Verknüpfung von Leben und Glauben

Wie kann Katechese Glaube und Alltag zusammenbringen? In Anlehnung an Kurt Marti, dass Gott ein Tätigkeitswort werden soll, ein Plädoyer für einen diakonischen Religionsunterricht.

Den Weg unter die Füsse nehmen, aufbrechen. (Bild: freeimages.com)

 

Der Leitsatz 2 im Leitbild Katechese propagiert, Leben und Glauben miteinander zu verknüpfen. Was selbstverständlich und banal klingen mag, ist nicht nur in städtischen, sondern zusehends auch in ländlichen Regionen und katholischen Stammlanden eine der grössten Herausforderungen für alle, die täglich mit Kindern und Jugendlichen katechetisch arbeiten. Zugleich ermutigt der Leitsatz zu dieser Maxime und eröffnet einer innovativen, nachhaltigen Glaubensbildung neue Chancen.

Abwesende Glaubenspraxis

Kinder und Jugendliche wachsen im pluralen Miteinander unterschiedlichster Werthaltungen und Lebenskonzepte auf und reifen zu Mitgliedern einer individualistischen, heterogenen Gesellschaft. Je nach familiärer Sozialisation kommen sie wenig bis kaum mit religiösen Themen in Berührung und nehmen wahr, dass der biblisch-christliche Glaube in der Öffentlichkeit einen geringen Stellenwert hat.

Das beklagte, fehlende Glaubenswissen verdankt sich einer weitgehend abwesenden Glaubenspraxis in den Familien und dem Fehlen von Vorbildern im persönlichen Umfeld. So gilt es zu fragen: Welche Lebensgestaltung und welche Personen beeindrucken Kinder? Gibt es etwas unterscheidbar Christliches im Alltag oder nur religiöse Manifestationen wie Rituale an Lebenswenden, die zumindest verzichtbar erscheinen?

Voraussetzungen schaffen

Es war und wird weiterhin Aufgabe der katechetisch Tätigen sein, mit den Kindern die Bibel zu erschliessen, Interesse sowie Sympathie für sie und ihre Protagonisten zu wecken und ihnen vor diesem Hintergrund christliche Glaubensbasics näher zu bringen. Diese zeigen sich in Respekt und Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen und der Schöpfung. Im Zentrum wird die Reich-Gottes-Botschaft Jesu stehen, welche die Solidarität in die Mitte jeder Glaubenspraxis setzt. Diese Essentials einer lebendigen Glaubenshaltung sollen einen Handlungsaspekt beinhalten, also aktives Erkunden und selbsttätiges Bearbeiten ermöglichen. Das hat mit der Entwicklung und Reifung von Lernenden im Volksschulalter sowie mit der kompetenzorientierten Ausrichtung der Katechese zu tun.

Die Hirnforschung hat gute Nachrichten für katechetisch Tätige: Lernen ist dann nachhaltig, wenn Menschen von etwas angerührt werden, wenn etwas in ihnen geweckt wird, also wenn (positive) Emotionen und Bewegung mit im Spiel sind. Es ist nie zu spät, neues Glaubenswissen und neue Glaubenserfahrungen zu sammeln!

Begegnungen initiieren

Diese Erkenntnisse nutzen katechetisch Tätige dann, wenn sie Raum für solidaritäts- und diakoniebasierte Begegnungen schaffen, indem sie «local heroes» in den Religionsunterricht einladen. Es geht dabei um Personen, die sich im Sinne der Reich-Gottes-Botschaft Jesu für andere Menschen und für eine bessere Lebensordnung engagieren bzw. die zu jenen gehören, die gemäss Mt 25,31–46 in Kontakt mit einem so in der Welt präsenten Gott sind: Sei es, dass diese Erwachsenen regelmässig einsame Menschen besuchen, eine psychisch oder körperlich beeinträchtigte Person begleiten, Paten eines armutsbetroffenen Kindes sind, sich bei «Tischlein deck dich» gegen Food Waste einsetzen, Flüchtlinge ins Private und Gesellschaftliche integrieren, sich für Lohngerechtigkeit sowie gegen den Klimawandel engagieren oder anderweitig sozial-diakonisch aktiv sind. Gelingt es den katechetisch Tätigen, offene, kommunikative und den Lernenden zugewandte Personen für derartige Begegnungen zu gewinnen, kann solches Lernen am Vorbild zu einer Erfahrung werden, die in Erinnerung bleibt, langfristig zu eigenem Handeln motiviert und die Glaubensentwicklung nachhaltiger prägt als auswendig gelernte und bald wieder vergessene Gebetstexte. Günstigstenfalls entstehen dadurch Gespräche in der Familie, die eine produktive Dynamik annehmen können. Unverzichtbar ist eine demselben diakonischen Verkündigungsparadigma verpflichtete Elternpastoral und Begleitung der Katecheten durch die Seelsorgenden, wenn die Verknüpfung von Glauben und Leben dauerhaft im Kind grundgelegt werden soll. Die anfangs erwähnten Defizite, die manche als Traditionsabbruch erleben, können durch alltagstaugliche Begegnungen somit nachhaltig ausgeglichen werden.

Essentials verstehen

Zugleich wird an einem der grossen Ziele im Religionsunterricht gearbeitet: der Schulung der Empathiefähigkeit, des Mitgefühls mit Menschen in Not, denen wir heute begegnen und von denen die Bibel erzählt. Mitgefühl wird geweckt durch Sich-Berührenlassen, durch Betroffenheit und Anteilnahme. Dafür ist vorab ein Perspektivenwechsel angesagt: Die Lernenden nehmen einen anderen Standpunkt ein, um aus dieser Position eine neue Sichtweise zu gewinnen. Nur so erleben sie hautnah, wo der in Fleisch und Blut gekommene Christus heute zu finden ist. Dann wird dessen gefeierte Erinnerung in der Eucharistie im Teilen vom Brot allererst plausibel und zum Generator für den Glauben sowie für eine solidarische Haltung.

Wird anschliessend das in der Begegnung Gehörte mit der biblischen Botschaft verglichen und die Motivation zum Handeln biblisch begründet, wird weiter über mögliche Projekte und individuelles Handeln diskutiert, ist der Kern dieser Botschaft verstanden, die Aufforderung zum Handeln wahrgenommen und eine Verknüpfung zwischen Leben und Glauben am Beispiel grundgelegt. Es wird also immer wichtiger im Sinn einer Alphabetisierungsmassnahme, die Essentials des christlichen Glaubens, seiner Praxis und seiner alltagsprägenden Kraft zu verstehen. Äus- sere Erscheinungsformen, Rituale, Bilderwelt, Kirchenjahr und Kirchenstrukturen sind dabei als korrespondierende Phänomene zu diesen Essentials zu vermitteln.

In Sprache fassen

Die skizzierten Begegnungen fördern bei den Lernenden weitere Kompetenzen: Sie stärken ihre Selbst- und Sozialkompetenz; sie optimieren ihre Fachkompetenz, wenn sie lernen, Motive zum Handeln biblisch zu begründen; sie schulen ihre religiöse Sprachfähigkeit, wenn sie im Austausch prüfen, inwiefern eine solche Lebensgestaltung motivierend, sinnstiftend und für ihre Zukunft inspirierend sein kann und sie bekommen einen neuen Zugang zu kirchlichen Gebets- und Liedtexten.

Mut und Offenheit

Das diakonische Lernen durch Korrelation darf und soll exemplarisch stattfinden. Einige ausgewählte, relevante und zentrale Aufgabenstellungen dürfen über einen längeren Zeitraum vertiefend bearbeitet werden. Zentrale Themen sind Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sowie Nächstenliebe und Respekt vor jedem Menschen aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit.

Und dann reicht es, wenn modellhaft (Modelling) zum Beispiel am Gleichnis des Samariters (Lk 10,25–37) erarbeitet wird, was «helfen» bedeutet: nämlich hinsehen, anhalten, Hirn einschalten, Handy holen, um Hilfe rufen, handeln. Dieses Modelling – das genaue Hinschauen auf die nötigen Teilschritte – ist hilfreich, weil es die Botschaft Jesu ernst nimmt, weil es nachvollziehbar und konkret zeigt, wie gehandelt werden kann und wie gelebter Glauben in Verknüpfung mit dem Leben heute aussehen kann.
Doch: Weglassen braucht Mut und erfordert, dass die katechetisch Tätigen ihre Entscheide Eltern und Seelsorgern gegenüber fachlich fundiert begründen können. Vor allem braucht es einen weiten Horizont bei den Seelsorgenden und Rückenstärkung für solch diakonischen Unterricht, der sich auch in einer entsprechenden Sakramentenverkündigung niederschlagen muss.

Gelingt das, wird der Mut zur Lücke zur Chance, denn die Lernenden werden am selber Erarbeiteten mehr Freude entwickeln als an übergestülpten Inhalten. Sie werden in solidaritäts- basierten Begegnungen nachhaltigere Erfahrungen machen und mehr Anregungen für eine geerdete, zukünftige Glaubenspraxis erhalten.

Käthi Wirth

 

Leitbild Katechese: Die SKZ veröffentlicht in loser Folge Beiträge zu den zwölf Leitsätzen zum «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Den Anfang machte Monika Jakobs in der 02/2019. Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch


Käthi Wirth

Käthi Wirth (Jg.1956) ist Primarlehrerin, Katechetin, Erwachsenenbildnerin FA und Absolventin des Studiengangs Theologie STh. Sie arbeitet seit 15 Jahren als Ausbildnerin von katechetisch Tätigen an der Fachstelle für Religionspädagogik Zürich und leitet dort auch den Bereich Beraten und Begleiten.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

Links