Von lebensfremd zu bedeutungsvoll

Wie ist vom Unaussprechlichen zu sprechen, so dass für die Menschen die religiösen Worte und Symbole Sinn ergeben? Glaubwürdig, persönlich, einfach und klar sind die Stichworte.

«Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund», beten wir in jeder Messe; «Sprich du das Wort, das tröstet und befreit» singen wir im Kirchenlied von Huub Oosterhuis. Der Soziologe Jürgen Habermas sprach in seiner berühmten Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels davon, dass Religion auch in der säkularisierten Gesellschaft eine sprachliche Ressource sein kann. Von religiöser Sprache, von Sprache in der Kirche wird viel erwartet. Entsprechend ist das Enttäuschungspotenzial riesengross. Auf einem bekannten Buchtitel heisst es provokativ: «Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt».

Ist «falsche» Sprache tatsächlich die Ursache dafür, dass das kirchliche Leben insbesondere bei Jugendlichen wenig Resonanz erzeugt? Tatsächlich wird eine lebensfremde, altmodische und unverständliche Sprache, vor allem im Gottesdienst und in der Bibel, schnell einmal genannt, wenn Menschen sich kritisch gegenüber der Kirche äussern. Doch: Was heisst hier «falsche» Sprache? Sind falsche Wörter gemeint, oder eine hermetische Ausdrucksweise, die erst mühsam entschlüsselt werden muss, ein unangepasster Redestil (zu feierlich, zu wenig feierlich, zu ernst, zu wenig ernst) oder Unaufrichtigkeit?

Religiöse Sprache – eine fremde Welt

Sprache bildet nicht nur ab, sondern schafft eine Vorstellung, die über das einzelne Wort hinausgeht. Dieser Assoziationsraum beruht auf einem geteilten Kontext. Manch ein fremdsprachiges Wort ist unübersetzbar, weil es mit einer Erfahrung oder Wahrnehmung verbunden ist, die uns fremd ist. Dasselbe gilt für die Bibel und die Tradition, deren Geschichtlichkeit viel Wissen erfordert. Ich denke an Begriffe wie «unrein», an Hirten und Schafe, oder an soziale Verhältnisse, ohne deren Kenntnis manche Texte unverständlich bleiben. Schliesslich schafft Sprache auch Realität. Heute spricht man von «Rahmung», wenn Begriffe wie «Flüchtlingsschwemme» oder «Frauenprobleme» genannt werden, weil sie implizit eine bestimmte Sicht der Dinge beinhalten.

Eine Besonderheit religiöser Sprache ist ihr Ringen, Unaussprechliches in Worte zu fassen, nämlich Gott selbst. Neben dem Erzählen von Geschichten – statt des Beschreibens – hat die Glaubenssprache dafür verschiedene Strategien: das negative oder auch paradoxe Sprechen, z. B. das auf der Überzeugung beruht, dass über Gott nicht so gesprochen werden kann wie über Weltliches. «Gott ist keine Kraft, ist nicht das Sein, ist keine Zahl, nicht einmal das Leben» dichtet Dionysius Areopagita im 6. Jahrhundert und zur gleichen Zeit wiederholt Romanos der Melode* in seinem Weihnachtshymnus beständig das Motiv «ein kleines Kind – der grosse Gott». Eine weitere Strategie ist das Sprechen in Bildern und Symbolen, welches unser religiöses und liturgisches Sprechen weithin prägt, etwa «Du bist das Licht der Welt». Der häufige, unreflektierte Gebrauch solcher Bilder kann zu einer Abnutzung bis hin zur Bedeutungsleere führen. Für Menschen, die nicht in diese Art des Sprechens hineingewachsen sind, sind solche Symbole unverständlich und der historische Graben zwischen Tradition und heutiger Zeit scheint unüberwindbar. Dabei geht es noch nicht einmal nur um das intellektuelle Verstehen, sondern darum, den Raum, den die Sprache eröffnet, mit eigenen Gefühlen, eigener Sinnhaftigkeit zu füllen.

Das religiöse Sprachspiel unserer Kirchen ist den meisten Jugendlichen heute nicht vertraut. Die traditionellen religiösen Sprachmuster sind ihnen eine vollkommen fremde Welt, deren Sinn sich ihnen kaum erschliesst. Traditionelle religiöse Motive wie Engel, Teufel, Karma, Nirwana usw. kennen sie zwar, sofern sie Einzug in die Lebenswelt gefunden haben, allerdings meist ohne Erfahrungskontext oder begriffliches Wissen. Dass Religion überdies als etwas Privates, Intimes empfunden wird, über das man kaum spricht, oder als ein unbestimmtes Gefühl, verstärkt den Verlust an religiöser Sprache, den sie meistens noch nicht einmal als solchen wahrnehmen.

Gelingendes Sprechen

Religiöse Sprachfähigkeit verhilft Jugendlichen, für ihr Ringen um Identität, für die sich bildenden Überzeugungen und Werte Worte zu finden. Gleichzeitig ist religiöse Kommunikationskompetenz in unserer pluralen Gesellschaft unverzichtbar. Wollen Jugendarbeiter und Katecheten diese vermitteln, müssen sie bei dem ansetzen, was für Jugendliche am wichtigsten ist: Glaubwürdigkeit. Sie hebt auf das Zusammenspiel von Person, Sprechen und Tun ab und weist über das rein Sprachliche hinaus. Fehlt sie, hat keine noch so jugendlich daherkommende Sprache eine Chance. In diesem Sinne wirkt sich der mühsame Umgang der Kirche mit ihrem eigenen Fehlverhalten erschwerend aus auf die Chance, religiöse Sprachfähigkeit zu vermitteln, zusätzlich zur allgemein skeptischen Haltung von Jugendlichen gegenüber der Kirche als Institution. Wenn jemand unaufrichtig ist, wie kann man ihm die liturgische Sprache glauben?

Sprache ist vor allem Kommunikation. Jugendliche wollen nicht bepredigt oder missioniert, sondern verstanden werden. Sie sind offen für echtes, vorbehaltloses Interesse, sie wollen, dass ihnen zugehört wird, und dass das, was sie äussern, nicht ohne Wirkung bleibt. Finden Erwachsene und Jugendliche einen Draht zueinander? Damit hängt zusammen, dass die Glaubenssprache nicht abstrakt, sondern lebensrelevant sein soll. In der Religionspädagogik wird hier vom Prinzip der Korrelation gesprochen, eine der anspruchsvollsten theologischen Aufgaben mit vielen Fallstricken. «Jesus ist unser Freund» etwa ist eine verbreitete Aussage. Stimmt das? Ist Jesus mein Freund wie meine beste Freundin oder wie meine Gspänli? Eigentlich ist es schon wieder ein Bild, von dem abstrahiert werden muss. Was macht der Junge, der Aussenseiter ist und keine Freunde hat? Er braucht richtige Freunde. Ähnliches gilt für das viel benutzte Wort «Gemeinschaft», das allzu sorglos für alle möglichen Gruppen benutzt wird, ob sie nun wirklich eine Gemeinschaft bilden oder nicht. Für Menschen, die sich nach Gemeinschaft sehnen, kann das nur in Enttäuschung enden. Die hauptsächliche Herausforderung der Korrelation ist es, gerade für Fachleute, für sich selbst ganz lebenspraktisch in Worte zu fassen, was der Glaube für sie persönlich bedeutet.

Traditionelle Sprache braucht manchmal eine Übersetzung oder eine Erläuterung, damit der zeitliche Graben überwunden werden kann. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Liturgie dar. Sie ist performativ, hier wirkt das Wort idealerweise aus sich und ausführliche Erläuterungen stören die liturgische Dynamik. Um dies erfassen zu können, hilft die Methode des Rezitierens, des Sprechens auf Probe. Was passiert, wenn traditionelle Ausdrücke über meine Lippen kommen wie: «der mit dir lebt und herrscht»; was passiert, wenn ich im Glaubensbekenntnis oder im Vaterunser eine Sprache zitiere, die seit Jahrhunderten Menschen laut und leise schon gesprochen haben? Wie fühlt es sich an, in einer Tradition zu stehen? Gehöre ich dazu? Die rezitierende Zugangsweise darf jedoch nicht den Verzicht auf Erneuerung, auf Verheutigung der gottesdienstlichen Sprache bedeuten.

Ein weiteres wichtiges Prinzip für eine gelungene Sprache, die dadurch mehr Chancen hat, zu einem Resonanzraum zu werden, ist Einfachheit. Sie ist wohl das Schwierigste. Voraussetzung für einfache, klare Sprache ist die Klarheit der eigenen Gedanken und die Aufrichtigkeit der Absicht. Jeder Prediger, jeder Katechet muss sich fragen: Will ich wirklich verstanden werden? Oder will ich nur beschwichtigen, bemänteln, oder Menschen demagogisch in einen Gefühlsraum locken, den ich mir vorgestellt habe? Plappere ich, weil ich eigentlich nicht genau weiss, was ich sagen will? Schliesslich gehört zum Erwerb religiöser Sprachkompetenz zentral die Ermächtigung, selbst religiöse Sprache zu schaffen; auszuprobieren, was individuell stimmt, was in einer Gruppe trägt. Sie basiert auf dem Zutrauen, dass (nicht nur) Jugendliche tatsächlich ein wertvolles religiöses Potenzial in sich haben. Gut gemeinte selbst formulierte Fürbitten schaffen es selten, die notwendige Authentizität auszudrücken. Deshalb ist es wichtig, in der Katechese, im Religionsunterricht, in der Jugendarbeit Räume der Nachdenklichkeit, des Philosophierens und des Ausprobierens zu schaffen.

Damit das Wort glaubhaft wird

Es ist nicht erstaunlich, dass das bisher Gesagte sich nicht auf Jugendliche beschränkt, es gilt für alle Altersgruppen. Insofern kann ein gelungener Umgang mit Jugendlichen in der Kirche vielleicht auch der kirchlichen Sprache neue Impulse geben. Für theologisch gebildete Hauptamtliche ist es ein wichtiges Erfordernis, Sprache nicht naiv zu nutzen, so als ob es nicht drauf ankäme, wie, in welcher Weise und in welchem Kontext etwas gesagt wird. Sprache ist nicht der einzige Faktor dafür, ob der christliche Glaube wieder vermehrt als Resonanzraum wahrgenommen werden kann, aber es ist ein wichtiger, wenn es darum geht, ob das Versprechen, dass das göttliche Wort «die Seele gesund macht», für Menschen glaubhaft wird.   

Monika Jakobs

 

* Romanos der Melode (ca. 485–560) stammte aus Syrien, lebte in Konstantinopel und war byzantinischer Hymnograph. Unter seinem Namen sind 90 Hymnen überliefert, davon sind 60 als echt anerkannt. Er gilt als der bedeutendste Dichter byzantinischer Literatur und wird in der orthodoxen Kirche als Heiliger verehrt.


Monika Jakobs

Prof. Dr. Monika Jakobs (Jg. 1959) ist Professorin für Religionspädagogik und Leiterin des Religionspädagogischen Instituts an der Universität Luzern.