Spitalseelsorge unter Druck

Mangelnde Kenntnisse der Rechtsgrundlagen und übereifrige Datenschützer erschweren zunehmend die Arbeit der Spitalseelsorger. Eine fällige Bestandesaufnahme und ihre Konsequenzen.

Internationale Pakte wie die Europäische Menschenrechtskonvention garantieren die Glaubens- und Gewissensfreiheit ebenso wie nationalen Verfassungen. In der Schweiz sichert Art. 15 der Bundesverfassung (BV) u. a. jeder Person das Recht zu, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaften mit anderen zu bekennen. Im Zentrum der Spitalseelsorge steht der als Menschenrecht verankerte Anspruch des Individuums (sprich des Patienten) auf Religionsfreiheit und damit auf seelsorgerische Betreuung als deren Teilgehalt. Gemäss Art. 36 Abs. 4 BV ist der Kerngehalt der Grundrechte unantastbar. Sollte nur schon der Besuch eines Seelsorgers untersagt werden, würde dieser Kerngehalt verletzt.

Dem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ist aber nicht nur eine individuelle, sondern auch eine gemeinschaftsbezogene Dimension eigen.1 Konkret bedeutet dies, dass auch Religions- gemeinschaften das Recht zukommt, ihren Angehörigen seelsorgerische Dienste anzubieten.2 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der «korporativen Religionsfreiheit».

Beispiel Zürich

Im Kanton Zürich befinden sich die öffentlich-rechtlich anerkannten christlichen Kirchen sowie die anerkannten jüdischen Gemeinschaften in einer vergleichsweise komfortablen Lage. Par. 16 des Zürcher Kirchengesetzes konkretisiert die sich aus der öffentlich-rechtlichen Anerkennung ergebenden Rechte auf der Ebene Spitalseelsorge: «Die Pfarrer der anerkannten kirchlichen Körperschaften haben Anspruch auf Zulassung zur Seelsorge in Einrichtungen des Kantons und der Gemeinden wie in Spitälern, Pflegeheimen oder Gefängnissen.» Par. 6 der Verordnung zum Kirchengesetz und zum Gesetz über die anerkannten jüdischen Gemeinden spezifiziert diesen Rechtsanspruch noch zusätzlich.

Bemerkenswert ist hier Abs. 3: «Weist eine Einrichtung das Begehren um Zulassung zur seelsorgerischen Tätigkeit ab, erlässt es eine Verfügung.» Den wenigsten Seelsorgern dürfte diese Bestimmung bekannt sein. Auf eine solche anfechtbare Verfügung haben nicht nur die spezialisierten, in die Spitäler institutionell eingebundenen Seelsorger Anspruch, sondern auch spitalexterne Gemeindeseelsorger.3 Das Patientinnen- und Patientengesetz geht noch einen Schritt weiter: In Par. 9 räumt es der Spitalseelsorge das Recht ein, Patienten «unaufgefordert zu besuchen». Wir haben es also mit einer vom Gesetzgeber gewollten Privilegierung der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften zu tun.

Gemeindeseelsorgern kann von Spitälern die Bekanntgabe der Namen und Adressen der zu ihrem jeweiligen Sprengel gehörenden Patienten nicht verweigert werden.4 Eine solche Bekanntgabe kann insbesondere nicht unter dem Vorwand des Datenschutzes abgeblockt werden, denn die datenschutzrechtlichen Vorgaben sind damit gemäss Par. 8 in Verbindung mit Par. 9 des Zürcher Informations- und Datenschutzgesetzes erfüllt. Dabei fällt auf, dass Par. 9 Abs. 1 lediglich eine Einwilligung der betroffenen Person im Einzelfall verlangt. Eine entsprechende Einwilligung kann also im Kanton Zürich auch implizit erfolgen. Wenn Spitalverwaltungen von Gemeinde- pfarrämtern telefonisch erfragte Auskünfte verweigern, kann dies aus Gründen der Rechts- sicherheit allerdings nicht beanstandet werden. Es empfiehlt sich deshalb, solche Auskünfte direkt bei den institutionell eingebundenen, spezialisierten Spitalseelsorgestellen einzuholen (wozu diese nach geltender Rechtslage auch berechtigt sind).

Ein Zankapfel, um den – man möchte sagen chronisch – gestritten wird, ist die Frage nach dem Umfang der Patientendaten, auf den die Spitalseelsorge Anspruch hat. Mit einem rudimentären Datensatz (wer liegt in welchem Zimmer und gehört welcher Religion an) lässt sich keine Spitalseelsorge betreiben, die diesem Namen gerecht wird, nämlich der Begleitung und Betreuung des kranken Menschen in seiner körperlichen, geistigen und seelischen Dimension. Der auf die relevanten Faktoren für die Spitalseelsorge beschränkte Zugang des elektronischen Patientendossiers wäre geeignet, diesem Missstand abzuhelfen.

Niklaus Herzog

 

1 Dazu grundlegend: Karlen, Peter, Die korporative religiöse Freiheit in der Schweiz, in: Pahud de Mortanges, René (Hg.), Das Religionsrecht in der neuen Bundesverfassung, Fribourg 2001, 33.

2 Die Religionsgemeinschaften sind auch autonom hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Spitalseelsorge. Dabei gilt es, das je unterschiedliche Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften zu respektieren.

3 Vgl. Par. 16 Zürcher Kirchengesetz.

4 Dies ergibt sich klar aus Par. 16 des Kirchengesetzes in Verbindung mit Par. 6 Verordnung zum Kirchengesetz.

Die EU-Datenschutz-Grundverordnung: Am 25. Mai 2018 trat die neue Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union in Kraft. Mit Hinweis darauf wird Spitalseelsorgern von Datenschützern die Arbeit oft erschwert. Der Bundesrat hält in seiner Botschaft zur Totalrevision des eidg. Datenschutzgesetzes ausdrücklich fest, dass sie für die Schweiz per se nicht verbindlich ist (vgl. Bundesblatt 2017 6998). Nur für Fälle mit internationalem Bezug kann diese Verordnung allenfalls zur Anwendung kommen.


Niklaus Herzog

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog (Jg. 1951) ist Richter des Interdiözesanen Schweizerischen Kirchlichen Gerichts der Schweizer Bischofskonferenz. Er ist seit 2017 im Vorstand von Human Life International – Sektion Schweiz und seit 2018 Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Krisenintervention Schweiz. Von 1998 bis 2016 war er bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich u. a. für das Dossier Spitalseelsorge zuständig.

 

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