Was motiviert den Marathonläufer?

20. Sonntag im Jahreskreis: Hebr 12,1–4 (Jer 38,4–6.8–10; Lk 12,49–53)

Nicht nur beim Marathon, auch beim Wandern, Bergsteigen, Velofahren, Schwimmen und bei anderen abenteuerlichen Freizeitaktivitäten gibt es zwischendurch den Punkt, wo es schmerzt. Wie hält man das durch, und vor allem wozu?

Was in den Schriften steht

Die Lesung des letzten Sonntags aus Hebr 11 blickte zurück auf die alten Glaubenszeugen des Ersten Testaments unter dem Stichwort «Verheissung und Hoffnung auf das Unsichtbare». Dies sollte Ansporn sein, visionär in eine Zukunft zu gehen, die im Bild der «Stadt Gottes» gefasst wurde. Die Lesung zum 20. Sonntag beruft sich auf die «Wolke von Glaubenszeugen», und schliesst damit an das Ende (Hebr 11,35–40) der langen Aufzählung von Glaubenszeugen aus dem Ersten Testament, die dadurch charakterisiert sind, dass sie Leiden auf sich genommen hatten.

Hebr 11,35: «Manche liessen sich zu Tode foltern, ohne die Freilassung anzunehmen. Denn sie wollten eine bessere Auferstehung erlangen.» Es ist im Makkabäer- Buch zunächst der greise Eleasar, der eine Befreiung durch Heuchelei ablehnt: «Als sie ihn aber geschlagen hatten und er dem Tode nahe war, seufzte er und sprach: Der Herr, der die heilige Erkenntnis hat, der weiss, dass ich die Schläge und grossen Schmerzen, die ich an meinem Leibe ertrage, und den Tod wohl hätte umgehen können, dass ich sie aber der Seele nach gern erleide, weil ich Gott fürchte» (2 Makk 6,30). Der zweite der sieben Söhne, die ins Martyrium gehen, spricht dann – erstmals in der Bibel – die Hoffnung auf Auferstehung aus. Das nimmt die Verfasserin des Hebräerbriefs auf, indem sie die Totenauferweckungen durch Elija und Elischa («Frauen bekamen ihre Toten als Auferstandene zurück»; Hebr 11,35 spielt an auf 1 Kön 17,17–24; 2 Kön 4,8–37) weiterführt zu einem Glauben an die Auferstehung. «Daher marterten sie ihn [den zweiten Sohn] weiter wie den Ersten (…). Er sprach: Du verruchter Mensch, du nimmst uns wohl das zeitliche Leben; aber der König der Welt wird uns, die wir um seiner Gesetze willen sterben, wieder erwecken in der Auferstehung zum ewigen Leben» (2 Makk 7,9). Hebr 11,36: «Andere mussten Spott und Peitschenhiebe über sich ergehen lassen, ja sogar Haft und Gefängnis.» Das Gefängnis, das ereilte den Propheten Micha ben Jimla, als er den König von seinem Feldzug gegen die Falschpropheten abhielt: «So spricht der König: Diesen werft [Micha] in den Kerker und speist ihn nur kärglich mit Brot und Wasser, bis ich mit Frieden wiederkomme» (1 Kön 22,27). Jeremia wird nach seiner Rede gegen Jerusalem vom Priester Paschhur im Block gefesselt: «Er gab Befehl, ihn festzunehmen, zu schlagen und in den Block einzuschliessen, der sich am oberen Benjamintor im Tempelbezirk befand» (Jer 20,2).

Jeremia wird wegen seiner Botschaft auch verspottet: «Denn sooft ich in deinem Auftrag rede, muss ich Unrecht anprangern. ‹Verbrechen!› muss ich rufen, ‹Unterdrückung!›. Und das bringt mir nichts als Spott und Hohn ein, Tag für Tag» (Jer 20,8). H ebr 11,37: «Sie wurden gesteinigt, zersägt, und mit dem Schwert hingerichtet. Sie zogen in Schaf- und Ziegenfellen gekleidet durchs Land – Not leidend, verfolgt und misshandelt.» Die Anspielungen der Verfasserin gehen mehr und mehr auf die allgemeine Situation verfolgter Propheten und lassen sich nicht mehr ganz eindeutig einzelnen Stellen zuordnen.

Gesteinigt wurde z. B. der Prophet Secharja: «Sie aber taten sich gegen ihn zusammen und steinigten ihn auf Befehl des Königs» (2 Chr 24,21). Die Prophetenkollegen des Elija wurden mit dem Schwert getötet: «Deinen Bund haben die Söhne Israel verlassen, haben deine Altäre niedergerissen und deine Propheten mit dem Schwert umgebracht! Und ich allein bin übrig geblieben, ich allein, und nun trachten sie danach, auch mir das Leben zu nehmen» (1 Kön 19,10). Ein grosser Teil der Anspielungen, Spott, Verletzung, Leiden verschiedener Art findet sich im vierten Gottesknechtlied (Jes 52,13– 53,12), terminologisch gleich: «Er wurde misshandelt und niedergedrückt» (Jes 53,7).

Hebr 11,38: «Sie irrten umher durch Wüsten und Berge, hausten in Höhlen und Erdlöchern.» Das gilt im Krieg gegen die Philister für ganz Israel: «Als die Israeliten sahen, dass sie in Gefahr gerieten und dass das Volk bedrängt wurde, versteckten sie sich in Höhlen, Schlupflöchern, Felsspalten, Gruben und Zisternen» (1 Sam 13,6). Es wird auch von Propheten erzählt: «Als Isebel die Propheten des HERN ausrotten wollte, hatte Obadjahu hundert Propheten genommen und sie versteckt, je fünfzig Mann in einer Höhle, und er hatte sie mit Brot versorgt und mit Wasser» (1 Kön 18,4). Wenn der Lesungstext des 20. Sonntags damit beginnt, «wir sind also förmlich umgeben von einer riesigen Wolke von Zeugen » (Hebr 12,1), so knüpft die Verfasserin damit genau an diese letzte Liste der Zeugen an, die durch die Geschichte des Ersten Testaments hindurch Schmach, Unterdrückung, Verletzung und Verfolgung erleiden mussten, wegen ihres Auftretens und Eintreten für die Sache YHWHs. «Dann können wir mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt» (Hebr 12,1). Aus dem paulinische Bild des Laufwettkampfs (1 Kor 9,24) wird hier vor allem das mühselige Durchhalten während des Laufs als Vergleichspunkt genommen.

Das haben diese Mühsal erleidenden Glaubenszeugen gelehrt. Der Siegespreis, ist in der Argumentation dieses kurzen Abschnitts zweitrangig. Der Preis wird dann am Ende von Hebr 12 (Lesung des 22. Sonntags) die «Stadt» sein. Hier ist es nur Jesus, der bereits einen solchen «Preis» erhalten hat: «Denn auf ihn wartet die grosse Freude, an der Rechten von Gottes Thron zu sitzen» (Hebr 12,2). Der Thron Gottes, den die Verfasserin hier verwendet, spielt – wie auch die Stadt – in der Bildwelt der Offenbarung des Johannes eine grosse Rolle. Im Ersten Testament reden vor allem die Psalmen von Thron, und verbinden damit immer Gottes Handeln als Richter, der die Gerechtigkeit der Welt herstellt, z. B. Ps 9,5: «Du hast mir Recht verschafft und für mich entschieden, dich auf den Thron gesetzt als ein gerechter Richter.»

Das «Durchhalten» im Laufwettkampf, ist aber der wichtigere Vergleichspunkt. Das hat Jesus gezeigt: «Er hat das Kreuz ausgehalten und der Schande keine Beachtung geschenkt» (Hebr 12,2). Er hat «geduldig die Anfeindungen von schuldbeladenen Menschen ertragen» (Hebr 12,3). Das Aufzählen der unterdrückten Propheten dient als Erklärungsmodell, den Leidensweg und Kreuzestod Jesu, diesen grossen Skandal, zu verstehen und zu begreifen, um dann daraus für die Gemeinde den Ansporn zum Durchhalten und zum eigenen Kampf gegen die Sünde anzuspornen.

Mit der Verfasserin des Hebräerbriefs im Gespräch

Das Kreuz Jesu – nach 2000 Jahren Christentum immer noch ein ambivalentes Bild: Soll es die Armen und Unterdrückten der Welt beruhigen mit der Hoffnung auf den Siegespreis im Jenseits? Oder hat es noch die Kraft, hier und jetzt die Solidarität mit den Armen zu wecken und als Siegespreis einen Umsturz der Welt herbeizuführen?

 

Winfried Bader

Winfried Bader

Dr. Winfried Bader ist Alttestamentler, war Lektor bei der Deutschen Bibelgesellschaft und Programmleiter beim Verlag Katholisches Bibelwerk in Stuttgart und arbeitet als Pastoralassistent in Sursee