Die schweigenden Mönche als Vorbild

Florian Bachofner ist einer der Guides von Dialogue en Route, einem Projekt, bei dem ausgewählte religiöse Stätten, Kulturorte und Bildungshäuser entdeckt werden können. Seine Station ist die Kartause Ittingen TG.

Die Kartause Ittingen ist eine Station von Dialogue en Route. (Bild: zvg)

 

Seit bald 200 Jahren leben keine Kartäuser Mönche mehr in der Kartause Ittingen bei Warth im Kanton Thurgau. Das Kloster ist aber gut erhalten und bietet einen einmaligen Einblick in das damalige Leben, als die Mönche ein Schweigegelübe ablegen mussten und deren Leben uns heute als sehr fremd erscheint. Dieser Ort der Stille und Spiritualität lädt gerade deswegen zum Verweilen ein und übt eine grosse Anziehungskraft auf die Besucher aus.

Im Rahmen von Dialogue en Route versuchen wir mit der Führung unter dem Motto «Ich und die Anderen», den Lebensprinzipien von Einsamkeit und Gemeinschaft der Kartäuser auf die Spur zu kommen. Die Spannung zwischen mir als Individuum und der Dazugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ist in unserer modernen Welt omnipräsent. Im Raum der Stille, dem Kreuzgang und der Schlosskirche wird die Auseinandersetzung mit individuellem und sozialem Dasein bei jedem einzelnen, der die Führung mitmacht, angeregt. Das Thema erörtern wir im Gespräch sowie mit praktischen Übungen, wobei ich immer wieder überrascht bin, wie positiv die meist jungen Besucher über die fünf Minuten Schweigen erzählen. «Zu schweigen ist echt ungewohnt; zu Beginn hatte ich tausend Gedanken − erst nach den ersten paar Minuten wurde ich ruhig, doch dann war es echt schön!», berichtet eine Schülerin enthusiastisch.

Immer wieder kann ich beobachten, wie auch vorlaute Mitglieder von Schulklassen mucksmäuschenstill dasitzen und die Stille auf sich wirken lassen. Um kurz darauf natürlich in einem Durcheinander von Fragen und Eindrücken wieder laut zu werden. Fragen wie «Ist ein Leben in Stille und Zurückgezogenheit heute noch denkbar?» und «Worauf könnten wir sonst noch kaum verzichten?» fordern Schulkinder sowie Erwachsene gleichermassen zum Nachdenken heraus, ist das Verzichten für viele doch nicht unbedingt ein Thema, womit sie sich aktiv auseinandersetzen, sondern es eher als ungeliebte Randerscheinung wahrnehmen.

In der Stille zu sich kommen

Für mich als Guide ist die Station neben den geschichtlichen Aspekten insbesondere deshalb interessant, weil das Leben der Kartäuser Mönche heute so schwer begreiflich ist. Überall um uns herum ist Lärm, überall geschieht etwas, Ablenkung ist allgegenwärtig. Ein zurückgezogenes Leben in der Stille zu führen ist für mich nahezu unvorstellbar. Bei meinen Besuchen in der Kartause merke ich aber immer wieder, wie das Tempo aus meinem Alltag herausgenommen wird, wie ich mich auf mich konzentrieren kann und meine Seele zur Ruhe kommt. Diese kleine Exkursion ins Kartäuserleben hilft mir bei jedem Besuch oder bei jeder Führung von neuem, den Fokus meines Lebens auf die Dinge zu richten, die mir wirklich wichtig sind.

Florian Bachofner

 

Dialogue en Route: Aktuell bietet Dialogue en Route über 50 erfahrungsorientierte Angebote in der Ost-, Nordwest- und Zentralschweiz sowie im Tessin und in Zürich an. Alle Angebote, spezielle Aus- schreibungen für Lehrpersonen zum Kennenlernen des Projekts und weitere Informationen finden sich in der SKZ 04/2019 und unter www.enroute.ch.


Florian Bachofner

Florian Bachofner (Jg. 1998) studiert Psychologie an der Universität Zürich. Aufgewachsen als Pfarrerssohn, setzte er sich schon früh mit Glaubens- und Lebensfragen auseinander. Bei Dialogue en Route arbeitet er seit dem Start des Projekts im Jahr 2017 als Guide an diversen Stationen und Routen mit.