«Was isch, wä me tot isch?»

Philosophieren bedeutet, leben zu lernen mit den Wahrheiten und Realitäten des Menschseins. Der Religionsunterricht ist prädestiniert, mit Kindern über ihre existenziellen Fragen nachzudenken.

Das Philosophieren mit Kindern etablierte und bewährte sich in den letzten Jahrzehnten in Kindergärten, Primarschulen und auch in der Katechese bereits recht gut. Dieser philosophisch-pädagogische Ansatz bietet Eltern und Lehrpersonen eine klare Methodik und Kommunikationsform an, mit der sie Kindern auf Augenhöhe begegnen und sie in ihren Fragen ernst nehmen. Wenn es aber ums Thema Sterben und Tod geht, tun sich selbst erfahrene Katecheten dennoch oft schwer damit. Vielleicht denken sie, dass dieses Thema für Kinder zu belastend sei oder dass Fragen darüber besser in der Familie geklärt werden müssten. Aber auch Eltern und sogar Grosseltern scheinen oft unsicher zu sein, wie sie damit umgehen sollen.

Zuhören, mitfühlen, ins Gespräch treten

Die Bedenken der Erwachsenen sind verständlich, erfuhren wir doch alle schon, wie schmerzlich der Verlust eines uns nahestehenden Menschen oder selbst eines geliebten Haustiers sein kann. Letzteres ist auch für Kinder eine schwere Erfahrung, oft vielleicht sogar die erste Trauer- situation überhaupt. Jedoch trauern Kinder meist anders, als die Erwachsenen es erwarten würden. Bevor sie den Tod als etwas Endgültiges verstehen können, werden sich ihnen eher ganz viele Fragen aufdrängen, wie zum Beispiel: Wann kommt die (verstorbene) Mama wieder zurück? Warum wacht sie nicht mehr auf? Wer macht mir denn morgen das Frühstück? Man könnte fast meinen, das Kind sei gar nicht traurig! Beim Verlust eines geliebten Haustieres fliessen vielleicht schneller die Tränen, aber auch dann können wir als Erwachsene mit vielen Fragen rechnen, die weniger mit der Trauer, aber ganz viel mit dem bisher noch nicht erlebten Phänomen des Todes zu tun haben. Deshalb kann dies ein guter Moment sein, in dem das Kind zwar sicherlich froh ist um unser Mitgefühl, aber mindestens ebenso sehr unsere Bereitschaft braucht, auf seine Fragen ernsthaft einzugehen. Vielleicht indem wir für verständliche Informationen sorgen oder falsche Annahmen berichtigen, vielleicht gelangen wir auch ins Philosophieren, denn besonders beim Thema Sterben und Tod sind Kinderfragen ganz oft auch unsere Fragen! Warum muss man überhaupt sterben? Was wäre, wenn wir nie sterben würden? Hat der Tod etwas mit Sinn zu tun?

Hilfreich mit Kinderfragen umgehen

Natürlich ist nicht jede Frage zum Tod automatisch schon eine Sinnfrage und somit eine philosophische. Auch entspringen besonders bei Vorschulkindern solche Fragen nicht einem belastenden Gefühl. Viel eher wird ein Todesfall vorerst einfach als eines der vielen staunenswerten Dinge erlebt, über die sich ein «Frögli-Kind» wundert. Wenn nun aber verunsicherte Erwachsene das Kind wohlmeinend vom Thema ablenken oder es vorschnell trösten wollen, kann dies dazu führen, dass sich das Kind falsche Vorstellungen zusammenreimt, wie etwa: Das ist offenbar etwas, worüber man nicht sprechen darf. Ich sollte wohl besser nicht weiter fragen ... Kinder spüren die unausgesprochenen Gefühle oder Bedenken der Erwachsenen, aber sie verstehen sie nicht ohne Weiteres zu deuten. Und schon wird das Thema zum Tabu, das dann zur echten Belastung führen kann. Deshalb empfehle ich den betroffenen Erwachsenen – nicht nur bei Fragen um Sterben und Tod, aber da ganz besonders dringlich – zuallererst eine kurze Denk- und Spürpause einzulegen, um sich Klarheit zu verschaffen über die Art der gestellten Frage: Was genau will das Kind? Verstehe ich es richtig? Weshalb fragt es mich? Wie kommt es auf die Frage? Und: Was braucht es jetzt von mir?

Ein Beispiel: Ein Schulkind fragt mich bedrückt: «Warum ist mein Hamster gestorben?» Steht ein starkes Gefühl im Vordergrund? Angst? Wut? Trauer? Dann sucht das Kind möglicherweise meine Empathie und meinen Trost? Vielleicht braucht es aber auch einfach meine Bestätigung, dass es in Ordnung ist, traurig oder wütend zu sein?

Manchmal aber ist eine sachliche Information nötig, damit ein Kind die Situation überhaupt richtig verstehen kann. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen dreijährigen Buben, dessen zahme Gans erkrankte und vom Tierarztbesuch nicht zurückgebracht wurde. Über mehrere Tage spielte sich danach jeden Morgen dasselbe Ritual ab: Ohne ersichtliche Emotionen fragte der Kleine seine Mutter, wann die Gans zurückkomme, worauf sie ihm geduldig ein ums andere Mal erklärte: «Die Gans ist jetzt tot. Sie kommt nicht mehr zurück.» Erst nach fast zwei Wochen begriff er, was «tot» bedeutet. Darauf stellte er sich am nächsten Morgen selbstsicher vor seine Mutter und erklärte ihr: «Die Gans ist tot. Sie kommt nicht mehr zurück.»

Einem anderen Kind, dessen Mama verstarb, erging es ähnlich. Als es dann aber verstand, dass Mama wirklich nie, nie, nie mehr zurückkommen würde, fragte es höchst alarmiert seinen Papa: «Stirbst du auch?» In so einer Situation gilt es für uns Erwachsene, nicht gleichfalls zu erschrecken (oder dies wenigstens nicht zu zeigen), sondern ganz liebevoll dem Kind in die Augen zu schauen und ihm die Wahrheit in ruhigem Ton zuzumuten: «Ja, auch ich werde einmal sterben, aber ich wünsche mir ganz fest, noch lange, lange mit dir zusammen zu sein!» Dieser Wunsch ist auch wahr und authentisch und hilft deshalb dem Kind, die schwere Antwort zu ertragen. Es kann allerdings sein, dass bald danach die Frage folgen wird: «Ich auch?» Und auch diese erfordert eine absolut wahre, klare Antwort: «Ja, du auch.»

Noch kam es bei den erwähnten Beispielen nicht zum eigentlichen Philosophieren im akademischen Sinne. Der beschriebene Umgang mit den Fragen der Kinder zu Sterben und Tod legt aber die Basis für ein Philosophieren, das Kindern, Eltern und auch Lehrpersonen echte Lebenshilfe bieten kann.

Gemeinsam philosophieren

Beim Philosophieren mit Kindern stehen weder fachphilosophische Texte noch Kenntnisse über Philosophen und deren Ideen zur Debatte, sondern die Tätigkeit des gemeinschaftlichen, tiefgründigen Nach- und Selberdenkens, und dies über Fragen, die uns alle in unserem Menschsein betreffen. Allerdings haben es genau diese wesentlichen Fragen im Schulalltag nicht gerade leicht, da keine spezielle Lektion zu ihrer Erörterung vorgesehen ist. Somit liegt es an jeder einzelnen Lehrperson, Raum zu finden für suchende Gespräche über Themen und existenzielle Fragen der Kinder. Der kirchlich verantwortete Religionsunterricht ist hingegen dazu schon fast prädestiniert, weil hier nicht nur (wie in der Schule) vergleichende Religionskunde («teaching about religion») seinen Platz hat, sondern eben auch das sogenannte «Theologisieren». Dieses ist leicht verkürzt zu beschreiben als ein Philosophieren, das sich letztlich aber im Glauben einer Konfession verankert weiss. Solange eine Lehrperson nicht meint, den Kindern auf alle Fragen eine bestimmte konfessionelle Antwort geben zu müssen, wie das der Katechismus einst verlangte, kann sie im Dialog mit Kindern philosophierend dazu anleiten, eigene Antworten zu suchen und zu entdecken. Dazu braucht es die Erkenntnis, dass wir selbst als Lehrpersonen nicht immer alles (besser) wissen (müssen).

Offenheit des eigenen Denkens ist gefragt und zudem das Vertrauen in die Kinder, die noch besser als viele Erwachsene «wissen, dass sie NICHT wissen», wie einst Sokrates gesagt haben soll, und deshalb so viele Fragen stellen. Für Sokrates war dieses Nichtwissen die Motivation, zu philosophieren. Und er traute den Menschen zu, die Antworten selbst herausfinden zu können, wenn ihnen nur die richtigen Fragen gestellt werden. Deshalb nannte er seine eigene Art, den Menschen beim Gebären der eigenen «Weisheiten» zu helfen, auch Hebammenkunst (griechisch: Mäeutik). Dies wurde zur hauptsächlichen Methode vieler Kinderphilosophen: den Kindern mit ihren Fragen Denkwege zu eröffnen und sie zu ermutigen, eigene Antworten zu suchen, zu überprüfen und vielleicht auch wieder zu verwerfen.
 
Philosophieren heisst gemeinsames Sprechen über eine Frage, deren Antwort wir (noch) nicht wissen. Aber wir wollen mehr davon verstehen und uns eigene, gut begründete – wenn auch oft nur vorläufige – Meinungen oder Haltungen dazu erarbeiten. Unser hoffnungsvolles Ziel als Gesprächsleitende ist es, am Ende unserer philosophischen Untersuchung so etwas wie eine kleine oder auch grössere «Erhellung» erfahren zu haben. Der Begriff lehnt sich alltagsphilosophisch am Existenzphilosophen Karl Jaspers an: Wenn es uns gelingt, unser Existieren gegenüber der Transzendenz einen Schritt weit klarer zu verstehen, spricht Jaspers von «Existenzerhellung».

Was es dazu braucht von uns als Erwachsenen? Nebst der Hebammenkunst dasselbe wie von den Kindern: mutiges Selberdenken und dass wir uns gemeinsam mit den Kindern oder Jugendlichen ernsthaft über die Fragen rund um Sterben und Tod austauschen und nach hilfreichen Antworten suchen.

Eva Zoller Morf


Bea Zoller-Morf

Eva Zoller Morf (Jg. 1947) ist Primarlehrerin, Philosophie- und Religionspädagogin M.A. Seit ihrer Abschlussarbeit an der Universität Basel zum Thema Kinder- und Alltagsphilosophie 1987 führt sie eine Dokumentationsstelle zu diesem Thema mit dem Namen «s Käuzli» in Altikon ZH (www.kinderphilosophie.ch). Bis zur Pensionierung 2012 war sie langjährige Dozentin für Kinderphilosophie an der PH Thurgau und anderen Fachhochschulen im In- und Ausland.

 

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