Vom richtigen Verhältnis

29. Sonntag im Jahreskreis; Sonntag der Weltmission: Mt 22,15–21

Der Ort des Geschehens ist Jerusalem. Das Paschafest steht unmittelbar bevor. Für Jesus spitzt sich die Lage zu. Nicht nur mit seiner heftigen Aktion im Tempel (Mt 21,12–17) hat er Staub aufgewirbelt. Gerade im Vorfeld des grosses Festes, zu dem Massen jüdischer Pilger erwartet werden, ist Unruhe gar nicht erwünscht.

Das Umfeld

Die Perikope ist eingebettet zwischen dem Gleichnis vom Himmelreich als dem geringgeachteten Hochzeitsmahl (22,1–14) und drei weiteren Fragen (22,23–46) an Jesus. Sie folgen einer geschickt gewählten Dramaturgie. Nach der Steuerfrage kommen die Sadduzäer mit ihrer Frage zur Auferstehung zu Jesus. Dann treten die Pharisäer persönlich auf und fragen nach dem wichtigsten Gebot. Die vierte, die Messias-Frage, stellt Jesus gleich selber. Seine Antwort lässt die Pharisäer dermassen verstummen, dass sie wenigstens an diesem Tag nicht mehr wagen, weitere Fragen zu stellen.

Eine Chance für die Pharisäer

In der angespannten Lage in Jerusalem sehen die Pharisäer die willkommene Gelegenheit, Jesus mit der Steuerfrage in eine Falle zu locken. Unabhängig davon, wie er sich entscheidet, soll er sich entweder die Römer oder die Zeloten zum Feind machen. Die Pharisäer wollen sich zunächst lieber nicht exponieren. Sie schieben ihre Schüler1 und die Anhänger des Herodes vor.

Jesus entrinnt der Falle, indem er von ihnen eine «Steuermünze» verlangt. Dass die Schüler einen Denar bei sich haben, entlarvt sie bereits. Der Denar ist nicht einfach eine Münze, sie ist die Steuermünze schlechthin. Sie gehört mehr als andere Münzen dem Kaiser, denn genau in der Höhe eines Denars (etwa ein Tagesverdienst) wird die Kopfsteuer eingezogen. Wer bezahlt, anerkennt den Kaiser, der sich auf der Münze nicht nur als Herrscher darstellt, sondern seiner Abstammung göttliche Attribute zuweist (Tiberius Caesar Divi Augusti Filius Augustus).2 Für das monotheistische Judentum war das ein Affront. Die Kopfsteuer war in Palästina deshalb sehr umstritten und führte im Jahr 6 zum heftigen Widerstand zelotischer Kreise (Aufstand des Galiläer Judas).3

Die Antwort: «So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!», trennt die Steuerfrage von der Glaubensfrage. Jesus weist damit elegant den göttlichen Anspruch Tiberius’ von sich, indem er dem Steueranspruch des Kaisers den wirklich göttlichen Anspruch entgegenstellt. Das ist sehr geschickt gelöst und macht die Schüler wortlos (vgl. Vers 22).

Eine zweite Erzählebene

Matthäus will sein Evangelium für seine Gemeinde verständlich machen. Für sie ist das Verhältnis zum römischen Staat ein durchaus brisantes Thema. Zu Lebzeiten Jesu – das wissen wir heute – wurde in Judäa die Kopfsteuer mit dem tyrischen Schekel bezahlt.4 Matthäus nimmt jedoch den Denar, weil er in seiner Gemeinde die Symbolkraft der Steuermünze besass. Dass sich Tiberius darauf als Sohn des göttlichen Augustus bezeichnet, ergibt für die jungen Christengemeinden eine zusätzliche Spitze. Matthäus will nicht einfach alte Geschichten erzählen, sondern mit dem Jesus-Wort auf aktuelle Fragen Bezug nehmen.

Vom richtigen Verhältnis

Will sich Jesus einfach nur als brillanter Redner hervortun? Wohl kaum. Vielmehr will er damit sagen, dass wir uns als Gläubige nicht einfach der weltlichen Verbindlichkeiten entledigen können, auch dann nicht, wenn wir dafür religiöse Gründe finden können. Er lässt Weltliches weltlich sein, auch wenn es sich den Anstrich des Göttlichen gibt. Er lässt sich nicht auf ein Entweder-Oder-Spiel ein, sondern setzt beide Verpflichtungen in das richtige Verhältnis.

Und wir?

«… gebt Gott, was Gott gehört», kann auch als Anfrage an uns verstanden werden. Sind wir bereit, Gott zu geben, was Gott gehört? Sind wir bereit, in dem Masse Energie, Zeit, Engagement und schliesslich auch Geld für die Sache Gottes aufzuwenden, wie wir bereit sind, zu arbeiten, um Steuern zu zahlen? Und was gehört dann Gott? Sind es mit der ganzen Schöpfung nicht auch wir selbst? Wir sind geschaffen nach seinem Abbild, gewollt und geliebt. Das gibt jedem Menschen eine unveräusserliche Würde. Diese kann kein Kaiser schaffen und darf kein Kaiser antasten. Wenn wir uns und unseren Mitmenschen diese Würde zugestehen, dann geben wir «Gott, was Gott gehört».

Wirkungsgeschichtlich wurde der Text immer wieder für die Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat herangezogen. Die Idee, dass Kirche und Staat sich unabhängig gegenüberstehen, ist neueren Datums und längst nicht unbestritten. Auch nach der konstantinischen Wende blieb der Kaiser der Pontifex Maximus und fühlte sich durchaus für religiöse Angelegenheiten zuständig. Im ersten Jahrtausend wurden alle ökumenischen Konzile von Kaisern einberufen. Über das Verhältnis kirchlicher und weltlicher Gewalt wurde über Jahrhunderte debattiert und gestritten.

Der Evangelientext wird am Weltmissionssonntag gelesen, den Papst Pius XI. 1926 als «Tag des Gebetes und Werbung für die Missionen» eingeführt hat. Er ist heute ein Sonntag der weltkirchlichen Verbundenheit. Längst sind die sogenannten Missionsgebiete zu Ortskirchen geworden. Ein grosser Reichtum ist entstanden, deren Schatz es zu heben gilt. Wir können viel voneinander lernen. Zum Weltmissionssonntag gehört auch das – neben dem Peterspfennig – einzige weltweit aufgenommene Opfer. Auch hier geht es um das richtige Verhältnis. Fast könnte man sagen: Gebt der Ortskirche, was der Ortskirche gehört, und der Weltkirche, was der Weltkirche gehört. Ein bisschen verkürzt, zugegeben, aber auch nicht ganz falsch. Wenn wir unsere schönen Kirchen pflegen, sollten wir nicht vergessen, dass Mitchristen andernorts – wie ich es selber erlebt habe – den Gottesdienst durch das Fenster mitfeiern müssen, weil der Gottesdienstraum schlicht zu klein ist, um die Gläubigen aufzunehmen!

Mit dem Wort «So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!» hat Jesus nicht einfach eloquent den Kopf aus der Schlinge gezogen, sondern uns vor eine knifflige Herausforderung gestellt.

 

1 Nach Manfred Diefenbach (vgl. http://www. perikopen.de/Lesejahr_A/29_iJ_A_Mt22_15- 22_Diefenbach.pdf, [Stand 25. 9. 2017]) war das zur Zeit Jesu nur bei Sadduzäern üblich.

2 Rudolf Schnackenburg: Matthäusevangelium 16,21–28,20. In: J. Gnilka, R. Schnackenburg (Hrsg.): Die Neue Echte Bibel: Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung Bd. 1/2, Würzburg 21994, 213.

3 Ebd. 212.

4 In Palästina gab es römische Denare erst ab dem Jüdischen Krieg: 66–70 n. Chr. Bis dahin wurde die Kopfsteuer mit tyrischen Schekeln bezahlt (dort ist kein Kaiser drauf). Vgl. Siegfried Ostermann: Der Denar – die Münze für die Kaisersteuer? In: Gerd Theissen u. a. (Hrsg.): Jerusalem und die Länder: Ikonographie – Topographie – Theologie. Göttingen 2009, 52 f.

Martin Brunner-Artho

Diakon Martin Brunner-Artho ist Direktor von MISSIO (Internationales Katholisches Missionswerk) mit Sitz in Fribourg.