichen Dienst weiter marginalisieren – eine Katastrophe, besonders, weil es eine breite Zahl von Gläubigen erst einmal als Fortschritt ansehen würde. In Wirklichkeit wäre es einmal mehr die Zementierung der alten Machtstrukturen. Mit Blick auf den 56. Weltgebetstag für kirchliche Berufe müssen wir wahrnehmen: Jegliche Struktur, jegliche Reform, die Frauen nicht im Blick hat, wird Berufungen von Männern und Frauen verhindern.
Jegliche Struktur, die Frauen nicht im Blick hat, wird Berufungen verhindern.

Thomas Leist

 

1 BaZ vom 27. Februar.

2 Internationalen Theologischen Kommission zum Diakonat, Der Diakonat. Entwicklung und Perspektiven, 2003.

3 Ansprache an den Medienverband «Corallo» vom 22. März 2014.

 


Thomas Leist

Thomas Leist (Jg. 1967) ist Leiter der Fachstelle Information Kirchliche Berufe IKB und Projektleiter von «Chance Kirchenberufe». Mit seiner Frau ist er in solidum seit 24 Jahren pfarreibeauftragt, aktuell in Herrliberg ZH.