Vor der Bischofssynode: Familienkrise als schwere pastorale Aufgabe

Zerbrochene Ehen, Geschiedene, Paare ohne Trauschein, Sexualmoral, gleichgeschlechtliche Partnerschaften: Brisante Diskussionspunkte gibt es wahrlich genug bei der Bischofssynode im Oktober im Vatikan. Dazu ein Mitarbeiter des Synoden-Sekretariats kürzlich vor Journalisten in Rom: «Wir hoffen natürlich, dass es bei diesem Forum mit Teilnehmern aus der ganzen Welt durchaus sachlich zugeht. Aber ich nehme an, dass es zu einer lebhaften Auseinandersetzung, wenn nicht gar zum Streit zwischen Liberalen und Konservativen über einige heisse Eisen kommen wird.» Evident seien ja zum einen die Bandbreite des vielschichtigen Themas «Familienkrise und Familienpastoral», zum anderen die grossen Erwartungen, mit denen die katholische Weltkirche, aber auch andere Konfessionen und Religionen, auf dieses Ereignis im Vatikan blicken.

Stimmt. Das Interesse an der bevorstehenden Synode, die sich (so ihr Generalthema) mit den «pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung» befasst, wächst von Woche zu Woche. Das entspricht dem Wunsch des Reformpapstes Franziskus, dem eine neue, flexible Familienpastoral sehr am Herzen liegt. Es war im Oktober 2013, als der Argentinier auf dem Stuhl Petri diese «Ausserordentliche Generalversammlung der Bischofssynode» für den Herbst 2014 einberief. Kurz darauf startete der Vatikan eine beispiellose Aktion: Er verschickte 38 Fragen zum Problemkreis «Familie und Sexualität» an die nationalen Episkopate auf allen Kontinenten.

Und während die Kirchen in den verschiedenen Ländern noch eifrig Antworten von der Basis sammelten, erfolgte im Vatikan ein weiterer bemerkenswerter Vorstoss: Auf Wunsch von Franziskus hielt der deutsche Purpurträger Walter Kasper vor dem Kardinalskollegium im Februar einen (bald darauf auch als Buch erschienenen)1 deutlich reformerisch akzentuierten Vortrag über die Familie im Evangelium. Dieser erregte erhebliches Aufsehen.

Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene?

In einem Interview mit dem Schreiber dieser Zeilen in Rom erläuterte Kasper seine Hauptthesen. Beispiel? In den Fragen von Ehe, Familie und Sexualität soll die Kirche schleunigst «aus der Starre einer resignierenden Verstummung oder einer Defensivhaltung herausfinden, in die sie angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen geraten ist». Zum heiklen Streitpunkt «Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene?» betonte Kardinal Kasper: Er wolle zwar nicht die Unauflöslichkeit einer sakramentalen Ehe in Frage stellen. Doch im Credo würden wir ja unseren Glauben an die Vergebung der Sünden bekennen. Folglich: Wenn ein geschiedener Wiederverheirateter bereut, dass er in seiner ersten Ehe versagt hat, wenn er in der zweiten, nur zivil geschlossenen Ehe im Glauben lebt und seine Kinder christlich erzieht, «sollten wir ihm dann das Sakrament der Busse und die Kommunion verweigern?».

Nein, wollte Kasper damit indirekt sagen. Diese und andere Thesen des liberalen Kardinals aus «Germania» stiessen in Rom zum Teil auf heftigen Widerspruch. Sogar der Papst, schien es, wollte deshalb ein wenig bremsen. Die kirchliche Haltung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen, warnte er, werde nicht das Kernthema der Synode sein. Wie auch immer, die Debatte nahm zu. Erst recht, als im Frühjahr 2014 dann die Antworten der nationalen Bischofskonferenzen auf den erwähnten Fragenkatalog im Vatikan eintrafen und man daraus ein «Instrumentum laboris» destillierte. Dieses Ende Juni veröffentlichte, 85-seitige Dokument dient als Grundlage für die Oktober-Synode.2

Tiefe Kluft zwischen Theorie und Praxis

«Wir wollen den Puls der Basis fühlen», kommentierten Vatikan-Prälaten im Pressesaal des Heiligen Stuhls rückblickend die beispiellose Fragebogen- Aktion. Und meinten zum Ergebnis: Rom müsse nun mal zur Kenntnis nehmen, dass bei den Themen Partnerschaft, Ehe, Familie, Sexualität die Auffassungen vieler, wenn nicht sogar der meisten Katholiken stark von der offiziellen Kirchenlehre abweichen. Die Folge? «Nötig ist eine neue, flexible Familienpastoral.»

Den ganzen Sommer über haben sich nun Experten in den nationalen Bischofskonferenzen, aber vor allem in Rom Gedanken über die gegenwärtige Familienkrise gemacht – über ihre Gründe, ihre zahlreichen Erscheinungsformen und über die wünschbaren pastoralen Antworten der Kirche (die zum Grossteil noch in den Sternen stehen). Dabei verweist man zu Recht auf die betreffenden Aussagen des «Instrumentum laboris». Etwa auf jene Passagen, welche die häufig evidente Unfähigkeit zum Aufbau echter familiärer Bindungen sowie andere, für die Familie negative Aspekte behandeln – etwa physische, psychische oder sexuelle Gewalt, wirtschaftliche Not und Konsumismus.

Doch das Dokument verschweigt auch die sogenannten «Gegen-Zeugnisse» in der Kirche nicht, also jene Missstände (angefangen von den Pädophilieskandalen), welche die moralische Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttern – vor allem im Blick auf Sexualität und Kinderschutz. Zur wachsenden Zahl der Partnerschaften ohne Trauschein unterstreicht das Arbeitspapier: Im Kontext der westlichen Lebensweise verbreitet sich eben die Ansicht, nach der «das Eheband einen Verlust der persönlichen Freiheit bedeutet». Mit diesen Partnerschaften, aber noch mehr mit den geschiedenen Wiederverheirateten befasst sich das Kirchendokument ausführlich. Zwar wird das grundsätzliche Nein zum Sakramentenempfang durch Geschiedene wiederholt. Doch den geschiedenen Gläubigen müsse erklärt werden, dass die Verweigerung der Kommunion «nicht gleichbedeutend ist mit dem Ausschluss vom christlichen Leben oder von der Beziehung mit Gott». Jedenfalls wird Flexibilität und Barmherzigkeit angeraten.

Flexibilität und Barmherzigkeit

Genau diesen Punkt erläuterte kürzlich Professor Paolo Benanti, Moraltheologe an der renommierten Päpstlichen Universität Gregoriana (und Franziskanerpater) in einem römischen Gespräch mit uns. Er verwies auf jenen Passus des Dokuments, demzufolge die Kirche gegenüber Geschiedenen und anderen «Sündern» nicht wie ein hartherzig verdammender Richter agieren soll, sondern wie eine Mutter, welche ihre Kinder immer annimmt und ihre Wunden pflegt, bis sie geheilt sind. «Völlig einverstanden», betont Prof. Benanti und fügte nachdrücklich hinzu: Barmherzigkeit sei ja die eigentliche kirchliche Novität im Blick auf die neuen Herausforderungen der Familienpastoral. Die Kirche könne als Expertin der Barmherzigkeit gelten. Weil sie ja auf der barmherzigen Aktion von Gott, der Mensch wurde, gründe. «Durch die rettende Wirkung der Sakramente vermittelt die Kirche Barmherzigkeit. Und erst durch die Barmherzigkeit können die Menschen unserer Zeit das experimentieren, was sie am meisten ersehnen: den Sinn der Existenz.»

So wie Paolo Benanti beschäftigen sich derzeit viele Kirchenmänner in Rom mit den im «Instrumentum laboris» angeschnittenen Problemen und den eventuell möglichen pastoralen Lösungen. Die einen eher theoretisch, aus moraltheologischer oder gesellschaftskritischer Sicht. Die anderen eher praktisch, mit dem Fokus auf der Frage, wie in schwierigen, kirchenrechtlich irregulären Situationen die zuständigen Seelsorger helfen können. Weitgehend einig sind sich die Experten, auch in dem von Erzbischof Vincenzo Paglia geleiteten Päpstlichen Familienrat, darin: Auf diesem Feld müssen die Pfarrer noch manches lernen. Überhaupt erfordert die neue Familienpastoral intensive neue Anstrengungen.

Eine bedeutende Rolle, versteht sich, wird bei der Familiendebatte im Oktober der Generalsekretär der Bischofssysnode, Lorenzo Baldisseri, spielen. Der Papst, der ihn im Februar 2014 zum Kardinal ernannt hat, hält grosse Stücke auf diesen dynamischen Toskaner, den man zum Reformerflügel der Kurie zählt. In einem langen Interview mit dem «Osservatore Romano» äusserte sich Baldisseri kürzlich über das bevorstehende, für die Weltkirche so bedeutsame Forum. Zunächst stellte er klar: Bei der Ausserordentlichen Generalversammlung im Oktober 2014 «werten die Väter alle Vorschläge der Teilkirchen aus, um auf die Herausforderungen hinsichtlich der Familie antworten zu können». Auf dieser Arbeit wird dann die Ordentliche Generalversammlung im Herbst 2015 aufbauen, «um pastorale Handlungslinien zu erarbeiten».

«Wie ein Feldlazarett»

Mit anderen Worten: Vorsicht, erwartet von der Zusammenkunft anno 2014 nicht zu viel, erwartet keinen für alle Episkopate verbindlichen Regelkatalog! Die jetzige Aufgabe der Synodenväter? Sie sollen beim Thema Familie «Hell und Dunkel erkennen; das, was noch unvollkommen ist, und auch das, wo noch Hand angelegt werden muss». Eine grosse, schwierige Aufgabe – weil es unglaublich viele dramatische Situationen gibt. Dazu Baldisseri, ganz im Tonfall von Papst Franziskus: Angesichts dieser familiären Dramen, mit Opfern und Verwundeten, die das Bild eines «Feldlazaretts» heraufbeschwören, sei die Kirche aufgerufen, sich zu diesen Opfern herabzubeugen und sich ihrer anzunehmen, «wenngleich es nach wie vor ihre Hauptaufgabe ist, das Evangelium von der Familie und der Schönheit der Berufung zur Liebe zu verkünden, die auch für die Gesellschaft ein grosses Potenzial birgt».

Von den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften spricht Kardinal Baldisseri in dem erwähnten römischen Interview nur in einem Halbsatz. Demgegenüber widmet das «Instrumentum laboris» diesem Phänomen immerhin fünf Seiten. Die katholische Kirche, heisst es da, ist weiterhin gegen die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der christlichen Ehe und erst recht gegen die Adoption von Kindern durch Homosexuelle. Denn darin, so der Text, wird ein Risiko für das umfassende Wohl des Kindes gesehen, das ein Recht darauf hat, Vater und Mutter zu haben.

Dennoch solle man Männer und Frauen mit homosexuellen Tendenzen keinesfalls diskriminieren – man müsse ihnen vielmehr «mit Achtung, Mitleid und Takt begegnen». Kurzum, auch unter dem Aspekt «Die Kirche und gleichgeschlechtliche Gemeinschaften» kann die bevorstehende Synode mit grossem internationalem Interesse rechnen. Die Augen der Medien und jene von Millionen Katholiken richten sich – wieder einmal – nach Rom.

 

 

1 Das Buch von Walter Kardinal Kasper «Das Evangelium von der Familie» (Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2014, 94 Seiten) wurde in der SKZ 182 (2014), Nr. 15, S. 217, angezeigt.

2 Das «Instrumentum laboris» zur kommenden ausserordentlichen Bischofssynode ist einsehbar unter: http://www.vatican.va/roman_curia/synod/documents/rc_synod_doc_20140626_instrumentum-laboris-familia_ge.html

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan