Das Krokodil an der Krippe

Krippendarstellung aus Papua-Neuguinea. (Bild: Haus der Völker und Kulturen)

 

Adventszeit, Weihnachtszeit, Krippenzeit! Landauf, landab werden an vielen Orten Krippen ausgestellt: einheimische oder solche aus fernen Ländern. Neugierig, andächtig und staunend betrachten die Besucher die originellen und schmucken, mit Sorgfalt und Liebe angefertigten Krippen. Im Museum «Haus Völker und Kulturen» der Steyler Missionare in St. Augustin* werden auch jährlich unzählige Exponate aus aller Welt gezeigt. Rund 1200 Personen besuchen jeweils an den Wochenenden im Dezember und Anfang Jahr die aktuelle Krippenausstellung. Sie präsentiert einen Ausschnitt aus der sehr umfangreichen und vielseitigen Krippensammlung. Diese gibt einen spannenden Einblick in die Verbindung von Glaube, Kunst und Kultur der jeweiligen Völker. Farbenfrohe peruanische Weihnachtsdarstellungen aus Pappmaschee, Krippen aus gebranntem Ton, aus Porzellan, Glas, Stein, Ebenholz, Maisblättern, Kokosnuss, Kürbis, Bonbonpapier, Tierhorn, Wachs oder einfach aus verknoteten Garnen, Kronkorken oder Eierschalen sind hier anzutreffen. Oft findet auch der Alltag Eingang in die Weihnachtskunst, so wie bei der in einer Mechanikerwerkstatt erstellten Krippe aus Burkina Faso, in der das Vieh, aus Zündkerzen und Altmetall angefertigt, das Jesuskind bewundert. Die Kunstwerke spiegeln die Lebensumstände der Menschen im Herkunftsland und die einheimische Fauna. Statt Ochs, Esel und Schafe sind in afrikanischen Krippen oft Kamele oder Elefanten anzutreffen, in lateinamerikanischen hingegen Lamas oder das Rind mit dem Kondor, in papua-neuguineischen wiederum Schildkröten, Krokodile und Laufvögel.

SKZ in Zusammenarbeit mit Jerzy Skrabania

Krippendarstellung aus Papua-Neuguinea (Bild oben)
Das Tonrelief stammt aus der Künstlergruppe um Leo Kome aus der Pfarrei Kambot, Keram. Hier wird das Kind von Maria im Garten geboren, wie dies bei «normalen» Geburten in diesem Landstrich auch der Fall ist. Josef fehlt, weil die Frauen ihre Kinder allein zur Welt bringen. Jesus wird von Vögeln, Fischen, Schildkröten und dem heiligen Krokodil empfangen, angebetet und versorgt. Das Krokodil spielt im Ursprungsmythos des Volkes der Iatmul eine wichtige Rolle: Aus seinem Kot entstand die Erde. Das Krokodil ist darüber hinaus ein Symbol für Stärke und Klugheit. Traditionell wird das neugeborene Kind, wenn es die ersten drei bis vier Monate überlebt, zum Stall gebracht, in dem sich die initiierten Männer des Stamms versammelt haben, um das Kind als Stammesmitglied anzuerkennen. In der Tradition werden die jungen Männer durch die Initiationsriten zu Nachkommen der Krokodilfrau «Kanda» und im Geisterhaus über Monate in die Geheimnisse des Clans eingeweiht, um schliesslich als erwachsene Männer hinaus in den Fluss zu kriechen. Ihre Narben erinnern an den geschuppten Panzer des Krokodils. Auf dem Relief reiten die Heiligen Drei Könige weder auf Kamelen noch Pferden, sondern auf Kasuaren (Laufvögeln) zum Stall, der von einem Stern erleuchtet ist. Dieser symbolisiert Gott. So wird das neugeborene Kind als Menschen- und Gottessohn anerkannt.

Tonkrippe aus Bolivien (Altiplano; Bild siehe Bonusbeitrag "Krippenbilder")
Die Krippe wurde von Quintin Mamani Quispe, einem Bauer aus dem Dorf K’Kara pata Alta in der Nähe des Titicacasees, hergestellt. Die Keramikkunst kennt in dieser Region eine jahrtausendealte Tradition. Die vorliegende Krippe ist eine Darstellung im Stil der Protestkeramik, die gerade von professionellen einheimischen Künstlern stark vertreten wird. Weihnachten wird nicht als ein liebliches Fest präsentiert, die Not der Menschen soll zum Ausdruck gebracht werden. Entsprechend sind die Gesichter und Hände der Figuren stark expressiv. An ihnen sind die harten Lebensbedingungen der Menschen abzulesen, so auch bei Maria und Josef. Deren Kleidung hingegen entspricht spanischer Tracht. Das Jesuskind ist spärlich bekleidet, was erstaunt, da es auf der Hochebene sehr kühl sein kann und die Kinder deshalb immer warm angezogen sind. Vermutlich liess sich der Künstler von Fotos anderer, nicht einheimischer Krippen beeinflussen. Auffallend ist auch, dass die Heiligen Drei Könige auf Kamelen reiten, die in Lateinamerika nicht anzutreffen sind.

Stier mit Kondor, Detail aus einer Tonkrippe aus Bolivien (Altiplano; Bild siehe Bonusbeitrag "Krippenbilder")
Bemerkenswert ist der Kondor auf dem Rücken des Stiers. Der Kondor ist der Raubvogel der Anden. Für die Aymara, ein indigenes Volk, das im Andenraum unter anderem auf dem Altiplano in Bolivien lebt, ist er ein göttlicher Vogel, der Herr der Tierwelt. Als göttlicher Vogel darf er bei keiner Krippe fehlen. Zugleich ist er als Wappentier ein nationales Symbol: Er ist Symbol der königlichen Macht und der Stammesältesten. So trägt der Häuptling des Dorfes den Titel: Condor Mallku. Der Stier selber entstammt ursprünglich nicht der einheimischen Tierwelt. Er wurde von den Spaniern im 16. Jahrhundert mit Schiffen über den Atlantik transportiert und vor Ort gezüchtet.

Bunt bemalte Kleinkrippe aus Bolivien; Bild siehe Bonusbeitrag "Krippenbilder"
Bolivien, aber auch Peru sind bekannt für farbenfrohe Kunsthandwerke. Bei dieser Krippe tragen das Jesuskind und Josef die typische Mütze der Indios. Josef ist in einen Poncho (= Luchu) gekleidet, während Maria wie die indigenen Frauen viele Röcke übereinander angezogen hat. Ihr Kopf und ihre Schultern sind mit einer Manta (= Tuch) bedeckt. Zur Krippe kommen Schaf, Kuh und Lama. Sie alle dienen der Lebensversorgung und -erhaltung der Indios. Das Lama ist aber das wichtigste Tier unter ihnen, das für alle Bereiche des Lebens Sorge trägt.

 

 

* Das Haus Völker und Kulturen ist das kunst-religionsethnologische Museum der Steyler Missionare in St. Augustin (D). Es beherbergt Kunst- und Kultobjekte aus aller Welt. Der Sammlungsschwerpunkt liegt vor allem auf Westafrika und Sepik – Papua-Neuguinea. Die Objekte stammen zum Teil aus den Nachlässen der Steyler Missionare. Das Anfang der 1970er-Jahre erbaute Haus bietet Anschauungs- und Dokumentationsmaterial für Studierende und Forschungsmaterial für Wissenschaftler. Mit Ausstellungen und Führungen wird der breiten Öffentlichkeit Zugang zu den Schätzen des Museums geschaffen. www.haus-voelker-und-kulturen.de


Jerzy H. Skrabania

P. Prof. Dr. Jerzy H. Skrabania SVD (Jg. 1957) studierte Philosophie in Pieniežno (PL) und Theologie in Mödling (A) und promovierte in Kirchengeschichte an der kath. Universität Lublin. Er ist seit 2010 Professor für Kirchengeschichte an der phil.-theol. Hochschule St. Augustin und Dozent für Kirchengeschichte II am Interdiözesanen Seminar St. Lambert sowie Direktor des Hauses Völker und Kulturen St. Augustin.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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