Mit Tinte und Feder Freiräume schaffen

Sie schrieben gegen traditionelle Frauenrollenbilder und gesellschaftlich enge Schranken an, setzten sich für Rechte und Bildung ein und gründeten Verlage – sie, die Vorkämpferinnen für die selbstbestimmte Frau.

Schweizer Schriftstellerinnen haben sich seit dem 18. Jahrhundert kritisch zur Stellung der Frau in der Gesellschaft geäussert. Sie forderten die Überwindung der traditionellen Rollenbilder, Bildung und gleiche Rechte und setzten sich für mehr Möglichkeiten und Freiheiten für Frauen in allen Lebensbereichen ein, immer auch in der Sexualität. Nicht mit Sicherheit nachzuweisen ist in jedem Fall, ob die Texte das Verhalten von Leserinnen und Lesern auch beeinflussten. Die Tatsache, dass Frauen schon immer den grösseren Teil der Lesenden ausmachten, und die Höhe der Auflagen sind zumindest Indizien dafür, dass diese Texte gelesen und diskutiert wurden.

Vorkämpferin des Frauenrechts

Bereits im 18. Jahrhundert – zwei Jahre nach der letzten Hexenverbrennung in Europa (Anna Göldi 1782 in Glarus) – veröffentlichte die in Rapperswil geborene Marianne Ehrmann-Brentano (1755–1795) anonym ihr erstes Werk «Philosophie eines Weibes» (1784), in dem sie Männern vorwirft, in Beziehungen vor allem ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen zu wollen. «Alles nennt man Liebe, und was die Menschen Liebe heißen, ist oft nur Eitelkeit, Eigensinn, Temperament, Sinnlichkeit, Vieherey.» Dem Machtanspruch der Männer stellt sie den Stolz und die Selbstbestimmtheit der Frauen entgegen: «Ich liebe meinen Körper zu sehr, um ihn so geradezu zum Mißbrauch so vieler Undankbaren zu bestimmen, und nur eine Dumme, Verdorbene kann niedrig genug seyn, bey jedem Angriff das Werkzeug der Bedürfniß der Männer zu werden.» Diese Publikation erregte einiges Aufsehen und provozierte die «Philosophie eines Mannes. Ein Gegenstück zur Philosophie eines Weibes» von Ignaz Andreas Anton Felner (1754–1825).

Im Briefroman «Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen» schildert Marianne Ehrmann das Leben einer jungen Frau, die sich aus einer unglücklichen Ehe lösen und mit den gesellschaftlichen Folgen einer Scheidung leben muss und schliesslich den einfühlsamen Ehemann findet. In der damals gängigen Form des Briefromans wird das weibliche Leben im Spannungsfeld zwischen den eigenen Wünschen und den gesellschaftlichen Verhinderungen, die vor allem als geschlechtsspezifische dargestellt werden, gezeigt.

Marianne Ehrmann-Brentano war eine Ausnahmeerscheinung, nicht nur weil sie schrieb und publizierte. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Herausgeberin der Zeitschrift «Amaliens Erholungsstunden», in der sie auch aus heutiger Sicht feministische Positionen vertrat. Das führte dazu, dass der Verlag Cotta in Tübingen die Zusammenarbeit mit ihr beendete. Sie konnte schliesslich eine neue Zeitschrift «Die Einsiedlerin aus den Alpen» im Verlag Orell Gessner und Füssli in Zürich herausgeben. Die Literaturwissenschaftlerin Edith Krull hielt in ihrer Disserta- tion 1939 fest: Marianne Ehrmann «war die erste und temperamentvollste Vorkämpferin des Frauenrechts» und «ist unter allen Frauen dieser Zeit die einzige Revolutionärin in der Publizistik, die mit der Tat für ihre Ideen einzutreten wagte».

Im Laufe des 19. Jahrhunderts griffen immer mehr Frauen zur Feder. Die Schulbildung war besser geworden. In der Bundesverfassung von 1874 wurde der unentgeltliche obligatorische Schulbesuch während acht Jahren verankert, auch für Mädchen, die in der speziellen Arbeitsschule zusätzlich auf die Haushaltführung vorbereitet wurden. Lesen und Schreiben waren nicht mehr den Privilegierten vorbehalten. Und die Frauen erkämpften sich den Zugang zu den Universitäten. In der Literaturzeitschrift «Helvetia» finden sich erstaunlich viele Texte von Autorinnen.

Eigenständige Frauenfiguren

Eine dieser Autorinnen war Silvia Andrea (Pseudonym für Johanna Garbald-Gredig, 1840–1935). Sie schrieb verschiedenste historische Romane und Erzählungen, in denen vor allem Frauen auftreten, die mit der traditionellen Frauenrolle in Konflikt geraten. In «Faustine», einem Roman aus dem Jahr 1888, schuf sie in Anlehnung an Goethes Faust eine Hauptfigur, die weder in der Wissenschaft noch in der Kunst Antworten auf ihre Daseinsfragen, die Fragen einer gebildeten Frau, findet. Zur Bundesfeier 1891 schrieb Silvia Andrea eine Erzählung mit dem Titel «Wilhelm Tell», in der Frauenfiguren auftreten, die bei Schillers Tell nicht vorkamen, Frauen mit politischem Scharfsinn und eigenständigem Handeln. Ein zentrales Kapitel findet in einer Spinnstube statt, in der Frauen und Männer gemeinsam politische Fragen diskutieren.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten Frauen als Lehrerinnen und Erzieherinnen auch im Ausland ihren Lebensunterhalt verdienen. Erste Frauenorganisationen wurden gegründet. Am ersten Schweizerischen Frauenkongress von 1896 im Rahmen der Landesausstellung in Genf präsentierten sie ihre Anliegen zur Situation der Frauen einer breiteren Öffentlichkeit. Auch die Forderung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen wurde diskutiert.

Ein Mann zu sein, das wäre Freiheit

Lina Bögli (1858–1941) stammte aus einfachen Verhältnissen im Emmental und wagte es, eine Stelle als Erzieherin in Neapel, dann in Polen anzunehmen. Da empfand sie eines Tages, dass ihr Leben «leer und farblos» war. Und sie sinnierte: «Für einen Mann mag es wohl noch erträglich sein; denn er kann, wenn es ihm beliebt, alles mögliche anstellen, um Abwechslung in die Eintönigkeit zu bringen, er behält doch seinen Platz in der Gesellschaft; aber uns Frauen sind die Schranken so eng gezogen, dass man sich nicht gehörig rühren kann, ohne dagegen anzuprallen. Ja, ein Mann zu sein, das wäre Freiheit. Was ich wohl tun würde, wenn ich ein Mann wäre?» Sie beschloss 1892, dass sie die Welt bereisen wollte. Allein reiste sie nach Australien, Neuseeland, Samoa, Hawaii, durch die USA und publizierte nach ihrer Rückkehr einen Bericht in Briefen: «Vorwärts». Die humorvoll beschriebenen Erfahrungen dieser unerschrockenen Frau waren ein grosser Erfolg, erschienen in vielen Auflagen und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

Berufstätige Frauen erlebten aber nicht nur Erfreuliches. Im Roman «Schwester Lisa» (1934) von Elisabeth Gerter (1895–1955) werden die unwürdigen Arbeitsverhältnisse von Krankenschwestern geschildert. Lisa flüchtet in eine Ehe, in der sie zur totalen Unterordnung gezwungen wird. Mit grosser Mühe befreit sie sich auch von diesen Fesseln und findet schliesslich den Weg zu Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein. Das Interesse an diesem Buch war gross. Die wirtschaftlich schwierigen 30er-Jahre und der Krieg verhinderten jedoch die Entwicklung einer starken Frauenbewegung.

Erst nach dem Krieg forderten die Schweizer Frauen wieder die Einführung des Stimmrechts. Mit «Frauen im Laufgitter» (1958) legte Iris von Roten (1917–1990) eine radikale Analyse der Situation der Frauen in der Schweiz vor, die zu heftigen Diskussionen führte und oft kritisiert wurde. Das Stimmrecht wurde 1959 zwar abgelehnt, aber zusammen mit der neuen Generation 1971 schliesslich auf nationaler Eben eingeführt. Und es bildete sich eine neue Frauenbewegung, die das traditionelle Geschlechterverhältnis in Frage stellte und eine neue, feministische Wissenschaft forderte.

Aufbruch und Aufarbeitung der Geschichte

Die erste Publikation der in Berlin lebenden Schweizerin Verena Stefan (1937–2017), «Häutungen», wurde 1975 ein Bestseller. Sie entlarvte die Beziehung zwischen Mann und Frau als einseitiges Machtverhältnis und forderte für Frauen eine erfüllende Sexualität, die sie in einer lesbischen Beziehung fand. Das Buch wurde in acht Sprachen übersetzt und trug zur Gründung von Frauenverlagen und Frauenreihen in den grossen Verlagen bei. Texte von Schweizer Schriftstellerinnen wie Elisabeth Gerter und Lore Berger (1921–1943) wurden neu aufgelegt, junge Autorinnen fanden Verlage für ihre Bücher.
Eveline Hasler (geb. 1933) schuf mit dem historischen Roman «Anna Göldin. Letzte Hexe» den Durchbruch als Schriftstellerin und leistete einen wichtigen Beitrag zur Überlieferung der Lebensgeschichte von Anna Göldi, die 1782 im Zeitalter der Aufklärung zum Opfer der Machtspiele ihres Dienstherrn wurde, der mit ihr Ehebruch begangen hatte. Anna Göldi wurde 2008 vom Kanton Glarus rehabilitiert, der Prozess als Justizmord anerkannt. 2017 wurde das Anna Göldi Museum in Ennenda eröffnet.

Diese Auswahl von Autorinnen und ihren Werken über 200 Jahre zeigt, dass ihre Erfahrungen in der Literatur von Frauen schon immer eindringlich thematisiert und in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden. Sie beschrieben in ihren literarischen, philosophischen oder politischen Texten die patriarchalen Verhältnisse und entwarfen ihre Vision einer menschengerechten Gesellschaft. Erstaunlich ist jedoch, dass die Themen die gleichen blieben: Bildung, ökonomische Eigenständigkeit, Sexualität, Machtverhältnisse der Geschlechter – in jeweils der Zeit eigenen Erscheinungsformen.

Doris Stump


Doris Stump

Dr. Doris Stump (Jg. 1950) studierte Germanistik und Anglistik in Zürich und Pennsylvania und promovierte über Meta von Salis (Barbara Margaretha von Salis-Marschlins, 1855–1929), die erste Historikerin und bekannte Frauenrechtlerin der Schweiz. Stump ist Verlegerin und leitet seit 2001 den eFeF-Verlag. Von 1995 bis 2011 war sie Mitglied des Nationalrats.