«Von den Gästen erhalte ich öfters Echos»

Zermatt ist ein beliebter Touristenort, sowohl im Sommer zum Wandern als auch im Winter zum Skifahren. Stefan Roth ist Pfarrer in Zermatt und betrachtet den Ort aus einer anderen Perspektive.

Stefan Roth (Jg. 1953) ist seit September 2003 Pfarrer in Zermatt. Daneben ist er Präsident der bischöflichen Kommission für Tourismus-, Freizeit- und Pilgerseelsorge. (Bild: rs)

 

SKZ: Was unterscheidet Ihre Arbeit von jener eines Pfarrers in einer «normalen» Pfarrei?
Stefan Roth: In den Grundaufgaben der Seelsorge gibt es zunächst keine Unterschiede, aber in einem so grossen Tourismusort wie Zermatt ist natürlich die Zusammensetzung der Pfarrei differenzierter. Ich denke dabei an das Dreieck von Stammpfarrei, Gastarbeitern und Gästen. Diese speziellen Gruppierungen wirken sich auf die Seelsorge aus. Wir haben sehr selten einen Gottesdienst, der nur von der Stammpfarrei besucht wird. Von Mitte Oktober bis Mitte Dezember und dann wieder im Mai, also in der Nebensaison, ist die Anzahl der Gäste und Gastarbeiter kleiner. Ich muss diese drei Gruppen immer im Auge behalten, wenn ich von unserer Pfarrei spreche.

Wie lauten die konkreten Zahlen?
Zermatt hat rund 6000 Einwohner, davon sind etwa 80 Prozent katholisch. Rund ein Drittel sind Ausländer, davon die Mehrzahl ebenfalls Katholiken. Etwa die Hälfte der Ausländer sind Portugiesen, gefolgt von Italienern, Deutschen, Kroaten usw. Im vergangenen Jahr registrierte Zermatt mehr als zwei Millionen Logiernächte, dazu kommt der Tagestourismus.

Gibt es auch Missionare für Anderssprachige in Zermatt?
Der Portugiesenmissionar feiert jeden Sonntagnachmittag die heilige Messe. Dann haben die Hotelangestellten Zimmerstunde. Zudem macht er Spitalbesuche und kommt auch für Beerdigungen. Der Kroatenseelsorger kommt alle zwei Wochen. Er feiert Gottesdienste und steht für Beerdigungen zur Verfügung. Bis vor zwei Jahren hatten wir auch einen Italienerseelsorger. Er ist inzwischen 85-jährig und wohnt noch in unserem Bistum, kommt aber nicht mehr nach Zermatt, da er feststellen musste, dass in seinen Gottesdiensten mehr Nicht-Italiener als Italiener waren. Die Menschen aus Nord- und Ostdeutschland sowie die Nordländer sind mehrheitlich reformiert. Die Reformierten bilden eine kleine Gemeinschaft und feiern ihre Gottesdienste bei uns im Pfarreizentrum. Die Anglikaner haben in Zermatt eine eigene Kirche. Die Engländer waren Pioniere des Bergsteigens und bauten sich in verschiedenen Orten eine eigene Kirche. In der Zeit von Weihnachten bis Ostern sowie bis zu drei Monate im Sommer kommen abwechslungsweise anglikanische Seelsorger, die hier für die Kurpastoral zuständig sind und zugleich Ferien machen.

Da stellt sich die Frage nach der Integration.
Die erste Generation von Gastarbeitern zu integrieren, ist sehr schwierig. Die Gastarbeiter aus Osteuropa lernen durchschnittlich schneller Deutsch als jene aus Portugal. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Osteuropäer Deutsch lernen müssen, während sich die anderen mit Italienisch oder Französisch durchschlagen können. Es zeigt sich, dass das Erlernen der Landessprache für die Integration von grosser Bedeutung ist. Wir bemühen uns, die Ausländer in unsere Pfarrei zu integrieren. So haben wir je eine Vertreterin der Kroaten und der Portugiesen im Pfarreirat und laden die Ausländer jeweils zum Pfarreifest ein. Diese Einladung nehmen nur wenige an, doch umgekehrt ist es nicht besser. Wenn die Portugiesen am 13. September eine Lichterprozession halten, nehmen unsere Pfarreiangehörigen nur spärlich daran teil. Die Integration beschäftigt mich sehr, wobei ich feststellen darf, dass diese in der zweiten Generation bereits besser klappt. Hier sind vielleicht mehr die kulturellen Unterschiede spürbar. So engagieren sich beispielsweise Italiener und Portugiesen mehr im Fussball, die Einheimischen eher im Hockey und beim Skifahren.

Wo kommen Sie als Seelsorger vor allem mit Gästen in Kontakt?
Die Gäste treffe ich vor allem in den Gottesdiensten. Speziell an Weihnachten und Ostern sind die Einheimischen in der Minderheit. An den grossen Festtagen begrüsse ich die Gäste in verschiedenen Sprachen oder gebe ihnen Segenswünsche mit und es werden auch Lesungen in Französisch und Englisch vorgetragen. In der Kirche liegen zudem die Texte der Sonntagslesungen mit einer kurzen Meditation in vier bis fünf Fremdsprachen auf.1 Ich lade die Gäste jeweils auch zu den Pfarreianlässen ein. Ich stelle einen grossen Unterschied zwischen dem Wintergast und dem Sommergast fest. Der Wintergast ist sehr auf den Sport ausgerichtet und Skifahren hat ein ganz anderes Tempo als das Wandern im Sommer. So sind im Sommer tagsüber öfters Gäste in der Kirche anzutreffen, die einfach still da sind. Ich staune immer wieder, dass darunter auch viele jüngere Menschen sind. Auch Andersgläubige kommen oft in unsere Kirche. Dies merken wir besonders bei den Opferlichtern, sowohl in der Pfarrkirche als auch in den zwölf Kapellen in und rund um Zermatt.

Manchmal kommt es in der Kirche spontan zu einem Gespräch mit jemandem, der eine konkrete Frage hat, manchmal ergibt sich auch ein seelsorgliches Gespräch.
Von den Gästen erhalte ich öfters Echos auf die Gottesdienste als von Einheimischen, was verständlich ist, da die Einheimischen mich fast jeden Sonntag hören. Die Gäste reagieren oft auf Predigtworte, die sie offenbar in ihrer Lebenssituation getroffen haben.

Gibt es auch spezielle Anlässe?
Am Ostermontag feiere ich eine heilige Messe im Skigebiet, die von Alphornbläsern musikalisch mitgestaltet wird. Diese ist bei Einheimischen und auch Gästen sehr beliebt. So kam es schon vor, dass Stammgäste extra für diesen Gottesdienst nach Zermatt kamen. Im Sommer feiern wir jeweils am 5. August, am Fest Maria zum Schnee, bei der Kapelle Schwarzsee einen Berggottesdienst. Wir bieten auch eine «Kapellenwanderung» an, jeweils mittwochs von Mitte Juli bis Mitte August. Nach einer kurzen Einführung in der Pfarrkirche machen wir uns auf den Weg. Je nach Gruppengrösse und -zusammensetzung besuchen wir bis zu drei Kapellen. Zu jeder Kapelle gebe ich einige Erläuterungen, spreche ein Gebet oder lese einen Meditationstext vor. Unterwegs gibt es Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Da gibt es interessante Erlebnisse. Menschen erzählen von Schicksalen und Ereignissen, die ihr Leben geprägt haben, von Menschen, die ihnen Stütze im Leben waren, oder von solchen, die sie durch den Tod verloren haben. Am 1. August veranstaltet die Tourismusorganisation bei einem Bergsee eine Feier, in deren Verlauf auch eine Andacht zum Nationalfeiertag integriert ist. Die katholische, reformierte und anglikanische Kirche publizieren ihre Gottesdienstzeiten und Angebote auf einem Plakat, das den Hotels und den Ferienwohnungsvermietern zum Aushang zugestellt wird.

Stichwort Hochzeitstourismus?
Ja, der Hochzeitstourismus ist in Zermatt sehr aktuell. Ich habe mehr Trauungen von Gästen als von Einheimischen. Es sind vor allem Schweizer, in den letzten Jahren zunehmend aus der französischsprachigen Schweiz, dann Deutsche, Engländer und Amerikaner. Es gibt Paare, die sich in Zermatt kennengelernt haben oder aber Zermatt wegen seiner Kulisse und des Matterhorns auswählen. Für die Vorbereitung der Ehe verlange ich vom Brautpaar, dass es zunächst mit dem Seelsorger der Heimatpfarrei Kontakt aufnimmt und die nötigen Dokumente zusammenstellt. Ich selber treffe das Paar im Vorfeld zu einem Gespräch, um die Trauung vorzubereiten und um es näher kennenzulernen.

Hat sich die Tourismusseelsorge in den letzten 15 Jahren verändert?
Während der Gottesdienstbesuch der Einheimischen rückläufig ist, ist jener der Gäste in etwa gleich geblieben. Interessant ist, dass darunter auch immer wieder junge Menschen sind. Dank den Gästen sind unsere Sonntagsgottesdienste überdurchschnittlich gut besucht. So dürfen wir an einem gewöhnlichen Sonntagmorgen stets mit 200 bis 300 Gläubigen den Gottesdienst feiern. Dazu kommen die Vorabendmesse und die Abendmesse am Sonntag. Unter den Gästen habe ich immer wieder Menschen, die ein Beichtgespräch wünschen. Manche suchen die Anonymität, andere finden in den Ferien Zeit zum Innehalten und Nachdenken.

Zusammenfassend kann ich festhalten, dass die Seelsorge in einer Tourismuspfarrei viele interessante, spannende und abwechslungsreiche Momente bietet. Sie verlangt Offenheit für die Begegnung mit fremden Sprachen und Kulturen und die Freude am Kontakt mit den Mitmenschen. Im Gegenzug bedeutet sie aber auch eine Bereicherung für die Pfarrei und das Seelsorgeteam.

Interview: Rosmarie Schärer