Im digitalen Netz nach Menschen fischen?

Sind die digitalen Medien eine riesige Chance für die Pastoral und entsprechend zu fördern? Wo sind Bedenken anzumelden? Wolfgang Beck und Werner Kleine geben je eine Einschätzung.

Auf Kuriositäten muss niemand lange warten, wenn sich kirchliche Akteure mit digitalen Medien beschäftigen. Gerne wird von «neuen Medien» gesprochen. Schnell dominiert die Sorge um den Datenschutz. Und vieles in den sozialen Medien wird als oberflächlich, kulturlos oder jugendgefährdend abgetan. Oft kann da der Eindruck entstehen, dass die katholische Kirche den digitalen Medien mit grosser Skepsis begegnet. In den letzten Jahren konnten dagegen theologische und religionspädagogische Kompetenzen vor allem in den Bereichen von Medienethik und Medienpädagogik entwickelt werden. Eine weitergehende theologische Reflexion steht allerdings weithin aus.

Längst wird Digitalität in politischen und wissenschaftlichen Kontexten nicht mehr nur als reine Medienfrage betrachtet. In soziologischen Analysen und philosophischen Reflexionen hat sich die Rede von einer «Kultur der Digitalität» (Felix Stalder) etabliert. Mit dieser Umschreibung wird deutlich, dass es kein gesellschaftliches Segment mehr gibt, das nicht von den Potenzialen und zugleich den Herausforderungen der Digitalität durchzogen ist. Effekte des Digitalen prägen das Zusammenleben aller Menschen und viele sind längst von den Mechanismen der Kommunikation geprägt, wie sie in den sozialen Medien erlebt werden. Alle haben dabei praktisch immer die Möglichkeit, das Gelesene oder als Video Gesehene zu diskutieren. Da wirkt es zunehmend verstörend, wenn es in kirchlichen Kontexten keine entsprechenden Möglichkeiten gibt, über Themen mitzubestimmen oder Erlebtes zu kommentieren. Menschen werden immer auch von der Technik und den Kommunikationsformen ihrer Zeit geprägt. Die individuellen Prägungen erzeugen auch gesellschaftliche Effekte, und die können in ihrer Reichweite mit den grossen Industrialisierungsschüben verglichen werden. Dass dabei Bedenken und Sorgen entstehen, ist sicher natürlich.

Aus kirchlicher Perspektive ergibt sich im beschriebenen Umfeld einer «Kultur der Digitalität» vor allem die Chance zu einer grundlegenden Korrektur des eigenen Medienverständnisses. Denn immer noch findet sich hier weit verbreitet die Annahme, Medien seien primär als Transportmittel von Inhalten zu verwenden. Schon die Erfahrungen mit propagandistisch zu nutzenden Massenmedien zeigten im 20. Jahrhundert: Nicht nur was sie transportieren, sondern was sie unter den Menschen bewirken, macht die Medien interessant – und mit ihren Manipulationspotenzialen auch gefährlich. In der breiten Etablierung digitaler Medien kommen diese beiden Elemente, Informationstransport und Wirkung, ebenfalls zum Tragen. Sie werden jedoch in ihrer Bedeutung durch eine dritte Facette ergänzt: die Bedeutung von Medien zur Gestaltung von Beziehung.

Wenn der Apostel Paulus Briefe an neu entstandene Gemeinden geschrieben und sie mit aufwändigen Reisen besucht hat, ist das Anliegen der Gestaltung einer tragfähigen Beziehung und gegenseitigen Abstimmung unübersehbar. Es geht ihm ja nicht nur um theologische Belehrung und die Korrektur von Missständen vor Ort, sondern indirekt um die Pflege der Beziehung zu diesen Gemeinden. Diese mediale Beziehungsgestaltung, gemeinhin als «phatische Kommunikation» (Roberto Simanowski) bezeichnet und mit dem Blickkontakt zwischen Kleinkindern und ihren Eltern vergleichbar, wird gerade in modernen Gesellschaften besonders bedeutsam. Vielfältige Formen von Migration, komplexe Familienkonstellation, flexible Berufsbiografien – all diese Phänomene moderner Gesellschaften stellen Menschen zunehmend vor die Frage, wie sich dauerhafte Beziehungen angesichts der Vielzahl dynamischer Lebensparameter gestalten lassen. Es wird zur Herausforderung, mit den Menschen, die einem wichtig sind, gute und belastbare Kontakte zu pflegen. Spätestens wenn Grosseltern mit ihren weit entfernt lebenden Kindern und Enkeln über WhatsApp-Gruppen Ereignisse des Familienlebens austauschen, wird sichtbar, dass verschiedene Formate der sozialen Medien hier das Potenzial bieten, diese Beziehungen zu gestalten. Dabei ist der Informationsgehalt oftmals gering, die Bedeutung für den familiären Zusammenhalt jedoch immens.

Zu den kirchlichen Dramen der letzten Jahrzehnte gehört, dass diese mediale Bedeutungsebene phatischer Kommunikation kaum wahrgenommen wurde. Egal, ob es klassische Pfarrbriefe sind, die auch in alle Haushalte verschickt werden, oder die Präsenz von Gemeinden und Einrichtungen in digitalen Medien und den sozialen Medien. Nie geht es bei ihnen nur um Informationsübertragung, sondern primär um Beziehungspflege. Sie ist die Voraussetzung dafür, auch religiöse Fragen aufzuwerfen und christlichen Glauben zu bezeugen.

Wolfgang Beck

 

Das Internet – ein Paradies?

Die Verheissungen von Freiheit, Demokratie und Meinungsvielfalt sind gross. Selbst ohne technische Grundkenntnisse kann jeder jetzt Sender sein. Auf den ersten Blick erscheint das in der Tat als fundamentale Demokratisierung des gesellschaftlichen Diskurses und der Ermöglichung absolut freier Meinungsäusserung. Konsequenterweise verstehen sich Facebook und Co. deshalb selbst lediglich als Plattformen ohne Verantwortung für die auf ihnen veröffentlichten Inhalte.

Der Hype um die vielversprechenden Verheissungen des Internets insbesondere der sogenannten sozialen Medien ist so gross, dass jeder, der sich heute kritisch mit den neuen Medien auseinandersetzt, schnell als rückwärtsgewandter Bedenkenträger erscheint. Das gilt auch und gerade für den Diskurs um die Nutzung der neuen Medien in der Kirche. Gerade insofern ihr Grundauftrag darin besteht, in die ganze (!) Welt hinauszugehen und das Evangelium der ganzen (!) Schöpfung zu verkünden (vgl. Mk 16,15), ist diese Nutzung eine «conditio sine qua non». Wenn die Menschen in steigendem Masse die digitalen Möglichkeiten und Medien gebrauchen, muss jede ernstgemeinte Pastoral diese neuen Kontexte in Rechnung stellen. Freilich bedarf es hier einer guten Kenntnis, wenn die digitale pastorale Strategie aufgehen soll. Ein blindes Vertrauen auf die vermeintlichen Verheissungen des Internets entpuppt sich da schnell als naiv, denn die grosse Freiheit ist wenigstens in den sogenannten sozialen Medien nicht wirklich gegeben.

Geblendet von den Zahlen und Reichweiten, die sogenannte Influencer bei Facebook, Twitter und Instagram erreichen, erscheint die digitale Kommunikation als medialer Selbstläufer. Das Internet ist freilich schon lange kein offener Markt mehr, auf dem jeder gehört wird. Um die Massen von Posts und Daten zu zähmen, werden sie längst durch Algorithmen gefiltert. Nicht alles, was jetzt von allen veröffentlicht werden kann, findet daher auch eine breite Leserschaft. Auf der eigenen Webseite oder dem eigenen Blog kann man schreiben, was man will. Das geschriebene Wort aber kann nur wirken, wenn es auch gelesen wird.

Das Internet aber hat sich so von einem offenen Markt zu einem Laufhaus mit mehr oder weniger grossen Echokammern entwickelt, in denen Inhalte um Aufmerksamkeit buhlen. Das geht oft zu Lasten von Fakten und Information, an deren Stelle nun oft die marktschreierische Emotion tritt. Für die Pastoral aber stellt sich doch die Frage, wie man denn denen, deren Emotionen man mit fantastischen Avancen geweckt hat, den Inhalt einer seit 2000 Jahren prinzipiell unveränderten kirchlichen Verkündigung nahebringen will, ohne eine ebenso tiefgreifende wie fundamental fatale Enttäuschung zu produzieren, wenn die User feststellen, dass in der ekklesialen Echokammer statt der vollmundig angepriesenen himmlischen Sensation doch wieder nur Mutter Kirche wartet.

Bei aller Notwendigkeit der Nutzung digitaler Medien bleibt der Kirche zudem eine zutiefst körperliche Existenz ins Stammbuch geschrieben: «Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt» (Joh 1,14). Fleisch – das ist zu konkret, um virtuell zu sein. Das Wort Gottes sucht nach konkreter Begegnung. Die modernen medialen Möglichkeiten können dabei helfen, diese Begegnungen anzubahnen.

Und das sind nicht die einzigen Herausforderungen, denen sich die Kirche angesichts der zunehmenden Digitalisierungen, die weit über die medialen und kommunikativen Möglichkeiten des Internets hinausgehen, stellen muss. Da hilft auch nicht der naive Ruf «Traut euch!», verbunden mit dem Hinweis auf die Kundschafter aus Numeri 13, die vorausgeschickt werden, um Neuland zu entdecken. Die Entdeckung alleine reicht ja nicht. Kundschafter sind erfahrene Leute, die wissen, was sie tun. Sie bringen schliesslich grosse Früchte mit, die die Verheissung zur Gewissheit werden lassen, dass es sich lohnen wird, in dieses Land zu gehen.

Auch das neue Land des Internets darf man nicht naiv betreten, sondern mit einer klugen Strategie. Die könnte darin bestehen, nicht nur in der eigenen Echokammer zu sitzen und zu warten, sondern selbst durch das virtuelle Haus zu laufen und in die anderen Kammern zu schauen, sich dort mit Profil und streitbarer Konfliktfähigkeit einzumischen. Auch das lehrt ja die alte Geschichte von den Kundschaftern: Ohne Konflikte wird es nicht gehen. Aber um Himmels willen: Geht da hin; geht in die ganze Welt und verkündet der ganzen Schöpfung das Evangelium mit allen (!) Möglichkeiten.

Werner Kleine

 

Verwendete Literatur: Beck, Wolfgang, Die katholische Kirche und die Medien. Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis, Würzburg 2018. Stalder, Felix, Kultur der Digitalität, Berlin 2016. Simanowski, Roberto, Facebook-Gesellschaft, Berlin 2016.

Wolfgang Beck und Werner Kleine

Prof. Dr. Wolfgang Beck (Jg. 1974) studierte katholische Theologie in Frankfurt a. M. und in München. Sein Promotionsstudium beendete er 2008 im Fach Pastoraltheologie in Graz. Er ist Priester des Bistums Hildesheim und seit 2015 Juniorprofessor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. Er ist zudem Sprecher des «Wort zum Sonntag» bei der ARD.

Dr. theol. Werner Kleine (Jg. 1966) studierte katholische Theologie in Bochum, München und Bonn. Er ist Initiator des citypastoralen Projektes Katholische Citykirche Wuppertal. Als Dozent ist er seit 2003 für Pastoralliturgie in der Ausbildung der laienpastoralen Dienste der Erzdiözese Köln und seit 2008 für Neues Testament an der erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule Köln tätig. Zudem ist er seit einem Jahr Leiter des Arbeitsfeldes «Kommunikation, Dialog, Öffentlichkeit» im Pastoralen Zukunftsweg der Erzdiözese Köln.