Saatgut ist Leben

Lokales und vielfältiges Saatgut ist die Grundlage für eine nachhaltige Landwirtschaft. Für Bäuerinnen und Bauern ist die Herstellung von Saatgut ein wichtiges Element ihrer Selbstbestimmung.

Diego Della Cruz hat bereits Reislinien gezüchtet, die auch dem extremen Wetter, bedingt durch den Klimawandel, trotzen. (Bild: Claudia Fuhrer)

 

Auf der Insel Mindanao in den Philippinen herrschen besonders gute landwirtschaftliche Bedingungen. Trotzdem ist Hunger ein grosses Problem. Jahrzehntelang wurde die landwirtschaftliche Produktion auf den Exportmarkt ausgelegt und die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen vernachlässigt. Darunter leiden besonders die Ärmsten. Dazu kommt, dass die von der Regierung propagierten Reis-Hochleistungssorten in den ersten Jahren zwar zu Ertragssteigerungen führen, aber auch Ausgaben für teures Saatgut und Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie den Einsatz von Technik und starker Bewässerung mit sich bringen. Die damit verbundenen hohen finanziellen Belastungen stürzen Bauernfamilien in Schulden, was oft dazu führt, dass sie die Grundlage ihrer Existenz – ihr Land – verlieren. Zudem nehmen die Auswirkungen des Klimawandels stetig zu. Taifune, heftige Regenschauer oder lang anhaltende Dürren bringen die Ernten regelmässig in Gefahr.

Wissen hilft

Der Fastenopfer-Partner «Agro-Eco-Philippines» hat sich zum Ziel gesetzt, das Wissen über das Recht auf Nahrung in Mindanao zu verbreiten, und Bauernfamilien darin zu unterstützen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Dabei sind es nicht die Reis-Hochleistungssorten, die helfen, den Hunger zu überwinden. Agrarökologie, die von kleinbäuerlichen Betrieben angewendet wird, ist der vielversprechende Weg, um vielfältiges und gesundes Essen auf den Tisch zu bringen. Zudem lernen die Menschen, mit den vom Klimawandel hervorgerufenen extremen Wetterverhältnissen umzugehen. Bauernfamilien werden in ökologischen landwirtschaftlichen Methoden ausgebildet. Unter anderem lernen sie, wie klimawandelresistentes Saatgut gezüchtet werden kann. Eine grosse Wichtigkeit kommt dabei dem Austausch zwischen Landwirtschaft Betreibenden, wissenschaftlich Tätigen und Projektmitarbeitenden zu. Weiterbildungen zum Thema Recht auf Nahrung werden organisiert und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet, die das Wissen aus den Bauernorganisationen in die Netzwerke tragen und Allianzen mit kirchlichen Partnerinnen und Partnern, Regierungsorganisationen und Schulen gründen und pflegen. Die öffentliche Wahrnehmung des Rechts auf Nahrung wird mit Aktionen zu Anlässen wie dem internationalen Menschenrechtstag gestärkt.

Durch die Arbeit von Agro-Eco gewinnen die ländlichen Gemeinden Vertrauen und das Selbstwertgefühl, das sich aus dem Wissen ergibt, dass man in der Lage ist, auch unter widrigen Umständen, gute und ausreichend Nahrung zu produzieren. Viele Bäuerinnen und Bauern sind Ausbildende und/oder Leiterinnen und Leiter von Bauerngruppen und -gemeinschaften geworden, einer von ihnen ist Diego Della Cruz. Zusammen mit seiner fünfköpfigen Familie pflanzt der 59-jährige Reis an. Bereits 2004 hat er damit begonnen, selber Reis zu züchten. Der Reiszüchter vertritt eine klare Haltung: «Der Besitz von Saatgut ist das Grundrecht eines Bauern. Denn durch den Besitz von eigenem Saatgut mache ich mich frei von der Kontrolle der transnationalen Agrochemiekonzerne. Ausserdem ist Saatgut Leben. Eine gute Züchterin, ein guter Züchter ist in der Lage, sein Wissen und seine Fähigkeiten an andere Bauernfamilien weiterzugeben und neue Sorten zu produzieren, die lokal angepasst und in der Lage sind, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen.» Mittlerweile hat Della Cruz bereits 160 Reislinien gezüchtet, die er zwar tauscht, aber nicht verkauft, da er keinen Gewinn damit erzielen will. «Ich teile das Saatgut, weil ich möchte, dass alle Bauernfamilien ihr eigenes Saatgut zurückgewinnen können, um der Saatgutindustrie Einhalt zu gebieten.»

Dem Klimawandel trotzen

Beschreibt Della Cruz wie er den Klimawandel erlebt, spricht er von starken Niederschlägen und Dürre. «Aus meinen 160 Linien konnte ich bereits Linien identifizieren, die für dieses Zwei-Wetter-System geeignet sind.» Gemeinsam mit anderen Züchterinnen und Züchtern hat er zudem Technologien, wie das Umpflanzen älterer Sämlinge 30 Tage nach der Aussaat perfektioniert, um den Schaden der Goldenen Apfelschnecke zu minimieren.

2005 hat der innovative Reiszüchter als Bauerntrainer begonnen. Seine Motivation ist es, anderen dabei zu helfen, sich von den Fesseln der Verschuldung durch die konventionelle Landwirtschaft zu befreien. Eine besondere Freude für ihn ist es, wenn die in der Landwirtschaft Tätigen nach der Schulung in der Lage sind, lokale Lernzentren einzurichten und versuchen, das, was in der Schulung gelernt wurde, weiterzugeben. Della Cruz hat sich dem Nationalen Saatgutnetzwerk angeschlossen, um seinen Einfluss zu erweitern, und um mehr Bäuerinnen und Bauern zu erreichen, die sein Fachwissen benötigen. Und der Erfolg gibt ihm recht. «Meine Zuchtlinien sind der lebende Beweis dafür, dass die von den Bäuerinnen und Bauern entwickelten Anbausysteme und Technologien, im Vergleich zu den im Labor entwickelten Technologien überlegen und nachhaltig sind.»

Gerechter Zugang zu Saatgut

Erfahrungen wie Della Cruz sie hat, sollten vielfältiger genutzt werden, denn Kleinbäuerinnen und Kleinbauern können die Welt mit sicheren und nahrhaften Lebensmitteln versorgen. Alles beginnt damit, ihnen Zugang und Kontrolle über das Saatgut zu ermöglichen und sie als innovative Akteure und Akteurinnen zu respektieren, die lokale bäuerliche Saatgutsysteme und somit auch die Biodiversität fördern und schützen. Hunger und Armut sind nicht einfach auf Nahrungsmittelknappheit zurückzuführen, sondern haben mit dem ungleichen Zugang der Menschen zu Nahrung und landwirtschaftlichen Ressourcen zu tun. Die globalen Landwirtschafts- und Handelspolitiken fördern eine industrielle Landwirtschaft, welche von Agrarkonzernen kontrolliert wird. Dabei stehen Konzernprofite im Vordergrund. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, Basis für die Nahrungsmittelerzeugung, und die Biodiversität werden dabei vernachlässigt. Saatgut- und Sortenschutzgesetze im globalen Süden eröffnen multinationalen Saatgut- und Agrarchemiefirmen neue Märkte. Diese Gesetze zwingen Bauern und Bäuerinnen jedoch dazu, ihr eigenes selbsterzeugtes Saatgut aufzugeben und Hightech Saatgut zu verwenden. Dieses darf weder nachgezüchtet noch getauscht werden, sonst machen sich die Bauern und Bäuerinnen strafbar. Ein gerechter und umfassender Zugang zu Saatgut ist die Grundvoraussetzung für die kleinbäuerliche Nahrungsmittelproduktion.

Über verschiedene Kanäle wie Welternährungstage, Foren zu Recht auf Nahrung und Menschenrechte sensibilisiert Agro-Eco Bauernorganisationen, Schulen, Universitäten und lokale Regierungsstellen. Solche Aktivitäten führen zu mehr Akzeptanz und Unterstützung von biologischer Landwirtschaft auf lokaler und nationaler Ebene. Die Veranstaltungen zu Agrarökologie ermöglichen zudem Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, ihre Rechte gegenüber den Regierungsbehörden geltend zu machen. Agro-Eco wurde ins Nationale Gremium für nachhaltige Landwirtschaft, das höchste politische Entscheidungsgremium für Biolandbau in den Philippinen, berufen. Somit gewinnt der Fastenopfer-Partner mehr Einfluss, um die Ausrichtung und die Perspektiven des nationalen Landwirtschaftsprogramms der Philippinen zu transformieren und es zugänglicher zu machen für die Rechte von Bäuerinnen und Bauern.

Colette Kalt

 

 

Fastenopfer-Kampagne: www.sehen-und-handeln.ch/saatgut


Colette Kalt

Colette Kalt (Jg. 1967) ist Verantwortliche PR, Kommunikation und Campaigning bei Fastenopfer.