Von kurios bis bitterernst

Johannes Zang lebte fast zehn Jahre in Israel und Palästina. Seine Erlebnisse und die Gespräche mit Ministern, Historikerinnen, Rabbinern und vielen weiteren Personen fliessen in sein neues Buch ein.

77 Geschichten aus Israel und Palästina, die will uns der Journalist und erfahrene Reisegruppenleiter mit Wohnsitz in Bayern erzählen. Jeder Text, so sein Plan, muss auf zwei Seiten Platz haben, und so füllt er mit Energie sowohl die vorgenommene Schnapszahl wie den knappen Raum mit Erinnerungen und Tatsachenberichten, die einen trivialer, die anderen hochpolitischer Natur. Der Bogen spannt sich so von den 43 Nationalparks, die sich im Gebiet des gesamten «Heiligen Landes» befinden, bis hin zu den 130'000 zerstörten palästinensischen Häusern seit dem Jahr 1947. Die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets haben ihren Platz, die Erdbebenstärke 6,2 des letzten bedeutenden Bebens in der Region von 1927 ebenso. Ein Sammelsurium also, locker und leicht zu lesen. Manchmal wird es auch recht vergnüglich, wenn Zang etwa im Kapitel «Kurioses und Heiteres seit 169 Jahren» die Regelung darstellt, wie die christlichen heiligen Stätten aufgrund eines Status-quo-Edikts des Osmanischen Reiches aus dem Jahr 1852 den verschiedenen christlichen Kirchen zugeteilt wurden und darum ein über die Kante des katholischen Altares hängendes Altartuch den benachbarten griechisch-orthodoxen Altar und damit den konfessionellen Frieden beeinträchtigen kann.

Auch ernste Themen

Das lockere Geplauder des Verfassers berührt aber auch sehr seriöse Themen, etwa die Erwähnung der zur Abfassungszeit des Buches exakt 27'712 «Gerechten unter den Völkern» oder das Kapitel zur politischen Instabilität im heutigen Staat Israel, in dem im Durchschnitt alle zwei, drei Jahre gewählt wird und in dem Parteien im Schnelltempo zu grossen Prozentanteilen kommen und darauf wieder abstürzen können. Dies ist aus der neuesten Zeit am Beispiel des Ex-Generalstabschefs Benny Gantz und seinem blau-weissen Bündnis belegt. Schliesslich sei auf das Kapitel zum Thema der weiterhin anhaltenden jüdischen Einwanderung verwiesen: Mehr als 20'000 Menschen selbst unter Corona-Bedingungen belegen nicht nur die Anziehungskraft des einzigen Staates der Welt, in dem sich Jüdinnen und Juden einigermassen sicher vor Antisemitismus fühlen können, sondern noch viel mehr die bedrohlichen Bedingungen, unter denen sie auch in freiheitlich-demokratischen Ländern (wie etwa in Frankreich) als Minderheit neben dem radikalen Islam zu (über)leben haben. Es führt ein langer Weg von den Vertreibungen und Pogromen im Zarenreich (man denke etwa an «Fiddler on the Roof», das Musical zum Thema1) bis ins 21. Jahrhundert.

Vermintes Gebiet und Neutralität

Das alles ist zunächst nun harmlos und auch inhaltlich hilfreich, jedoch: Nur schon mit der gesamten Auflistung an Themen ist klar, dass wir uns mit diesem Buch in massiv vermintem Gebiete bewegen. Denn niemand, auch wenn er ehrlich und objektiv zu sein versucht, kann die Geschichte des Staates Israel, der nach der Katastrophe des Holocaust von den Siegermächten des Krieges dem jämmerlich dezimierten Volk der Juden und Jüdinnen auf einem Teil seines ureigensten Landes und Bodens gnädig geschenkt und sofort von der grossen Mehrheit der arabische-islamischen Umgebung gewaltsam bekämpft wurde, neutral und emotionslos erzählen. Nun, Herr Zang hat dies nicht im Geringsten vor, für ihn ist Israel der Täter und Palästina das Opfer.

Auf ein jüdisches Opfer der Gewalttaten, die erst durch den antisemitischen Terror begonnen hatten, kommen für ihn immer sieben arabisch-palästinensische, damit ist schon quantitativ definiert, wo die Schuld liegt. Und er verbringt ganze Kapitel damit, die Nakba2 in allen blutigen und ausführlichen Details bis hin zur heutigen Politik des Staates Israel auszubreiten und den schwarzen Peter x-fach zu verteilen. Man hätte es ja auch so machen können: 38,5 Geschichten zum Holocaust und 38,5 Geschichten zur Nakba. Aber nein, ein ganzes Kapitel ist dem «bösen» Mossad gewidmet, der die übelsten palästinensischen Terror-Aktionen rächte (inklusive Adolf Eichmann gefasst hat…), keines der PLO. Da schweigt des Sängers (Rezensenten) Höflichkeit.

Heinz Angehrn

 

1 Auf Deutsch unter Anatevka oder Der Fiedler auf dem Dach bekannt.

2 Verwendeter Ausdruck für die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung nach 1948.

Buchempfehlung: «Erlebnisse im Heiligen Land. 77 Geschichten aus Israel und Palästina. Von Ausgangssperre bis Zugvögel». Von Johannes Zang. Wien 2021. ISBN 978-3-85371-490-4, CHF 31.90. www.mediashop.at


Heinz Angehrn

Heinz Angehrn (Jg. 1955) war Pfarrer des Bistums St. Gallen und lebt seit 2018 im aktiven kirchlichen Dienst als Pensionierter im Bleniotal TI. Er ist Präsident der Redaktionskommission der Schweizerischen Kirchenzeitung und nennt als Hobbys Musik, Geschichte und Literatur.