Wandern in Sakrallandschaften

Lebendige Klöster, Kirchen, Kapellen und Wallfahrtsorte prägen das religiöskulturelle Leben der Innerschweiz und laden zum Pilgern und Besinnen ein.

Bruder Klaus und der hl. Charbel in der Klosterkirche Stans. (Bild: mh)

 

Im Freiburgischen, in der Luzerner Landschaft, in der Innerschweiz und an manch anderen Orten begegnen dem Wanderer Kirchen, Kapellen, Wegkreuze in Dörfern, Weilern und auf Höfen. Sehr oft sind sie Juwelen ländlicher Sakralarchitektur und -kunst. Sie erzählen Geschichten: Geschichten von Rettung aus einer Notsituation, Geschichten der Eidgenossenschaft, Geschichten der Frömmigkeitsstile. Gerade auf Höfen und in Weilern wurden die Kapellen vielfach als Dank für Gottes Hilfe in einer schwierigen Situation gebaut: nach Brand, Unwetter, Tierseuchen. An der Rückwand erzählen Votivtafeln davon. Heute noch werden die Kapellen von den Familien vor Ort liebevoll gepflegt. Oft sind es kleine Bijous am Wegrand. Sie laden ein, innezuhalten, zu bitten und zu danken, eine Kerze anzuzünden und manchmal auch zu singen.

Auf dem Jakobsweg

Der Jakobsweg von Stans nach Beckenried zur Maria im Ridli ist einer der am dichtesten mit Kapellen und Kirchen «besiedelten» Wege, die ich kenne. Auf eine Wanderzeit von knapp drei Stunden kommen zehn Kapellen und Kirchen, eingebettet zwischen Stanserhorn, Buochserhorn und Bürgenstock, zu Füssen der Vierwaldstättersee. Auf dem Weg entdecke ich jedes Mal etwas Neues. Ich starte in Stans bei der «Maria unter dem Herd», wo stets viele Kerzen brennen – die Stanser Anlaufstelle in Nöten und Sorgen. Der Weg führt zum nahegelegenen Kapuzinerkloster. Beim Ausgang treffe ich auf ein Bild von Bruder Klaus und einem weiteren, mir unbekannten Heiligen. Die Nachfrage bei einer Stanser Kollegin ergibt, dass es sich um den hl. Charbel Makhlouf (1828–1898) handelt. Aber wie kommt ein Heiliger aus dem Libanon in die Innerschweiz? Beide sind Friedenseremiten. Die Bildtafeln zeugen von einem spirituellen Bündnis des Friedens zwischen der Schweiz und dem Libanon.

Der Weg führt anschliessend zur Kapelle St. Heinrich in Oberdorf. Von da aus geht es über die Engelberger Aa zum Weiler Waltersberg mit der St. Annakapelle hoch. In ihr fällt mir das zentrale Deckenbild auf: «Schau, wie schön meine Geliebte ist». Ich werde auf die besondere Schönheit einer Geliebten aufmerksam gemacht. Aber: Wer ist diese Geliebte? Die weiteren Zeichen helfen das Rätsel ein Stückweit zu lösen. In der Mitte stehen ineinander geschrieben das Alpha und Omega, umrandet von einem Sonnenkranz. Die Sonne ist umkreist von zwölf Sternen. Weist der Satz auf die Frau in Offb 12? Die weiteren Deckenbilder nehmen klassische Bezeichnungen wie «Du Arche des Bundes» für die Gottesmutter auf. Ich frage mich auch: Was bewog den Bauherren, diesen Satz ins Deckenbild malen zu lassen? Welche Erfahrungen stehen dahinter?

Innerhalb von gut zehn Minuten gelange ich zur Loretokapelle des Herrensitzes von Ennerberg. An der Rückwand erinnert ein Bild an den zweiten Villmergerkrieg. In der Obgasskapelle «Sieben Schmerzen Mariens» in Buochs werde ich über dem Eingang von Bruder Klaus und seinem Enkel, Bruder Konrad, begrüsst. Sie sind mir schon in der Kapelle St. Heinrich begegnet und werden es auch im Ridli in Beckenried. Gewisse Heilige oder auch Motive begegnen einem auf Wanderungen in Sakrallandschaften auf Schritt und Tritt. Sie zeigen, dass sie in der Zeit der Entstehung der Kapelle und ihrer weiteren Geschichte von Bedeutung waren und teils auch heute noch sind.

Zum Dank für Rettung aus Seenot

Nach Buochs halte ich mich nicht genau an die Wegweiser, sondern nehme eine Abkürzung, die aber zwischen Hauptstrasse und Autobahn zur Maria im Ridli in Beckenried verläuft. Die jetzige Kapelle, erbaut 1701, ist die dritte. Die erste soll als Dank für die Errettung aus grosser Seenot erbaut worden sein. Von Rettung aus Seenot erzählen in dramatischen Bildern Votivtafeln an der Rückwand. Selber war ich noch nie in Seenot, aber ich erinnere mich, dass ich im letzten Frühjahr zweimal knapp einem Bootszusammenstoss entging. Ich gewahrte beide Male das Fischerboot erst in letzter Sekunde und konnte das Ruderboot gerade noch vor einer Kollision stoppen. Da habe ich auch Gott gedankt.

Maria Hässig*

 

Info für Wanderer: Die Wanderung von Stans nach Beckenried ist Teil des Jakobswegs von Rorschach oder Konstanz über Einsiedeln nach Genf. Die Wanderzeit beträgt ungefähr drei Stunden. Sowohl Stans als auch Beckenried sind mit dem ÖV gut erschlossen. In Beckenried besteht die Möglichkeit, mit dem Schiff nach Luzern zu fahren. Der Weg ist grösstenteils geteert und somit auch ideal zu gehen bei Regenwetter und im Winter.

* Dr. theol. Maria Hässig ist die leitende Fachredaktorin der SKZ und lebt im Kanton Luzern.

In loser Folge berichten die Redaktorinnen und die Redaktionskommissionsmitglieder der SKZ über ihre Lieblingsorte geistiger Einkehr.

BONUS

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