«Was zögerst du noch?»

Die KEK und ihr Auftrag in einem Europa im Umbruch

Als die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) an der Vollversammlung 2009 in Lyon ihr 50-jähriges Bestehen feierte, wurde zur Klärung der Strukturen und des künftigen Auftrags eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese legte Empfehlungen für eine Reform der seit 1992 geltenden Verfassung vor: Eine Totalreorganisation solle straffere Strukturen und effizientere Abläufe erbringen und der Hauptsitz von Genf nach Brüssel verlegt werden. Unter zähen Verhandlungen wurde an der KEK-Vollversammlung vom 3. bis 8. Juli 2013 in Budapest die neue Verfassung angenommen, die der KEK ermöglichen soll, ihrem vielseitigen Auftrag in Europa gezielter nachzukommen und ihre Stimme als Zeugnis christlicher Kirchen in die europäischen Entscheidungsprozesse einzubringen. Das Büro in Strassburg, das u. a. Beziehungen zum Europarat unterhält, wird weiterhin beibehalten, während der Sitz von Genf nach Brüssel verlegt wird. Kompromisse mussten geschlossen werden. So erreichte zum Beispiel eine seit über zwanzig Jahren bestehende Quotenregelung keine Mehrheit mehr. Sie hatte ein Gleichgewicht für Gender und Jugendliche im Zentralausschuss garantiert. Ebenfalls haben Partnerorganisationen mit der neuen Verfassung keinen Beobachterstatus mehr, wovon mehrere Jugend- und Frauenorganisationen betroffen sind.

Charta Oecumenica richtunggebend

In Budapest stand weniger eine gemeinsame Vision im Vordergrund. In der Schlussbotschaft kommt sie dennoch zum Ausdruck: eine Mission, einen Auftrag für Diakonie zu den Völkern Europas zu tragen, wie es schon 2001 in der Charta Oecumenica festgehalten wurde: «Wir arbeiten auf ein humanes, sozial bewusstes Europa hin, in welchem Menschenrechte und grundlegende Werte von Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit, Toleranz, Teilnahme und Solidarität Vorrang haben.» Die KEK wurde 1959 ins Leben gerufen, um auf ökumenischer Ebene die Verbindungen zwischen Kirchen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zu erhalten. Nach der 1. Europäischen Ökumenischen Versammlung an Pfingsten 1989 in Basel und der Wende stellte sich die Frage nach neuen Weichenstellungen und einer neuen Identität. Doch nach dem Fall der Mauer brach eine alte Spaltung auf zwischen Theologie und Spiritualität einerseits und sozialdiakonischem Engagement andererseits. 1990 kam die Idee auf, die beiden Kirchenorganisationen KEK und EECCS (Europäische Ökumenische Kommission für Kirche und Gesellschaft) auf Europa-Ebene zusammenzuführen. Sie fusionierten 1997, und die KEK eröffnete zwei neue Kommissionen: «Kirche und Gesellschaft» (mit Büros in Strassburg und Brüssel) und «Kirche im Dialog» (bisher Genf). Eine kohärente Zusammenarbeit dieser beiden Kommissionen wurde leider nicht erreicht. Anstelle einer wirklichen Integration erledigten beide Organisationen ihre Arbeit weiterhin unabhängig voneinander. Nach dem Rücktritt von KEK-Generalsekretär Colin Williams 2010 amtete der Orthodoxe Viorel Ionita als Interimsgeneralsekretär. Seit 2012 ist der belgische Theologe Guy Liagre, Präsident der Vereinigten protestantischen Kirche in Belgien, KEK-Generalsekretär.

Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche

Zum Partner der KEK auf römisch-katholischer Seite, dem Rat der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE), bestehen seit Jahren sehr konstruktive Beziehungen, betonte der Präsident der CCEE und katholische Primas Ungarns, Kardinal Péter Erdö, im Eröffnungsgottesdienst. Er hob die «strategische Bedeutung » der Vollversammlung im Blick auf eine gemeinsame Zukunft der beiden Organisationen hervor. Vielleicht waren die Erwartungen bei der Wende nicht realistisch und «die grossen Versprechen über Freiheit und Wahrheit kaum zu verwirklichen». Denn die Wirklichkeit der Säkularisierung des Alltags erschwere den Weg zu Gott. Für die Zukunft Europas sei jedoch die christliche Hoffnung grundlegend. KEK-Präsident Emmanuel (Adamakis, Frankreich), Metropolit des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, erklärte zur fehlenden Präsenz einer russisch-orthodoxen Delegation, dass er mit Generalsekretär Liagre auf Einladung des russisch-orthodoxen Metropoliten Hilarion von Volokolamsk in Moskau das Gespräch um eine Annäherung zu einem differierenden Standpunkt suchte. Das orthodoxe Moskauer Patriarchat hatte seit 2008 die KEK-Zusammenarbeit suspendiert unter Beibehaltung der Mitgliedschaft. Emmanuel betonte, die freundliche Atmosphäre des Gesprächs «lasse eine Türe offen für die Zusammenarbeit in Zukunft».

Eine kleine Delegation des Rates SEK verfolgte die Vollversammlung. SEK-Vizepräsidentin Pfarrerin Kristin Rossier ist überzeugt, dass die strukturell verschlankte Verfassung eine bessere Rollenverteilung zwischen Verwaltung und Mitgliedern bringen werde und dadurch die Arbeit der KEK verstärke. Die reformierte Stimme aus der Schweiz solle auch in Brüssel gehört werden, wenn es z. B. um Fragen wie Menschenrechte oder ethische Urteilsfindung gehe.

 

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.