«Wenn Frauen gleichwertig agieren können ...»

Mit Simonetta Sommaruga, Karin Keller-Suter und Viola Amherd sitzen nun drei Frauen in der Landesregierung. Maria Pappa führt aus, welchen Einfluss sie als «Akteurinnen des Wandels» haben könnten.

SKZ: Gehen Frauen anders an die Politik heran als Männer?
Maria Pappa: Ob Frauen anders an Politik herangehen, ist ähnlich der Frage, inwiefern es pauschalisierte Verhaltensunterschiede zwischen Frauen und Männern überhaupt gibt und wenn ja, ob diese biologisch oder kulturell bedingt sind. Ich bin überzeugt, dass Verhaltensunterschiede zwischen Frauen und Männern eher kulturell und weniger biologisch bedingt sind.

Es ist für Frauen aus diversen Gründen schwieriger, höhere Führungspositionen zu erlangen. Frauen, die in der Politik erfolgreich sind, werden im Gegensatz zu Männern anders wahrgenommen und sind somit auch anders gefordert. Es ist eine Wechselwirkung. Konkret werden Frauen im Gegensatz zu Männern zum Beispiel eher negativ bewertet, wenn sie bestimmt auftreten, mal lauter werden oder sonst auf eine Weise Macht demonstrieren. Frauen sind von klein an gefordert, konzilianter und sozial angemessen aufzutreten, um erfolgreich zu sein. Deshalb glaube ich, dass ein wichtiger Bestandteil des unterschiedlich wahrgenommenen Verhaltens sozial konstruiert ist.

Es sind vielmehr die Zuschreibung von Geschlechterstereotypen, die diesbezüglichen Erwartungen und ihre Erfüllung bzw. Nichterfüllung, die überhaupt Verhaltensunterschiede entstehen lassen. Der Alltag in Exekutivämtern ist geprägt von Problemen, die unter Einhaltung komplexer Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung unterschiedlichster Bedürfnisse einer Lösung bedürfen. Entscheidungen sind hier oft Resultat eines langen Prozesses, eine Frage der Gewichtung und der Verhältnismässigkeit, nicht zuletzt der Werte. Der eigene Rucksack, die beruflichen und persönlichen Erfahrungen spielen meiner Erfahrung nach die grössere Rolle als das biologische Geschlecht. Selbstredend ist das biologische Geschlecht für Frauen in Männerdomänen auch ein Teil dieses Rucksacks.

Was wird sich wandeln, wenn nun vermehrt Frauen in führenden Funktionen tätig sind?
Wie ich oben erwähnt habe, sehe ich weniger den Wandel im unterschiedlichen Verhalten von Frauen und Männern, sondern vielmehr den Wandel in der Gesellschaft. Wenn Frauen gleichwertig agieren können, ist die Gesellschaft bereit, eine gerechtere Macht- und Ressourcenverteilung zu gestatten. Dies ermöglicht ein echtes demokratisches Zusammenleben, was wiederum vielmehr Aspekte und Bedürfnisse einer Gesellschaft abdeckt und somit auch qualitativ besser sein wird. Dabei geht es freilich nicht nur um den Gegensatz von Frauen und Männern. Die Debatte um Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Mitspracherecht betrifft auch andere gesellschaftliche Gruppen. Die «Akteurinnen des Wandels» können diesbezüglich als Vorbilder für eine Thematisierung des Problems wirken. Als Tochter von Emigranten vertrete ich beispielsweise nicht nur die Frauen, sondern auch eine weitere eher an den Rand gedrängte Gruppe, die Ausländerinnen und Ausländer.  

Profitieren ökologische und entwicklungspolitische Themen davon, wenn sie in den Händen von Frauen liegen?
Hochkomplexe Entscheidungen auf den einzelnen Faktor des Geschlechts reduzieren zu wollen, greift zu kurz. Auf welchem Weg jemand zur Lösung eines Problems gelangt, ist in meinen Augen nicht vom Geschlecht abhängig, sondern von einer Vielzahl und Komplexität anderer Faktoren wie z. B. Ausbildung, Erfahrung, Mitarbeitende, Organisation usw.

Die katholische Kirche und die Frage der Gleichberechtigung der Frau: Was denken Sie dazu?
Die katholische Kirche hat eindeutig ein Problem mit der Gleichberechtigung. Sie ist mit Blick auf ihre Organisation eine ausschliessliche Männerdomäne, die mit Verweis auf die Geschichte und die Glaubenslehre diese patriarchale Tradition auch weiterhin verteidigt. Der gleiche Mechanismus ist auch in anderen Religionsgemeinschaften oder Gesellschaften zu beobachten. Es geht auch hier primär um Macht und Machtausübung. Dabei gibt es für mich bezüglich der Glaubenslehre, der reinen Nächstenliebe keinen Unterschied zwischen Frau und Mann. Die Kirche würde viel Glaubwürdigkeit und Tiefe in ihrer eigenen Lehre gewinnen, würde sie dies ändern.

Interview: Heinz Angehrn*

 

 

* Heinz Angehrn (Jg. 1955) war Pfarrer des Bistums St. Gallen und lebt nach 37 Jahren im aktiven kirchlichen Dienst als Pensionierter im Bleniotal TI. Er ist Präsident der Redaktionskommission der Schweizerischen Kirchenzeitung und als Hobbys nennt er Musik, Geschichte und Literatur.


Interviewpartnerin Maria Pappa

Maria Pappa (Jg. 1971), seit 2017 Stadträtin und Baudirektorin der Stadt St. Gallen (SP), ausgebildete Sozialpädagogin, ist im Ehrenamt Lektorin und Kommunionhelferin in der Dompfarrei und war bis zur Wahl Präses des Blaurings St. Otmar/Riethüsli. Ebenso war sie während zwölf Jahren Mitglied des diözesanen Seelsorgerates.