WLAN, Glaubens-App und neue Wörter

Im (Jugend-)Alltag gibt es unzählige Sprachbilder und Symbole, die kreativ ins Sprechen über Gott und die Welt einfliessen können, um dort ihr Potenzial für eine existenzielle Glaubenskommunikation zu entfalten.

Bitte keine Barmherzigkeit! Keine Nächstenliebe! Kein Gebet! Welcher junge Mensch kann denn heute etwas mit diesen traditionellen Kirchenbegriffen anfangen? Trotzdem verwenden nicht wenige Seelsorger und Ehrenamtliche diese Begriffe noch immer selbstverständlich und sind sich oft kaum bewusst, dass hinter jedem ein ganzes theologisches Programm steckt, das eigentlich erklärt werden müsste. Natürlich: Einfache, neue Pendants, mit denen sich Kirchenbegriffe eins zu eins übersetzen lassen, gibt es nicht. Sie lassen sich meistens nur umschreiben. Es gibt jedoch zahlreiche Sprachbilder und Symbole, die im Jugendalltag aktuell sind, und die kreativ im religiösen Vokabular zum Einsatz kommen können.

Beispiele aus der digitalen Welt

Was fällt Ihnen zum Stichwort Handyladekabel ein? Akku wird leer, aufladen, Steckdose, schon wieder keine Energie mehr! Da lande ich schon fast automatisch bei spirituellen Fragen: Wo tanken Sie Energie? Was gibt Ihnen Kraft? Wer ist für Sie wie ein Ladekabel? Und was raubt Ihnen Energie? Ein anderes Beispiel: Welche Apps sind ganz vorne auf Ihrem Smartphone-Display zu finden? Wie viele haben Sie installiert? Welche davon benutzen Sie regelmässig? Das Smartphone-Display sagt sehr viel über den Nutzer aus: «Zeigen Sie mir Ihren Display und ich sag Ihnen, wer Sie sind!» Was ist Ihnen wichtig? Welche Informationen interessieren Sie? Welche Werte stehen im Vordergrund? Welche Programme benötigen Sie für Ihren Alltag, welche helfen Ihnen, um durchs Leben zu kommen? Wenn Jesus ein Smartphone gehabt hätte, welche Apps hätte er wohl installiert? Vielleicht hätte man für ihn ein paar neue erfinden müssen: Die Teilen-App, die Verzeihen-App.

Bei welchem WLAN sind Sie eingeloggt? Das WLAN bzw. die Möglichkeit, online zu gehen und zu sein, ist für viele Jugendliche heute etwas Existenzielles. Ein WLAN sendet Signale, ein WLAN ermöglicht Austausch von Daten: Welche Daten empfangen Sie, welche Signale nehmen Sie wahr – und welche nicht? Bei welchem WLAN sind Sie eingeloggt – und finden Sie heraus, welches WLAN für Sie das richtige ist? Wenn Gott ein WLAN wäre, wäre er frei zugänglich oder mit einem Passwort geschützt – und wenn ja, mit welchem? Wer sich einmal auf solche Beispiele aus der digitalen Welt einlässt, der ist gezwungen, ganz neu über Gott und den Glauben nachzudenken. Er wagt sich auf unbekanntes Terrain und nimmt auch Fehltritte in Kauf: «Kann oder darf ich das so formulieren? Ist das wirklich zutreffend?» Das verhindert, dass ich mich zurückziehe in die Sicherheit vorgefertigter Phrasen, die schon seit Jahrzehnten in Verwendung und deshalb aber inzwischen ziemlich verstaubt sind. Wenn ich Spirituelles mit zeitgemässen Sprachbildern verknüpfe, wird mein Gegenüber hellhörig: Meine Sprache löst bei ihm etwas aus, es kann in Gedanken mit eigenen Beispielen ergänzen. Und: Der unkonventionelle Zugang, da mit ihm etwas aus dem ganz normalen Alltag aufgriffen wird, bleibt vielleicht gerade deshalb umso länger haften. Wenn ich das nächste Mal bewusst mein Smartphone-Display anschaue, erinnere ich mich vielleicht, dass …

Auf Englisch verzichten

Wer Jugendlichen heute religiöse Themen näherbringen möchte, muss zuerst hinhören, welche Symbole, welche Begriffe in der Kommunikation von Jugendlichen aktuell sind. Es geht nicht darum, die Jugendsprache zu übernehmen und bisherige Texte mit möglichst vielen aktuellen Jugendwörtern zu aktualisieren. Das wirkt oft bemüht. Die deutsche Sprache und die Mundart bieten viele kreative Möglichkeiten. Hingegen sind die Versuche, auf die englische Sprache zu setzen und damit moderner und frischer zu wirken, oft zum Scheitern verurteilt.

Songtexte als Vorbilder

Ein wichtiger Tipp in Sachen Kommunikation findet sich bereits bei Martin Luther: Man soll den Menschen «aufs Maul schauen», hat er geraten. Ganz genau hinhören: Worüber sprechen sie? Und wie formulieren sie es? Vorbilder und Inspirationsquellen kann auch die aktuelle deutschsprachige Pop-, Rock- oder Hiphopmusik sein: Musikschaffende wie Namika («Lieblingsmensch»), die Band Silbermond oder Mark Forster («Bauch oder Kopf») zeigen, wie sich heute originell und pointiert gesellschaftliche Themen aufgreifen lassen. Diese Texte können so etwas wie ein Grundstoff sein, wenn es darum geht, Gebete oder Impulstexte für den Unterricht oder einen Gottesdienst zu formulieren. Wer einmal den Versuch wagt, einen Songtext zu einem Gebet umzuschreiben, ist oft überrascht, was für tiefgründige Texte dabei herauskommen – das gelingt selbst Seelsorgern, die sich nicht als Poeten bezeichnen, ganz ohne Kopfzerbrechen. Viele dieser Songtexte zeigen: Wer die deutsche Sprache kreativ verwendet, kann beim Leser oder Zuhörer etwas auslösen. Auch in auf den ersten Blick simplen Bildern steckt oft viel Potenzial. Zum Beispiel das Bild des Eisberges im gleichnamigen Lied von Andreas Bourani oder das Bild vom Lieblingsmenschen, den die Sängerin Namika in ihrem bekanntesten Lied besingt.

Adressatengerechte Sprache ist eigentlich nichts Neues: Hat das nicht Jesus schon in Gleichnissen gemacht? Das Kamel, das durch das Nadelöhr geht … Auch er orientierte sich in seinen Texten immer bewusst an der Zielgruppe, an die er sich wandte. Viele Texte aus der deutschsprachigen Musik machen auch noch auf etwas Anderes aufmerksam: Texte werden lebendig, wenn die Sinne angesprochen werden. Wenn ich den Text höre bzw. lese, sehe, höre, rieche ich etwas. Wer also etwas via Text mündlich oder schriftlich näherbringen möchte, sollte sich überlegen: «Kommen Farben, Materialien, Bewegungen, Geräusche und Gerüche in meinen Texten vor?» Der prasselnde Regen, Zitronenduft, die roten Gummibärchen …

Nicht mehr als 140 Zeichen

Junge Menschen kommunizieren heute intensiv in Social-Media-Anwendungen miteinander. Diese Kommunikationskanäle sind geprägt von einer kurzen und knappen und vor allem dialogischen Kommunikation. Es geht wie beim Tischtennisspiel sehr schnell hin und her. Diese Medien haben die Kommunikationskultur verändert und sind mitverantwortlich dafür, dass viele Menschen immer mehr Mühe haben, lange Texteinheiten aufzunehmen oder länger zuzuhören. Wer diese Realität ernst nimmt, schreibt andere Texte, kommuniziert anders. Die Herausforderung besteht darin, sich kurz zu fassen, die Botschaft auf den Punkt zu bringen und Texte dialogischer zu gestalten (z. B. mit mehr Fragen). Natürlich ist das bei komplexen Glaubensthemen nicht immer möglich, aber trotzdem sollte ich mich der Frage stellen: Wie kann ich es komprimieren, was ist die Quintessenz von dem, das ich erzählen möchte?

Bitte authentisch!

Eines hat sich nicht geändert: Texte kommen an, wenn sie authentisch sind – der Text muss zum Sprecher bzw. zum Verfasser passen. Wenn man jemandem einen Text nicht abnimmt, kann er noch so gut formuliert sein – er verfehlt sein Ziel. Gerade deshalb machen heute viele die Erfahrung, dass sie mit Texten in typischer Kirchensprache nicht ankommen – denn diese klingen zwar kirchlich, haben aber oft mit dem Sprecher wenig zu tun – es wird wenig Persönliches vermittelt. Vielleicht ist die Wirkung von authentischen Texten gerade in unserer durchgestylten Welt noch grösser als früher. Jeder muss seine persönliche Sprache finden. Das erfordert vielleicht auch etwas Mut – Mut, nicht den perfekten und inhaltlich korrektesten Text zu formulieren, sondern einen mit Ecken und Kanten.

Spirituelle Sprache beibringen

Viele Erwachsene tun sich heute schwer, eine spirituelle Sprache zu verwenden, die Jugend- liche erreicht – und auch junge Menschen selbst sind heute meistens überfordert, wenn sie mündlich oder schriftlich spirituelle Texte wie zum Beispiel ein Gebet formulieren sollen. Zum einen liegt es daran, dass es viel Überwindung erfordert, anderen Einblicke in persönliche Glaubensansichten, Ängste und Hoffnungen zu geben. Zum anderen hat es aber auch damit zu tun, dass sie schlichtweg nicht wissen wie es geht – weder zuhause noch in der Schule gibt es Möglichkeiten, es zu lernen. Deshalb wären dringend in allen kirchlichen Bereichen Angebote gefragt, wo Menschen aller Generationen für eine zeitgemässe Glaubenskommunikation fit gemacht werden. Dabei sollte eben nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch vermittelt werden wie zum Beispiel persönliche Gebete formuliert werden können. Möglichkeiten zum Experimentieren schaffen: Das kann zum Beispiel im Rahmen einer «spirituellen Schreibwerkstatt» geschehen, in der kreative Schreibmethoden die Lust, die Wörter sprudeln zu lassen, wecken. Denn das Finden einer neuen Sprache, das Spiel mit neuen Wörtern für spirituelle Themen ist viel mehr als ein «Sprachkurs»: Wenn ich mir überlege, wie ich etwas umschreiben kann oder welche Formu- lierung am meisten zutrifft, muss ich zunächst intensiv über den Inhalt nachdenken.

Stephan Sigg


Stephan Sigg

Stephan Sigg (Jg. 1983) studierte Theologie in Chur und ist seitdem als Journalist und Autor sowie in der Aus- und Weiterbildung von Religionslehrpersonen tätig.