Seit bald 200 Jahren leben keine Kartäuser Mönche mehr in der Kartause Ittingen bei Warth im Kanton Thurgau. Das Kloster ist aber gut erhalten und bietet einen einmaligen Einblick in das damalige Leben, als die Mönche ein Schweigegelübe ablegen mussten und deren Leben uns heute als sehr fremd erscheint. Dieser Ort der Stille und Spiritualität lädt gerade deswegen zum Verweilen ein und übt eine grosse Anziehungskraft auf die Besucher aus.
Im Rahmen von Dialogue en Route versuchen wir mit der Führung unter dem Motto «Ich und die Anderen», den Lebensprinzipien von Einsamkeit und Gemeinschaft der Kartäuser auf die Spur zu kommen. Die Spannung zwischen mir als Individuum und der Dazugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ist in unserer modernen Welt omnipräsent. Im Raum der Stille, dem Kreuzgang und der Schlosskirche wird die Auseinandersetzung mit individuellem und sozialem Dasein bei jedem einzelnen, der die Führung mitmacht, angeregt. Das Thema erörtern wir im Gespräch sowie mit praktischen Übungen, wobei ich immer wieder überrascht bin, wie positiv die meist jungen Besucher über die fünf Minuten Schweigen erzählen. «Zu schweigen ist echt ungewohnt; zu Beginn hatte ich tausend Gedanken − erst nach den ersten paar Minuten wurde ich ruhig, doch dann war es echt schön!», berichtet eine Schülerin enthusiastisch.
Immer wieder kann ich beobachten, wie auch vorlaute Mitglieder von Schulklassen mucksmäuschenstill dasitzen und die Stille auf sich wirken lassen. Um kurz darauf natürlich in einem Durcheinander von Fragen und Eindrücken wieder laut zu werden. Fragen wie «Ist ein Leben in Stille und Zurückgezogenheit heute noch denkbar?» und «Worauf könnten wir sonst noch kaum verzichten?» fordern Schulkinder sowie Erwachsene gleichermassen zum Nachdenken heraus, ist das Verzichten für viele doch nicht unbedingt ein Thema, womit sie sich aktiv auseinandersetzen, sondern es eher als ungeliebte Randerscheinung wahrnehmen.
In der Stille zu sich kommen
Für mich als Guide ist die Station neben den geschichtlichen Aspekten insbesondere deshalb interessant, weil das Leben der Kartäuser Mönche heute so schwer begreiflich ist. Überall um uns herum ist Lärm, überall geschieht etwas, Ablenkung ist allgegenwärtig. Ein zurückgezogenes Leben in der Stille zu führen ist für mich nahezu unvorstellbar. Bei meinen Besuchen in der Kartause merke ich aber immer wieder, wie das Tempo aus meinem Alltag herausgenommen wird, wie ich mich auf mich konzentrieren kann und meine Seele zur Ruhe kommt. Diese kleine Exkursion ins Kartäuserleben hilft mir bei jedem Besuch oder bei jeder Führung von neuem, den Fokus meines Lebens auf die Dinge zu richten, die mir wirklich wichtig sind.
Florian Bachofner