«Weniger Affekt, mehr Effekt»

Dies ist eine der Empfehlungen, die Mariano Tschuor der Kirche für die Nutzung der neuen Medien gibt. Auch plädiert er für eine vermehrte Zusammenarbeit unter Pfarreien, Landeskirchen und Bistümern.

Mariano Tschuor (Bild, Jg. 1958) war von 1982 bis 2019 bei der SRG SSR in Chur (RTR), Zürich (SRF) und Bern als Journalist, Redaktionsleiter, Produzent, Chefredaktor, Direktor und Mitglied der nationalen Geschäftsleitung tätig. Er baute eine eigene Agentur AGRADORA GmbH für Projekte, Moderation und Kommunikation auf, ist Leiter des Projekts «Mariastein 2025» und Präsident der Kommission für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Schweizer Bischofskonferenz (SBK).

 

SKZ: Seit gut zwei Jahren sind Sie Präsident der Kommission für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der SBK. Was genau ist die Aufgabe dieser Kommission?
Mariano Tschuor: Die Kommission ist ein Beratungsgremium im Dienste der Bischöfe und des Generalsekretariats der SBK, allerdings ohne jegliche Kompetenzen. Wir versuchen, die SBK in der Medienarbeit zu unterstützen, virulente und andere Themen aufzunehmen, sie zu besprechen und von verschiedenen Seiten zu beleuchten, um so eine glaubwürdige Kommunikation der SBK vorzubereiten. Ausserdem organisieren wir den Mediensonntag mit der Medienkollekte, die hauptsächlich zur Finanzierung der Medienzentren in Zürich, Lausanne und Lugano eingesetzt wird, oder die Verleihung des katholischen Medienpreises.

Die Kirche gibt es seit 2000 Jahren, die neuen Medien seit etwa 20. Wo liegt deren Potenzial für die katholische Kirche in der Schweiz?
Neulich fragte mich ein älterer Ordensoberer, ob er denn nun auch – wie die Jungen – einen Facebook-Account einrichten müsse. Doch bei den Jungen ist Facebook längst out. Das, was wir heute als neue Medien bezeichnen, sind morgen vielleicht schon die alten. Das digitale Universum entwickelt sich schnell, immer raffinierter, leider auch perfider, ja, fast ohne Ende, wie es scheint. Um 1450 hat der Buchdruck die Welt revolutioniert, seit den 1990er-Jahren findet in der Kommunikationswelt eine neue Revolution statt: von der analogen in die digitale Welt. Wie soll sich die katholische Kirche in der Schweiz angesichts dieser rasanten Dynamik im Netz verhalten – mit Blick auf Technik, Inhalt, Distribution und Nutzung? Die katholische Kirche in der Schweiz ist ein zu kleiner Player, um hier immer, ständig und überall Schritt halten zu können. Sie ist unterschiedlich aufgestellt, arbeitet und agiert in den Sprachräumen divers und hat ein anspruchsvolles System – das duale. Aus dieser Vielfalt heraus ein Potenzial der neuen Medien für die katholische Kirche in der Schweiz auszumachen, ist – ohne gleich in Binsenwahrheiten zu fallen – schwierig. Das Potenzial ist eher eine Chance, die klug genutzt werden kann in der Verbreitung von Inhalten zum Glauben, zur Kirche und zur Gesellschaft. Zum Beispiel mit einer gemeinsamen App der katholischen Kirche in der Schweiz in den drei Hauptsprachen, mit einem Angebot auf Rätoromanisch, zusätzlich auf Englisch und Arabisch.

Der Medienpädagoge Andreas Büsch sagt: «Die Herausforderung bleibt einstweilen, von einem Neben- zu einem Miteinander von Online-Kommunikation und traditionellen Formen von Leben, Verkündigung und Liturgie zu kommen.» Sehen Sie dies auch so?
Ob analog, digital, multi-, cross- oder gar transmedial: Erzählen Sie mir bitte eine gute Geschichte, und ich höre Ihnen zu. Und vergessen wir bei allem Hype für die neuen Medien eines nicht: Nichts kann das persönliche Gespräch ersetzen, auch das virtuelle im Netz nicht, das oft anonym stattfindet und unverbindlich bleibt. Sie sehen: Ich setze mich für eine Aufwertung des Dialogischen im Hier und Jetzt ein.

Wo liegen dabei die Schwierigkeiten?
Mir greift die Sichtweise auf die neuen Medien zu kurz: All die Apps und Plattformen wie Instagram, WhatsApp, Facebook, Twitter, die wir via Internet auf dem Computer, auf Tablets und Smartphones konsumieren können, erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn auch Inhalte bereitgestellt werden. Ein Tweet kann nicht mehr sein als eine Kurznachricht und ist als solche zu lesen und zu deuten, selbst wenn sie vom Papst abgesetzt wird. Ich plädiere für mehr Inhalte auf den Plattformen: weniger Affekt, mehr Effekt, weniger Stellungnahme, mehr Haltung.

Werden diese neuen Kommunikationskanäle in Ihren Augen in den kirchlichen Strukturen derzeit genügend genutzt?
Alle versuchen, irgendwie mit diesen neuen Medien fertig zu werden, allen voran die katholischen Medienzentren in Zürich, Lausanne und Lugano. Diözesen, Pfarreien und Landeskirchen kommunizieren mehrheitlich über ihre eigenen Webseiten. Ohne eine Gesamtübersicht über all die Angebote zu haben, stelle ich fest: Gut gemachte Kommunikation – unabhängig von den Medien – ist mit Aufwand verbunden. Dazu fehlen oft Kräfte und Mittel. Wir sind auf Kooperationen angewiesen. Im Internet wirkungsvoll gesehen, gelesen und gehört zu werden, bedeutet besser zu sein als das Mittelmass. Dafür sind einzelne Player in der katholischen Kirche der Schweiz zu klein und – mit Verlaub – in vielen Fällen gar dilettantisch aufgestellt. Experimentierfreudigkeit – ja; Bastelei – nein.

Die Kirche steht auch dafür in der Kritik, dass sie ein verkürztes Medienverständnis hat und die Glaubensverkündigung lediglich in ein neues Gefäss steckt.
Diese Kritik kann ich so pauschal nicht nachvollziehen. Ich verstehe sie, wenn sie einzelne Amtsträger meint, die ein gestörtes Verhältnis zu den Medien haben. Gewisse Plattformen geben Prälaten – ohne redaktionelle Einordnung – frank und frei viel Raum für unbedarfte Äusserungen zu den Skandalen des Übergriffs und zur Sexualität. Ich verstehe sie auch, wenn sie die kirchliche Semantik im Umgang mit Missbrauch anspricht. Diese Metaphern, wie «Braut Christi» oder «Das Böse, das sich in der Kirche eingenistet hat», stossen in einer mediatisierten Welt auf Unverständnis. Schändliche Taten sind schändlich und zu verurteilen. Punkt. Alles andere scheint mir Wortklauberei zu sein. Ich kann auch positive Beispiele aufführen, wie jene kurzen Videoclips, die der Papst jeden Monat zu einem bestimmten Thema ausstrahlen lässt. Machart und Länge sind sehr gut, der Papst und sein Charisma kommen rüber, die Nutzung ist hoch, über Facebook werden die Botschaften beworben. Man spürt und sieht: Dahinter stecken Konzept und Professionalität.

Wo kann sich eine kleine Pfarrei informieren, wenn sie Beratung braucht in der Anwendung der neuen Medien?
Zuerst schlage ich dieser Pfarrei vor, ihren Aushang im Schaukasten zu überprüfen. Dann sollte sie viel Zeit und Aufwand für die Gestaltung des eigenen Pfarrblatts aufwenden und dieses persönlich und adressatengerecht schreiben und illustrieren, also nah an den Menschen in der Pfarrei. Bleiben Kapazitäten frei für eine eigene Webseite, kann bei der Landeskirche nachgefragt werden, ob bereits Grundlagen existieren. Lieber eine schlichte, aber aktuelle Webseite mit Gottesdienstzeiten, Veranstaltungen und Ansprechpartnern als eine aufwendige, die in den meisten Fällen nicht selber bewirtschaftet werden kann, sondern nur von spezialisierten Fachleuten.

Würden Sie dieser Pfarrei auch raten, einen Facebook-Account einzurichten?
Ich würde es nicht ausschliessen, insbesondere wenn die Pfarrgemeinde Facebook zur Bewerbung ihrer Anlässe nutzen will, wobei es dafür doch eine stattliche Anzahl von «Freunden» braucht. Unabdingbare Voraussetzung ist jedoch eine sorgfältige Redaktion der Beiträge und Fotos durch eine Person, die kontinuierlich daran arbeitet.

Ja, um die neuen Kommunikationskanäle einzurichten und zu bewirtschaften, braucht es Personal und Geld. Wo gibt es Handlungsbedarf?
Geld ist selbst in der reichen Schweiz immer Mangel- ware. Ich stelle das im Generalsekretariat der SBK fest, das – mangels Ressourcen – eine eher altertümliche Webseite unterhält und in den neuen Medien nicht präsent ist. Handlungsbedarf? Ich hab's gesagt: Weniger Alleingang – mehr Zusammenarbeit. Auch über die Sprachgrenzen hinweg. Konvergente Arbeit muss nicht bei den Inhalten beginnen, aber im technischen Dienst und Support, bei der grafischen Gestaltung, im Austausch von News und Illustrationen, bei der gemeinsamen Recherche zu heissen Themen, bei der Themensetzung in der redaktionellen Arbeit, bei der gemeinsamen Reflexion, wie wir den Auftrag der Verkündigung, Bewahrung und Weitergabe des Glaubens umsetzen wollen.

Was haben Kirchen besonders zu beachten, wenn sie sich über die neuen Kommunikationskanäle in die politischen und gesellschaftlichen Debatten einbringen?
Kirchliche und klösterliche Menschen sind Meister der Semantik. Doch werden sie auch immer verstanden? Ich bin der Meinung, dass sich die Kirchen in die politische und gesellschaftliche Debatte einbringen sollten. Dazu braucht es eine bildhafte, verständliche Sprache und eine Sicht auf die Dinge, die über das Tagesgeschäft hinausgeht. Es braucht die Exegese, nicht ideologisch instrumentalisiert, sondern als Hilfsmittel einer freien Meinungs- und Entscheidungsbildung und als gewichtige Stimme im öffentlichen Raum, der nicht nur von der Politik beherrscht werden darf.

Im Herbst 2018 fand die Veranstaltung «anavon»1 statt. Was hat deren Auswertung ergeben und welche umsetzbaren Konsequenzen erwachsen daraus?
«anavon» stand ganz im Zeichen des Dialogs mit Jugendlichen. Jeder Einzelne ist ein Kommunikator. Die Veranstaltung wollte die Vielfalt der Kommunikationsarten und -kanäle darstellen und die vielen Akteure vernetzen. Als Ergebnis werden wir nun einen Kreativfonds für junge katholische Kommunikation einrichten, uns bei den Medienzentren für Stages und Schnuppertage für Jugendliche stark machen und schliesslich Möglichkeiten des technischen Supports für Jugendliche prüfen, die sich in der kirchlichen Kommunikation engagieren wollen. Wir werden «anavon» als Label für Veranstaltungen der Medienkommission weiterhin anwenden, zum Beispiel bei der Verleihung des katholischen Medienpreises.

Interview: Maria Hässig

 

1 anavon (rätoromanisch für «vorwärts») fand zum ersten Mal am 29. September 2018 in Bern statt. Dieser Inspirationstag zu «Die katholische Kirche im Dialog» der Kommission für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der SBK richtete sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene. Der ausführliche Schlussbericht zur Veranstaltung findet sich unter: http://www.kommission-medien.bischoefe.ch/aktuelles/anavon3/schlussbericht-anavon (Aktuell).