«Wenn das Leben nach Intensität vor Gott ruft»

Die Handauflegung verbunden mit einem anamnetisch-epikletischen Gebet ist Bischöfen und Priestern vorbehalten. Bei Segnungen sieht es anders aus. Die SKZ sprach mit Birgit Jeggle-Merz über Bedeutung und Einsatzmöglichkeiten der Handauflegung.

SKZ: In der Zeitschrift «Gottesdienst»1 plädiert die deutsche Religionspädagogin Nicola Back aus Mainz dafür, die Handauflegung im gottesdienstlichen Kontext häufiger zu nutzen. Wie sehen Sie es?
Birgit Jeggle-Merz: Handauflegung ist von der Sache her zum einen Ausdruck der Herabrufung des Heiligen Geistes, also ein epikletischer Gestus, und zum anderen eine intensive Form des Segens, die aber nur selten voll realisiert wird. Ich teile die Ansicht der deutschen Kollegin, dass die Handauflegung als Gebetsgebärde häufiger im Gottesdienst verwendet werden sollte. Gerade die Hand ist ein besonders ausdruckskräftiges Organ, was sich in der deutschen Sprache schon im Wort «hand-eln» niederschlägt. Berührungen mit der Hand gehören zu den Urgebärden des Menschen. Durch seine Hand schafft der Mensch, drückt sich aus und stellt sich dar. Das Alte wie das Neue Testament bedient sich immer wieder der Metapher «Hand», um das Wirken Gottes, sein Eingreifen in die Geschichte, seine überlegene Macht usw. auszudrücken. Gottes Hand verleiht prophetische und andere Charismen, steht für Schutz und Rettung. Gott hebt die Hand zum Befehl und zum Schwur, schreibt mit seiner Hand und in seine Hand. Da die Liturgie so stark von der Bibel durchtränkt ist, spricht sie auch immer wieder von der Hand Gottes, wenn sie das helfende, schützende und strafende Eingreifen Gottes vergegenwärtigen will. Romano Guardini formulierte einmal, dass die «Handlung entwickelte Verleiblichung des Seelenlebens» sei. Die Seele, das Innerste des Menschen, kann sich im Handeln − wir sagen heute: im rituellen Tun − ausdrücken und darin zu sich selbst kommen.

Welche Möglichkeiten von Handauflegung in gottesdienstlichen Feiern ausserhalb der Sakramentenspendung gibt es?
Charismatische Gemeinschaften pflegen in besonderer Weise eine Kultur des Gebets für die Schwester, den Bruder, über die andere oder den anderen. Dabei ist es selbstverständlich, dass derjenige, für den gebetet wird, mit den Händen berührt wird und ihm oder ihr die Hände aufgelegt werden. Kaum jemand würde hier urteilen, dass dies unredlich sei, oder dass die Betenden hier «Priester spielen» würden. Das Gebet für einen Menschen, der Hilfe, Stärkung, Wegweisung sucht, erfährt durch die Berührung und durch die Handauflegung Intensität – für die Betenden und die, über die gebetet wird. Hier wird deutlich: Gebet geschieht in der Kraft des Heiligen Geistes. Und noch einmal: Es ist auffällig, dass die Selbstverständlichkeit, mit der Handauflegung als Gebetsgebärde in charismatischen Gemeinschaften ge- übt wird, wenig Ge- genreden auslöst. Hieraus lässt sich schliessen: Wenn das Leben nach Intensität vor Gott ruft, hilft Verleiblichung. Wenn allerdings in einer «normalen» Pfarrgemeinde eine Seelsorgerin den Kommunionkindern beim Gottesdienst zur Eröffnung der Erstkommunionvorbereitung einzeln die Hände auflegen würde, kommt schnell die Frage auf, ob sie das darf.

Wer darf denn nach kirchlichen Vorgaben die Hände auflegen?
Die Handauflegung ist in besonderer Weise sakramentaler Ausdruck der Geistmitteilung bei der Firmung, beim Busssakrament, bei der Krankensalbung und bei allen Ordinationen. Hier ist Handauflegung – bzw. die Handausstreckung über mehrere Gläubige – stets verbunden mit einem grossen anamnetisch-epikletischen Gebet. In diesem Kontext ist die Handauflegung dem Bischof und dem Priester vorbehalten. Wenn bei Segnungen jedoch die Gebetsgebärde Handauflegung verwendet wird, sieht das anders aus. Hier ist ein Blick in den Katechismus aufschlussreich: «Die Sakramentalien fallen unter die Zuständigkeit des Priestertums aller Getauften: Jeder Getaufte ist dazu berufen, ein ‹Segen› zu sein und zu segnen. Daher können Laien gewissen Segnungen vorstehen. Je mehr eine Segnung das kirchliche und sakramentale Leben betrifft, desto mehr ist ihr Vollzug dem geweihten Amt (Bischöfen, Priestern, Diakonen) vorbehalten».2

Welche Alternativen gibt es zur Handauflegung?
Auf einer Reise in den USA feierte ich für ein paar Wochen mit der dortigen katholischen Gemeinde Gottesdienst. Hier habe ich einige Male erlebt, wie selbstverständlich die Gebärde Handauflegung bzw. Handausstreckung von allen Mitfeiernden praktiziert wurde. So z. B. einmal bei der Verabschiedung des Diakons der Gemeinde im Rahmen einer Eucharistiefeier: Der Priester forderte alle Mitfeiernden auf, die Hände auszustrecken, den Kopf zu senken und um die Kraft des Geistes für die neue Aufgabe des Diakons zu beten. Ein anderes Mal waren es die Schülerinnen und Schüler einer Klasse, die eine schwierige Aufgabe zu bewältigen hatten, für die die ganze Gemeinde unter Handausstreckung aller betete. Am Muttertag waren es alle Mütter, die im Zentrum des Gebets standen. In unseren Breitengraden hat man den Eindruck, dass nur ein Priester die Hände erheben dürfe. Ich persönlich habe es mir zum Prinzip gemacht, dass ich als Vorsteherin Gebetsgebärden, die als amtspriesterliche Geste (miss)verstanden werden könnten, nicht alleine ausübe, sondern immer die Umstehenden bitte, mit mir diese Geste zu vollziehen.

Körperliche Berührungen in Form von Handauflegung usw. sind angesichts des sexuellen Missbrauchs in der Kirche ein heikles Thema. Was gilt es zu beachten, dass eine körperliche Berührung nicht als Übergriffigkeit empfunden wird?
Selbstverständlich ist alles übergriffige Verhalten auch in der Liturgie zu unterlassen. Übergriffig ist etwas dann, wenn die Grenzen des anderen verletzt werden und der Handelnde nicht das Gegenüber im Blick hat, sondern seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Falsch wäre es jedoch, aus lauter Vorsicht grundsätzlich jegliche Form der Berührung auszuschliessen. Im Beichtgespräch wird der Priester fragen, ob er dem Poenitenten die Hände auflegen darf. Wenn es sich um Kinder handelt, die an das Busssakrament im Rahmen der Erstkommunionvorbereitung herangeführt werden, ist es wichtig, auf einem Elternabend zu thematisieren, ob über eine Handausstreckung hinaus auch eine Handauflegung, also eine direkte Berührung des Kindes, möglich ist. In der Regel sind beim Feiern von Gottesdienst anders als in einer Beichtsituation mehrere Personen zugegen. Diese Anwesenheit von vielen schützt auch vor unzulässigen Berührungen. Hinzu kommt, dass im gottesdienstlichen Kontext Nähe und Distanz oft anders ausgelotet sind als in sonstigen Zusammenhängen. Schon beim Kommunionempfang kommt der Kommunikant dem Kommunionspendenden näher als er sonst einem weitgehend Fremden nahekäme. Die Situation des Kommunionempfangs ist im Grunde höchst intim. Aber trotzdem wird diese Nähe nicht als übergriffig oder störend erlebt. Im gottesdienstlichen Setting – sprich: viele sind zusammen in einem besonderen Rahmen in definierten Rollen – sind zwischenmenschliche Begegnungen möglich, die sonst nur miteinander vertrauten Menschen zustehen. Oberstes Prinzip für die Seelsorgenden muss das Wohl und das Heil des anderen sein. Jede liturgische Rolle ist Dienst – am anderen.

Am ersten Sonntag im März begeht die katholische Kirche in der Schweiz den Krankensonntag. In den Pfarreien finden Krankensegnungen statt. Was gilt es bei der Gestaltung der Segnungsfeier stärker zu berücksichtigen?
Es ist zunächst einmal wunderbar, dass es solche Gottesdienste gibt, die sich Menschen zuwenden, die von Krankheit berührt sind. Sei es, dass sie selbst erkrankt sind, oder von der Erkrankung ihnen nahestehender Menschen betroffen sind. Eine Segnungsfeier will Zuspruch, Stärkung, Hilfe bieten. Dies kann geschehen in Form von Handauflegung, Umfassen der Hände, Auflegen der Hand auf die Schulter usw. Ein persönlich zugesprochenes Segenswort kann unterstützt durch die körperliche Berührung tief in die menschliche Seele eindringen und heilsam wirken.

In der reformierten Kirche wird die Handauflegung in Form von Segnungen und Salbungen vermehrt ausgeübt. Wie schätzen Sie die Entwicklungen ein? Welche Impulse ergeben sich für die katholische Kirche?
Auch in den reformierten Kirchen wurde neu entdeckt, dass Sinnlichkeit Sinn vermittelt. Was ja auch eine uralte Weisheit ist. Insofern ist es zu begrüssen, dass die sinnliche Kargheit überwunden wird. Aber dennoch hat die katholische Kirche insbesondere bzgl. Salbungen ein anderes Verständnis als ihre reformierten Schwesterkirchen. Sie reserviert die Verwendung von geweihten Ölen für die Feier von Sakramenten, die dem Ordinierten vorbehalten sind. Beim Krankenöl wäre eine andere Regelung im Rückgriff auf die Praxis der alten Kirche theologisch denkbar und für die Praxis wünschenswert, doch ist in dieser Frage zurzeit keine Bewegung auf Seiten der Amtskirche zu beobachten.

Interview: Maria Hässig

 

1 Back, Nicola, Heilsame Berührung, in: Gottesdienst 53/12 (2019), 133–135.

2 Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) 1669.

 


Birgit Jeggle-Merz

Prof. Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz (Jg. 1960) ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur sowie an der Universität Luzern und Mitglied des Pastoralinstituts an der Theologischen Hochschule Chur.

 

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