«Was kann ich dir tun?»

Pastoralen Innovationen stehen u.a. langwierige Rechtfertigungsdebatten, schwerfällige Strukturen und die momentane finanzielle Ressourcenverteilung im Wege. Was fördert Neuaufbrüche?

 

Das «Gründerhandbuch» von Florian Sobetzko und Matthias Sellmann enthält sehr wertvolle Grundsatzüberlegungen und methodische Zugänge für Innovationen in der Pastoral, bestückt mit Praxisbeispielen zur Veranschaulichung. Es ist ein anregender Schatz. In der Kirche braucht es diesen neuen, anderen Geist, der nicht davor zurückschreckt, in ihr Innovation und unternehmerische Konzepte zu begrüssen sowie zu fördern, und der sich vom Kontext, in diesem Fall vom Markt, anregen lässt.
Pastorale Angebote der Kirche sind längst auf ihre Produkte und ihre Prozesse hin zu beleuchten. Sind sie gefragt? Können mit ihnen neue «Kundenkreise» erschlossen werden? Weisen Sie in die Zukunft? Dabei kann die Orientierung an unternehmerischen Aufbrüchen und Neugründungen sehr hilfreich sein, denn diese eröffnen neue Perspektiven und vermitteln Kenntnisse und Methoden.

Zu viele Ideen für pastorale Innovationen?

Unzählige Christen wollen für die Kirche nur das Beste. Sie engagieren sich beruflich oder freiwillig in der Kirche; sie sind Suchende mit Ideen für deren Weiterbestehen und deren Weiterentwicklung. Ihre Ideen von pastoraler Innovation sind so vielfältig wie ihre Bilder und Vorstellungen von Kirche. Spätestens seit den Sinus-Milieu-Studien ab 2005 wissen wir, dass die Menschen auch in der Kirche sehr unterschiedlich ticken. Überfordert diese Vielfalt das System, weil im Grunde jeder Christ versucht, die Kirche nach seinen Vorstellungen zu gestalten?
Für die einen ist die Bibel der Schlüssel zum «Erfolg». Es gilt, die frohe Botschaft Gottes neu zu entdecken und daraus zu leben. Andere sehen die Chance für einen neuen kirchlichen Aufbruch in der Eucharistie, in der Kraft des gemeinsamen Gedenkens und Feierns von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Einige sehnen sich danach, dass alle Getauften und Menschen guten Willens selber kreativ sind und Kirche vor Ort gestalten. Es gibt Christen, die den Schwerpunkt kirchlichen Tuns in der Diakonie sehen und damit die Glaubwürdigkeit des Christseins und das Engagement für Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen. Die Dienstleistungsorientierten wiederum bieten den Menschen an, was diese von ihnen erwarten. Zu nennen sind auch die Kreativen, die sich «Fresh Expressions» und «Churchplanting» auf die Fahne schreiben. Es gibt im Weiteren diejenigen, die ihre Hoffnung in der Kinder- und Familienarbeit oder in der Jugendarbeit sehen. Könnte es sein, dass zu viele Ideen unser Kirchensystem und unsere Pfarreien überfordern?

Der Mut, anzufangen und zu beenden

Nach dem «Gründerhandbuch» ist eine Idee noch keine erfolgreiche pastorale Innovation. Die Autoren des Buches führen vor Augen, dass Neues nicht einfach so entsteht. Es braucht geeignete Methoden und Schritte, um von der Idee zu einem gelingenden pastoralen Projekt zu gelangen. Aber ebenfalls bedarf es einer tiefen Sehnsucht nach Neuem sowie der Möglichkeiten, die Idee in die Praxis umzusetzen, und darüber hinaus eines langen Atems, bis das Projekt in der Gemeinde greift und von zahlreichen Menschen genutzt wird. Entscheidend dabei ist das Bewusstsein, dass es laufend weiterentwickelt werden muss und auch scheitern kann. Es braucht Mut, ein angefangenes Projekt zu beenden. Wo erleben wir diese Haltung in der Kirche Schweiz?

Schwerfällige Strukturen

Könnte es sein, dass kirchliche Aufbrüche in der Schweiz auch deshalb so schwierig sind, weil zur Verwirklichung einer Idee zuerst der Pfarrer, das Seelsorgeteam, der Pfarreirat, der Kirchenverwaltungsrat und manchmal sogar die Kirchbürger überzeugt werden müssen? Oder aber auch, dass in einem Umfeld, in dem viele bis an die Grenzen engagiert sind, die zeitlichen Ressourcen für neue Ideen und kreative Lösungsansätze gar nicht vorhanden sind? Gelegentlich stehen einer neuen Idee entgegengesetzte Bilder von Kirche gegenüber. Mitunter taucht die Frage auf, weshalb soll diese und nicht jene Idee umgesetzt werden. Weshalb denn nicht beide? Im Schema von «entweder – oder» bleiben beide auf halber Strecke stehen.

Geld liegt an der Basis

Das duale System in der Kirche der Deutschschweizer Kantone hat viele Vorteile. Die demokratischen Strukturen der staatskirchenrechtlichen Einrichtungen sorgen dafür, dass die Mitglieder über die Verteilung der Gelder mitbestimmen können. In den Kirchgemeinden liegt das meiste Geld nahe an der Basis und kommt direkt in den Pfarreien zum Einsatz. Aber sind da auch die meisten Menschen beheimatet? Ist nicht oft ein Verwalten ohne Visionen zu beobachten? Werden die Menschen in dieser sehr feingliedrigen Struktur mit der Botschaft des Evangeliums effektiv erreicht? Liegt für einen Teil der Menschen die Nähe nicht gerade in der Weite? Tun sich die Menschen in dieser Kleinräumigkeit von Kirchgemeinden und Pfarreien nicht oft schwer mit innovativen Veränderungen?

Kriterien für Ressourcenzuteilung

Wenn Menschen neue Ideen verwirklichen und der Kirche zu neuen Aufbrüchen verhelfen sollen, dann sind sie einerseits dazu fest zu ermutigen und andererseits sind die Erlaubniswege stark zu verkürzen. Die Frage «Was kann ich dir tun?» soll dabei massgebend sein. Pastorale Innovation erfordert zudem Vertrauen auf den Geist Gottes und sein Wirken. Es braucht Eigenverantwortung und geklärte Kommunikationswege. Was es aber m. E. nicht mehr braucht, ist eine dauernde Rechtfertigungs- und Begründungsdebatte. Allzu oft besteht hier die Gefahr, dass Entscheidungsträger dem Heiligen Geist die Arbeit abnehmen. Dennoch sollte es messbare und von allen Beteiligten akzeptierte Kriterien und Indikatoren geben, um neue Ideen auf ihre Zukunftsfähigkeit und Relevanz hin zu prüfen und zu bewerten – aber hoffentlich ebenso grosszügig und unkritisch, wie bei vielen etablierten Ausgabeposten auch. So viel lernen wir von den Sinus-Milieu-Studien: Ich muss nicht alles toll finden und mich nicht überall wohl fühlen, schon gar nicht überall dabei sein. Ich kann mich freuen, wenn andere hier oder dort etwas finden, was sie in ihrem Leben als Christ in dieser Gesellschaft weiterbringt.

Ideen zur Innovationsförderung

Aus dem bisher Gesagten ergeben sich für mich folgende personelle und strukturelle innovationsfördernde Handlungsoptionen:

  • Theologen und andere animatorisch geschulte Personen werden von den Bistümern als Ermutiger für Neuaufbrüche und Erwecker von pastoralen Innovationen ausgebildet und beauftragt.
  • Die Bistümer betreiben eine aktivere Politik des Verabschiedens und Loslassens, damit Raum und Ressourcen für Neues entstehen kann.
  • 50 Prozent der gesamten Finanzen der Kirche Schweiz werden zu je einem Viertel für Aufgaben auf gesamtschweizerischer Ebene (SBK und RKZ) und für innovative Projekte verwendet.
  • Jedes Bistum richtet zusammen mit den staatskirchenrechtlichen Gremien einen Innovationsfonds ein und schafft klare und schlanke Strukturen.

Neues Land beschreiten

Im Prozess Neuland des Bistums St. Gallen ist der Stellenwert der Taufe zentral. Jeder getaufte Mensch ist eigenständiges Subjekt seines Handelns, auch seines Handelns in der Kirche. Dieses Subjektsein gilt für Getaufte wie für jeden Menschen. Es wird durch die Taufe nicht ausgelöscht, sondern bejaht und verstärkt. Wenn das so ist, dann dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott durch alle Menschen wirkt, in ihnen gegenwärtig ist und dass er es ist, der ihre Geschicke in den Händen hält. Letztlich ist es Gott, der in Partnerschaft mit den Menschen die Welt wie die Kirche von innen her immer neu schafft. Im Blick auf die Kirche macht das Mut zur Vision einer Kirche, die die Menschen im Geist des Vertrauens und der Freiheit ermutigt und unterstützt, die Freude daran hat, wenn Neues entsteht, und die hoffnungsvoll auf Altes verzichtet. Menschen von heute sollen mit ihren Freuden und Hoffnungen, mit ihrer Trauer und Angst Raum in der Kirche bekommen. Denn nur indem sie Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen teilt, kann sie sich erneuern.
So wird die Kirche weniger als Anstalt und starre Organisation mit klarem Oben und Unten gesehen, sondern als lebendiger Organismus. Diese Idee hat schon im Zweiten Vatikanischen Konzil viel Raum eingenommen und den innovativen, erneuernden Blick des Konzils auf die Kirche und auf ihr Verhältnis zur Welt ermöglicht. Vielleicht sollte die Kirche heute wieder vermehrt so gesehen und gelebt werden, wie es das Konzil vorgemacht hat. Nicht die Orientierung am klaren Unten und Oben, an links oder rechts ist das Entscheidende, sondern das Neue, das zum Leben der Menschen heute beiträgt! Ist die Vorstellung nicht hoffnungsvoll, dass Menschen die Kirche plötzlich spannend finden und mitprägen und so mit der Kirche zu Gottsuchenden und Gottfindenden werden?

Damian Kaeser-Casutt


Damian Kaeser-Casutt

Damian Kaeser-Casutt (Jg. 1967) ist dipl. Religionspädagoge (KIL), Supervisor und Organisationsberater. Seit 2011 ist er Leiter der Abteilung Pastorale Entwicklung und Beratung im Pastoralamt des Bistums St. Gallen, davor war er während sieben Jahren Leiter der Pastoralen Arbeitsstelle im Dekanat St. Gallen und des Projekts «Lebensraumorientierte Seelsorge» (LOS).