Es hat mir die Sprache verschlagen

Auf Messers Schneide stand der Beitrag von Pater Martin, wo bis knapp vor Redaktionsschluss nicht klar war, ob der Text im virtuellen Orbit wieder gefunden werden würde.

Beim Schreiben dieses Artikels hat es mir die Sprache verschlagen. Eigentlich nicht überraschend, denn neue Sprachen für Gott betreffen eine Beziehung, die nicht spannender sein könnte: Die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Da ist nicht alles klar. Es ist der Gott, der immer wieder überrascht, dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind (vgl. Jes 55,8). Auch beim Menschen ist nicht alles klar, überhaupt nicht. Viele Polarisationen und Kämpfe in der Kirche wurzeln im Umgang mit dieser grundlegenden Spannung im Glaubensleben.

Wer einen Gott verehrt, bei dem alles klar ist, verehrt einen selbstfabrizierten Götzen. Und wer von einem Menschen sagt: «Den kenne ich, der braucht mir nichts zu sagen», hat nichts von seinem Geheimnis verstanden. Wenn uns bei Gott und bei Menschen alles klar ist, nehmen wir weder Gott noch den Menschen ernst. Diese Einsicht in unseren Glauben - und damit auch in die Sprache in unserem Glaubensleben – legt uns das Zweite Vatikanische Konzil in «Gaudium et spes» ans Herz. Papst Johannes Paul II. hält dies für eine der grössten Einsichten des Konzils (Dives in misericordia, 1).

Im Sprechen mit Gott und im Sprechen über Gott kann nie alles klar sein. Es bleibt ein Ringen und ein Staunen, ein Verstehen und auch ein Fremdbleiben, ein Vertrauen und ein Erschrecken. Davon zeugt die ganze Bibel. Geht die Spannung verloren, werden Gebet und Verkündigung zu einem Plappern wie das der Heiden (vgl. Mt 6,7). Die Versuchung dazu ist gross. Wir dürfen einen anderen Weg wagen: Der Mensch darf in Gottes Gegenwart da sein, hören und sich selbst zur Sprache bringen. «Jemand sein dürfen statt etwas sein müssen» (Daniel Hell). Diese Haltung lässt aufatmen, die Grundhaltung des Sprechens mit und über Gott.

Authentisch über Gott sprechen kann, wer zuerst mit Gott spricht. Der erste Schritt besteht also nicht darin, neue Texte zu schaffen, sondern darin, uns immer neu in die Beziehung mit Gott zu wagen. Ansonsten bleiben neue Texte etwas Gebasteltes. «Das Wort ist Brot geworden» (Silja Walter): davon soll unser Mund voll sein. Wenn das Wort nicht zum Brot wird, wird die Lehre schnell zur Leere – auch wenn alles stimmt und sie vor der Prüfung der Glaubenskongregation besteht. Und das Gebet wird zum Geplapper, auch wenn die Gottesdienstkongregation es approbiert. Neue Sprachen für Gott sind geprägt von der Spannung des Dialogs zwischen Gott und Mensch. Sie sind Ausdruck des Staunens und führen zum Staunen. Sie lassen aufhorchen und fordern heraus. Sie ecken an und führen in die Tiefe.

Beim Schreiben dieses Artikels hat es mir die Sprache verschlagen. Unser Computer-Server streikte über Tage. Da wurde mir neu bewusst, wie wichtig das Schweigen ist. Dem grossen Propheten Elijas schenkt Gott die tiefste Begegnung nicht in den grossen Dingen dieser Welt (Sturm, Erdbeben und Feuer), sondern mit einer «Stimme verschwebenden Schweigens» (Martin Buber).

Martin Werlen


Martin Werlen

P. Martin Werlen OSB (Jg. 1962) ist seit 1983 Mönch von Einsiedeln. 1988 wurde er zum Priester geweiht. Von 1989 bis 1992 studierte er Psychologie in Rom und schloss mit dem Lizentiat ab. Von 2001 bis 2013 war er Abt der Klöster Einsiedeln und Fahr. Seither ist er wieder Novizenmeister und Lehrer am klostereigenen Gymnasium.