«Wer erhebt die Stimme?»

Am 19. November feiert die Kommission Justitia et Pax ihr 50-Jahr-Jubiläum. Als eine Frucht des Zweiten Vatikanums leistet sie wertvolle Arbeit im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens.

SKZ: Justitia et Pax (J+P) hat den Auftrag, «in Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen und weltlichen Institutionen einen Beitrag zur Förderung der Gerechtigkeit und des Friedens innerhalb unseres Landes und in der Welt zu leisten». Was heisst das?
Wolfgang Bürgstein: «Justitia et Pax» ist Name und Programm zugleich. Zunächst geht es um Gerechtigkeit und Frieden. Mit Papst Franziskus muss man sicherlich auch die «Bewahrung der Schöpfung» als Auftrag ergänzen. Wir diskutieren in der Kommission, welche Themen wir aufgrund unserer begrenzten Ressourcen bearbeiten können. Daneben sind wir selbst Mitglied in anderen Kommissionen. Wir erbringen Dienstleistungen wie beispielsweise Grundlagenpapiere zur Frage der Altersvorsorge oder zum assistierten Suizid. Was ein grosser Teil unserer Arbeit ausmacht, sind Vernehmlassungsantworten und Mandate der Schweizer Bischofskonferenz (SBK). Es gibt auch das europäische Netzwerk von J+P. Hier erhalten wir indirekt Unterstützung, wenn wir sehen, woran andere Mitgliedskommissionen arbeiten und von ihren Papieren profitieren können.

J+P ist eine Kommission der SBK. Wie klappt die Zusammenarbeit?
Die Zusammenarbeit klappt im Grossen und Ganzen sehr gut. Es hängt immer davon ab, um welche Fragen es geht. Es gab in der Vergangenheit auch schwierige Momente, beispielsweise bei der Frage der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Hier war die Kommission dafür, die Bischöfe hingegen sagten, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht mit der kirchlichen Lehre vereinbar seien. Da eine bischöfliche Kommission inhaltlich nicht eine andere Position beziehen kann als die Bischöfe, haben uns diese untersagt, dazu öffentlich Stellung zu nehmen. Das hat dazu geführt, dass ein Kommissionsmitglied zurückgetreten ist. In einem anderen Fall ging es um die Vernehmlassungsantwort zur Stiefkindadoption. Aber ich denke, dass die Bischöfe durchaus auch froh sind, wenn wir Position beziehen und sie sagen können, «das sagt J+P und nicht wir».

Es gibt heute noch die Diskussion, ob sich die Kirche in politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Fragen einmischen dürfe.
Wir sind eine Laienkommission, nicht nur hier in der Schweiz, sondern weltweit – auch wir sind Kirche. Wir sind Bürger, die ihre politische Stimme erheben. In unseren Stellungnahmen versuchen wir mit der Kraft des besseren Arguments, unsere Position darzulegen. Die Kirche ist immer schon politisch, selbst wenn sie nichts sagt. Wenn man schweigt, bestätigt man automatisch die vorherrschende Meinung oder Politik. Im Grunde genommen ist es jetzt mit Papst Franziskus klar: Christsein erfüllt sich nicht im Verhältnis «mein Gott und ich», sondern Christsein erfährt da seine Bewährungsprobe, wo man im Zusammensein mit anderen Position bezieht und die Not der anderen nicht ignoriert.

Ist die Gesellschaft überhaupt noch an der Meinung der katholischen Kirche interessiert?
Die Erfahrung ist sehr unterschiedlich. Wir mussten feststellen, dass im politischen Bern niemand mehr darauf wartet, dass Bischöfe oder J+P eine Stellungnahme abgeben. Man muss sich heute zu Gehör bringen. Wenn wir konkret mit anderen zusammenarbeiten, beispielsweise im Bereich Ausländer- und Asylrecht, kann ich feststellen, dass eine kirchlich-ethische Stimme durchaus gefragt ist. Ethische Aspekte immer wieder zur Sprache zu bringen, auch Grundlagen, die für uns als Ethiker selbstverständlich sind, immer wieder zu formulieren, das erfährt bis heute eine grosse Wertschätzung.

Welches waren Höhepunkte in der Geschichte von J+P?
In den 80er-Jahren sind in der Frage der Apartheid zwei Welten aufeinandergeprallt. Auf der einen Seite die politische Schweiz, die sehr stark an Geschäften orientiert war, die Banken und einige Unternehmen als dominante Player. Diese haben die öffentliche Wahrnehmung der Dinge wesentlich mitgeprägt. Auf der anderen Seite gab es die Kirchen, nicht nur die katholische, auch die reformierte, die durch ihre Internationalität viele Kontakte hatten und die auch andere Seiten zur Sprache brachten. Das war für die Bischöfe in der Schweiz nicht immer einfach. Hier hat der damalige Generalsekretär der SBK, P. Roland Trauffer, viel dazu beigetragen, dass die Bischöfe Position bezogen haben. J+P konnte als gesellschaftlicher Player die Fragen von Frieden und Gerechtigkeit bei einem ganz konkreten gesellschaftspolitischen Thema mitgestalten. Das wäre heute so wahrscheinlich nicht mehr möglich, weil sich auch kirchenintern einiges geändert hat. Ein weiterer Höhepunkt, den ich selber miterleben durfte, erfolgte im Nachgang dazu. Es gab eine Aufarbeitung dieser Prozesse und Gespräche durch den Historiker Bruno Soliva. Diese Studie durften wir in Südafrika vorstellen. Es ist immer auch die Frage, ob wir mit unseren Argumenten ein stückweit überzeugen konnten. Vielleicht nicht die breite Öffentlichkeit, aber andere, die eine Kampagne getragen oder eine Abstimmung initiiert haben. Das sind kleine und wichtige Erfolge.

Gab es auch kritische Momente für J+P?
Ich habe bereits zwei Punkte erwähnt: die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und die Stiefkindadoption. Die Tatsache, dass wir keine von der SBK abweichende Stellungnahme abgeben durften, finde ich schade, weil der Katholizismus gar nicht so homogen ist, wie Aussenstehende immer meinen. Ein weiterer schwieriger Moment war 2003 die Schaffung der Bioethikkommission und somit die Trennung der bioethischen von den sozialethischen Themen. Die SBK war damals wohl der Meinung, dass die Positionierung von J+P ein bisschen zu liberal sei. Es konnte mir bis heute niemand vernünftig erklären, wo genau die Trennlinie ist, weil alle bioethischen Themen immer auch sozialethische Aspekte haben. Für mich persönlich war auch der Entscheid der Bischöfe, unser Sekretariat Ende 2012 von Bern nach Freiburg i. Ue. zu verlegen, schwer nachzuvollziehen. Die politische Musik spielt in Bern.

Wie sieht es in der Kommission aktuell aus?
Die Kommission hat laut Statuten maximal 21 Mitglieder, aktuell sind es 9 Mitglieder. Die Hälfte der Kommissionsmitglieder ist seinerzeit aus Protest gegen den Umzug nach Freiburg i. Ue. zurückgetreten. Es wird immer schwieriger, Leute zu finden, die bereit sind, für eine bestimmte Zeit ein Mandat zu übernehmen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt hat in den letzten Jahren abgenommen. Dazu kommt, dass man als Nationalkommission mindestens drei Sprachregionen abdecken sollte. Jeder sollte in seiner Muttersprache reden können und von den anderen verstanden werden. Aktuell ist innerhalb der Kommission eine offene Frage, wie es weitergehen soll, da die Bischöfe beschlossen haben, die Bioethikkommission und J+P Ende 2020 wieder zusammenzulegen. Es ist noch nicht klar, ob es eine ethische Kommission mit den beiden Standbeinen Sozialethik und Bioethik geben wird oder ob wir wirklich fusionieren. In dieser Situation ist es schwierig, neue mögliche Mitglieder anzufragen.

Welche Themen muss J+P in Angriff nehmen?
Die Kernaufgaben bestehen weiter. Diese sind allerdings komplexer und auch globaler geworden. Die Fragen z. B. nach Wachstumsidealen oder zur Klimaerwärmung können wir nicht national lösen. Die Frage lautet: Wie übernehmen wir als Christen, als Schweizer Bürger, Verantwortung im Hinblick auf globale Migrationsströme, Kriege, Verelendungstendenzen oder Umweltzerstörung weltweit? Wer erhebt die Stimme, wer kann glaubwürdig etwas dazu sagen? Das müssen wir immer im globalen Kontext bedenken und gleichzeitig konkrete Schritte für die Schweiz formulieren. Wir müssen mit unseren begrenzten Ressourcen schauen, was möglich ist. Wir können kein eigenes Agenda-Setting machen, aber wir versuchen, was von der politischen Agenda vorgegeben ist, ein stückweit abzuarbeiten.

Interview: Rosmarie Schärer

 

Justitia et Pax: Die Päpstliche Kommission Justitia et Pax wurde 1967 auf Anregung des Zweiten Vatikanischen Konzils errichtet. Ab 1968 wurden von den Bischofskonferenzen landeseigene Kommissionen aufgebaut. Heute gibt es in rund 30 Ländern Landeskommissionen von Justitia et Pax, die sich zu «Justitia et Pax Europa» zusammengeschlossen haben. Diese Konferenz hat seit 2001 einen Teilnehmerstatus im Europarat in Strassburg. Die 1969 gegründete Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax ist eine Kommission der Schweizer Bischofskonferenz. Sie beschäftigt sich aus einer sozialethischen Perspektive mit sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Fragen. Informationen unter www.juspax.ch


Interviewpartner Wolfgang Bürgstein

Dr. Wolfgang Bürgstein (Jg. 1961) ist Ökonom und Theologe. Seit 2003 arbeitet er für die Nationalkommission Justitia et Pax.

 

BONUS

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