Vom rohen Klotz zum filigranen Ochs'

Die Holzbildhauerei hat in Brienz eine lange, bis heute lebendige Tradition. Besonders die Weihnachtskrippen der Huggler Holzbildhauerei AG finden dank Einfallsreichtum und Innovation in der ganzen Welt Anklang.

Vor über 100 Jahren entwarf Hans Huggler-Wyss die Krippe Christnacht mit den ersten handgeschnitzten Krippenfiguren der Schweiz. Im Laufe der Jahre wurde die Krippe durch weitere Figuren ergänzt. Bis heute werden bei Huggler AG die Figuren in der typischen Flachschnitttechnik nach Originalmodellen in Handarbeit hergestellt. (Bild: bb)

 

Geduldig wartet der Ochse auf seinen nächsten Schnitt. Mindestens noch vier Stunden hat er sich zu gedulden, bis er sich zu den anderen Tieren und Menschen an der Krippe im Ausstellungsraum der Brienzer Traditionsbildhauerei Huggler gesellen kann oder fein eingepackt in einer Schublade auf einen geneigten Käufer warten muss. Und er ist nicht der einzige Ochse, der heute aus seinem unförmigen Holzgefängnis herausgeschnitzt wird, nein, eine ganze Herde davon wartet zu Füssen von Holzbildhauerin Priska Bieri (21) auf ihre Befreiung. Die Rohlinge aus Lindenholz werden zunächst an einer Kopierfräsmaschine vorgefertigt. Dann erst nimmt die Holzbildhauerin an ihrer Werkbank einen Meissel zur Hand, um der Figur nach und nach ihre definitive Gestalt zu geben.

Drei Frauen sitzen in der Werkstube im oberen Stock des Verkaufsgeschäfts an der Hauptstras- se in Brienz mit Blick auf den heute verhangenen Brienzersee. Es herrscht eine gemütliche, fast andächtige Stimmung, und man würde sich am liebsten dazusetzen und auch kreativ tätig werden. «Ich liebe diese Arbeit», sagt Bieri spontan, «es hat fast etwas Meditatives, passend zur Jahreszeit. Beim Schnitzen finde ich zur Ruhe und kann meinen Gedanken nachhängen. Und ja, Tiere mache ich besonders gern, egal welche.» Wohl wahr, wer an Krippenfiguren arbeitet, kommt um eine gewisse Kontemplation kaum herum, «obwohl wir zu fast 70 Prozent das Jahr über an diesen Figuren arbeiten», verifiziert die junge Frau. «So haben wir gewissermassen das ganze Jahr Weihnachten» – und schmunzelt. Den schönen Beruf mit vierjähriger Lehrzeit habe sie ergriffen, weil sie etwas mit den Händen tun wollte. «Etwas entstehen lassen, etwas kreieren, etwas Beobachtetes umsetzen und ihm eine eigene Formensprache geben, und nicht zuletzt: Holz ist ein wunderbarer, warmer und nachhaltiger Werkstoff.»

Bieris jetziger Arbeitgeber war auch ihr Lehrbetrieb, die hoch angesehene Berner Oberländer Holzbildhauerei Huggler, um 1900 von Hans Huggler-Wyss gegründet. Generationenlang blieb die Firma ein Familienunternehmen, bis 2015 Heinz Linder und seine Partnerin Ruth Fischer, seit 1996 Holzbildhauerin bei Huggler, die Firma übernahmen und im Sinne der Hugglers weiterführen, ohne aber auf kreative Innovationen zu verzichten. «Das gibt einem natürlich auch die Möglichkeit, neue Ideen einzubringen und in gewisser Weise auch auf den Markt zu reagieren», erklärt Bieri, und nimmt einen anderen Meissel zur Hand. Sorgfältig setzt sie ihn an und arbeitet die Flanke des liegenden Horntiers heraus.

Traditionelles und Modernes

Der 14 cm grosse Ochse gehört zur Weihnachtskrippe «Christnacht», die 1915 von Hans Huggler kreiert wurde. Er schuf damit einen Meilenstein in der Holzbildhauerei, wandte er sich doch von der bis dahin sehr gegenständlichen, bis ins Feinste ausgearbeiteten und im Endprodukt auch eher kostspieligen Schnitzerei ab. «Er wollte, dass sich alle Leute eine Weihnachtskrippe leisten konnten, deshalb setzte er auf eine einfachere, weniger aufwendige Schnitztechnik, den Flachschnitt. So wurden die Figuren auch für weniger gut betuchte Leute erschwinglich», erklärt die Fachfrau. Die neuartigen Krippenfiguren, unterdessen umfasst das Sortiment allein für «Christnacht» 260 verschiedene Figuren, kamen an. Die volksnah gestalteten Menschen und verschiedenen Tiere sind bis heute sehr gefragt und werden in alle Welt verschickt. Besonders in Deutschland sei die Nachfrage sehr gross, bekräftigt Bieri, und nimmt nach einem genauen Blick auf das vor ihr stehende Ochsenmodell einen neuen Meissel zur Hand, um sich an die Ausarbeitung der Hörner und Ohren ihres Ochsen zu machen. Nicht weniger als 16 verschiedene Grössen (von 12 bis 63 cm) sind erhältlich, und das in verschiedensten Krippen-Interpretationen, die so klingende Namen wie «Palästina» (12 cm), «Weihnacht» (22 cm) oder «Christmas» (32 cm) haben. Auch unterscheiden sich die Krippenfiguren in ihrer Machart, manche sind eher abstrakt und roh, andere mehr oder weniger gedeckt eingefärbt. 16 Mitarbeitende beschäftigt der Betrieb insgesamt, darunter zwei eigens in der Malerei, und auch immer wieder Lehrlinge. «Wer die Natur liebt, eine gute Beobachtungsgabe hat und natürlich auch ein gewisses Vorstellungsvermögen und Talent, kann mit einer Holzbildhauerlehre nur gewinnen», ist Bieri überzeugt. Und: «Natürlich machen wir auch Sonderanfertigungen, je nach Kundenwunsch. Viele unserer Krippen- figuren bevölkern auch etliche Schweizer Kirchen zur Weihnachtszeit.»

Schnitzen denn Frauen anders als Männer? Auf diese Frage herrscht unter den Frauen zuerst leicht betretenes Schweigen, dann aber ergreift Co-Chefin Ruth Fischer das Wort: «Ich denke schon. Frauen arbeiten vermutlich filigraner oder detaillierter, haben etwas mehr Feingefühl und gehen mit viel Herz an die Sache heran.» Das ist genau der Punkt, denn obwohl immer dieselben Figuren geschnitzt werden, sehen alle individuell aus. Dies beweist ein Blick in eine Verkaufsschublade, wo auf den ersten Blick zwar jeder Ochse gleich aussieht, auf den zweiten oder dritten aber jeder eine individuelle Note hat, mal kecker, mal müder dreinschaut, exakt wie in der Natur. Kenner können sogar unterscheiden, von welchem Holzbildhauer eine Figur stammt. «Das kann eben nur Handarbeit, und deshalb macht es auch Sinn, nach Brienz zu kommen und sich die Figuren selbst auszuwählen, wenn man eine Krippe kaufen oder sie mit weiteren Figuren bestücken will», ergänzt Bieri. «Die einen sprechen einen mehr an, die anderen weniger.»

Lamas, Ziegen und Elefanten

Im Ausstellungsraum, wo sich die verschiedenen Krippen eingehend betrachten lassen, fallen die vielen Tiere auf. Besonders bei der «Christnacht», die einen leicht orientalischen Touch hat, stechen Dromedare, Kamele, Gämsen, Lamas, Pferde, Hunde, Katzen, Esel, Hühner und sogar Elefanten ins Auge. «Tiere gehören einfach zur Krippe dazu, und mit der Kreation von neuen Tieren reagieren wir nicht nur auf Kundennachfragen, sondern auch auf die Umwelt, wo zum Beispiel Lamas oder Alpakas schon länger zum gewohnten Bild auf unseren Weiden gehören», erklärt Co-Inhaber und Geschäftsführer Heinz Linder. «Natürlich besprechen wir zuerst, ob und welche Figuren – Mensch oder Tier – neu zu einer Krippe hinzukommen sollen, aber Inputs und Ideen können alle unsere Holzbildhauer liefern, ja sie sind geradezu angehalten, dies zu tun. So entwickeln wir die traditionelle Holzbildhauerei weiter und bleiben für den Markt attraktiv.»

Der liegende Ochse indes schaut seiner Vollendung entgegen. Vorsichtig legt Priska Bieri abermals einen anderen Meissel an und fährt dem Rind vorsichtig den Rücken entlang. Ein weiterer Span fällt zu Boden. Und Weihnachten rückt näher. Auch für den Ochsen.

Brigitte Burri

 

Holzbildhauerei
Die ältesten Holzbildhauerarbeiten gehen auf die Jahre 506 und 915 zurück. Viele gut erhaltene Holzbildhauerarbeiten, meistens aus Eichenholz, stammen aus der Früh- und Spätgotik und zieren heute noch Kathedralen und Kirchen. Als Zeugen der damali- gen Stilart stellen sie meistens religiöse Motive dar und zieren Kirchenaltäre in unserem Land. Die Holzbildhauerei – in kirchlichen und weltlichen Kulturzentren längst zum Kunsthandwerk gediehen – ist im 17. Jahrhundert im ganzen alpenländischen Raum nachweisbar und im Berner Oberland, insbesondere in Brienz, besonders verwurzelt und ein vielschichtiges Phänomen, das untrennbar mit der Geschichte des Schweizer Tourismus ver- bunden ist. Als Botschafterin der Schweiz prägte die Brienzer Holz- bildhauerei besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert für zahl- lose Alpentouristen das Bild der Schweiz. Selbständige Holzbild- hauereibetriebe, die Souvenir- artikel und auch anspruchsvolle Auftragsarbeiten ausführen, sind Zeugen der Fortführung dieser Tradition. (Quelle: www.museumholzbildhauerei.ch)

Kontakt
Huggler Holzbildhauerei AG Hauptstrasse 64, 3855 Brienz, Tel. 033 952 10 00. www.huggler-holzbildhauerei.ch

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