«Lass den Ort auf dich wirken»

Bischof Robert Miranda, Diözese Gulbarga, Indien

Im Weltmissionsmonat stellt Missio eine Gastkirche vor. In diesem Jahr ist es die Diözese Gulbarga im Süden Indiens. Geleitet wird die erst 2005 gegründete Diözese von Bischof Robert Miranda.

Als Gast von Missio ist Bischof Miranda im Oktober in der Schweiz unterwegs und wird von seinen Erfahrungen in einem multireligiösen Kontext berichten. Seine Diözese ist ein Beispiel von einer Kirche im Aufbau. Im Weltmissionsmonat wird besonders diesen Kirchen im Aufbau ein besonderes Augenmerk geschenkt, denn sie sind auf unsere Solidargemeinschaft angewiesen.

Wie in den Anfängen der Kirche

Wer mit Bischof Robert Miranda ins Gespräch kommt, fühlt sich zurückversetzt in die Anfänge der Kirche – und ist doch im 21. Jahrhundert. Als junger Priester kam er 1982 in die Stadt Gulbarga und war dort als erster katholischer Missionar tätig. Gut 20 Jahre später wurde er auch ihr erster Bischof. Die Diözese ist über 32 000 km2 gross und hat etwa 7,7 Mio. Einwohner. Nur etwa 8000 Menschen gehören zur katholischen Kirche.

Am Anfang der «Mission in Gulbarga» stand eine Anfrage seines Heimatbischofs von Mangalore: «Willst du nicht als Missionar nach Gulbarga gehen?» Gulbarga ist etwa 1000 km von Mangalore entfernt, was der Strecke von Freiburg nach Berlin entspricht. Die Stadt mit einer halben Million Einwohnern war «katholisches Niemandsland» mit den Hindus als grösster Glaubensgemeinschaft (60 Prozent), gefolgt von den Muslimen (37 Prozent); auf dem Land überwiegt der Anteil der Hindus noch mehr. Dort sollte seine Mission beginnen. Gerade mal vier Familien waren katholisch. Die kannte der Bischof von Mangalore. Wegen ihrer Arbeit hatten sie sich dort niedergelassen. Sie waren der Anknüpfungs- und Ausgangspunkt für die missionarische Tätigkeit und den Aufbau der Kirche.

Präsent sein mit offenen Augen und Ohren

Wie fing Miranda in diesem Kontext mit Mission an, wie verkündete er das Evangelium? Zunächst einmal wollte er nicht allein arbeiten, sondern im Team. Seinem Bischof hatte er abgerungen, dass er immer mit mindestens einem Gefährten – Priester oder Seminarist – in Gulbarga leben konnte. Im Rückblick auf diese Zeit verheimlicht Miranda nicht, dass diese Anfangszeit schwierig war: «Unsere Gemeinschaft am Sonntag bestand aus 20 Katholikinnen und Katholiken.» In dieser ersten Phase ging es einfach darum, präsent zu sein und Kontakte aufzubauen. Der Auftrag war auch klar: «Während des ersten Jahres tust du nichts und lässt den Ort auf dich wirken.»

Im Mitleben mit den Leuten erkannte er nach und nach die Bedürfnisse vor Ort und wo die katholische Kirche aktiv werden musste: bei den Armen und Kranken, besonders den HIV/ Aids-Kranken, bei Arbeitslosen und bei Kindern, die aus dem Schulsystem gefallen waren oder arbeiten mussten. Das wurden die Schwerpunkte der Arbeit in der Diözese Gulbarga. Ein Beispiel: Die 21 von der katholischen Kirche gegründeten Schulen befinden sich alle auf dem Land; sie stehen allen Kindern unabhängig von ihrer Religion offen. Mit den Schulen auf dem Land leistet die Kirche auch Entwicklungsarbeit.

Miranda konnte quasi Neuland unter die Füsse nehmen; er musste auf keine alten Zöpfe Rücksicht nehmen. Den Rücken hatte er frei, denn er hatte die Unterstützung seiner Heimatdiözese und die der Weltkirche.

Mission bekehrt

Das Evangelium einfach zu verkünden, war unmöglich, denn auf dem riesigen Gebiet der Diözese haben viele Menschen noch nie etwas von Jesus gehört. «Für sie ist wichtig zu sehen, was wir für die Leute tun. Ich stelle mich also in ihren Dienst, setze das um, was Jesus uns gelehrt hat. Ich versuche, ein Beispiel zu sein.» Hinter dieser Erfahrung steckt ein Lernprozess, denn zu Beginn seiner Tätigkeit hatte Miranda noch die Überzeugung, «dass Mission heisst, das Evangelium zu verkündigen und vor allem neue Katholikinnen und Katholiken zu gewinnen». Im Kontakt mit den anderen Religionen geht es weder um Anbiederung noch um Proselytismus. Bis zu sieben Jahre kann ein Katechumenat dauern. «Wenn wir wollten, könnten wir heute mehr als dreissigtausend Katholiken haben», erklärt Bischof Miranda. «Aber es geht uns nicht um Zahlen. Wir wollen überzeugte und aktive Christen.» Nicht alle sind den Christen wohlgesinnt, und so gilt es auch hier, nicht naiv tätig zu sein.

Sorge für die Armen

Ein Blick in die Statistik der Diözese Gulbarga zeigt, dass mehr als die Hälfte der Familienhäupter (so sind sie in der Statistik erfasst) Tagelöhner sind. Das durchschnittliche Einkommen ist bei zwei Dritteln der Katholiken unter 150 Franken pro Monat. Ein grosser Teil gehört auch zu den untersten Kasten, also den sozial benachteiligten Gruppen. Gulbarga ist wirklich eine Kirche der Armen! Sie vertrauen auf die Solidargemeinschaft der Weltkirche.

«Nur sollten wir an die Armen denken» (Gal 2,10a)

Diese Solidarität unter den Ortskirchen in aller Welt gibt es schon seit den Anfängen des Christentums. Bemerkenswert ist dabei die Kollekte für Jerusalem, die in den paulinischen Gemeinden durchgeführt wurde. Sie war für die bedürftigen Schwestern und Brüder in Jerusalem bestimmt. Dieses Projekt der Sammlung hat Paulus umgetrieben, und an verschiedenen Stellen erwähnt er seine Sorgen und Überlegungen, die auch heute noch dazu anregen, sich über den Umgang mit Geld Gedanken zu machen.

Am Beginn der Sammlung dürfte die Vereinbarung vom Apostelkonzil in Jerusalem (49 n. Chr.) sein, dass Paulus bei der Verkündigung des Evangeliums die Armen nicht vergessen solle: «Und das zu tun, habe ich mich eifrig bemüht.» (Gal 2,10b) Im Hintergrund steht wohl die fragile Beziehung zwischen der Gemeinde in Jerusalem und den paulinischen Gemeinden. Für Paulus ist deshalb die Sammlung ein Ausdruck von Gemeinschaft, von Einheit zwischen Judenchristen und Heidenchristen; alle Gemeinden sind gleichrangig in der jungen Kirche.

Ausgleich der Gaben und Lob Gottes für die Einheit der Kirche

Es geht Paulus zunächst um einen materiellen Ausgleich, um eine Notsituation zu überwinden: «Denn es geht nicht darum, dass ihr in Not geratet, indem ihr anderen helft; es geht um einen Ausgleich. Im Augenblick soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft.» (2 Kor 8,13–14). Es ist hier schon angedeutet, dass dieser Ausgleich in beiden Richtungen geht, wenn auch zeitlich verschoben.

Der Ausgleich betrifft nicht nur die materiellen Güter; er schliesst auch die geistlichen Gaben ein, denn beide dienen dem Aufbau der Gemeinde. Über die Sammlung in Mazedonien und Achaia «als Zeichen ihrer Gemeinschaft für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem» schreibt der Apostel in Röm 15,27: «Ja, das haben sie beschlossen, und sie sind auch deren Schuldner. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil erhalten haben, so sind sie auch verpflichtet, ihnen mit irdischen Gütern zu dienen.» In der Perspektive der Paulus profitieren beide Seiten, Geber und Empfänger, aber auf unterschiedliche Weise.

Die Sammlung hat noch einen weiteren Aspekt: Sie führt zum Lob Gottes, das die Differenzen zwischen der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem und den paulinischen Gemeinden überwinden kann: «Denn dieser heilige Dienst füllt nicht nur die leeren Hände der Heiligen, sondern wird weiterwirken als vielfältiger Dank an Gott.» (2 Kor 9,12)

Die Feier vom Weltmissionssonntag mit der weltweiten Kollekte steht genau in dieser Tradition: Sie will einen Ausgleich herstellen, die materiellen und geistlichen Güter teilen und mit dem Gebet einstimmen in das Lob Gottes, um so zur Einheit zu führen.

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Der Weltmissionssonntag 2017 wird am 22. Oktober gefeiert. Gastkirche ist Indien.

Millionen Menschen sind am Sonntag der Weltmission im Gebet miteinander verbunden. In allen katholischen Pfarreien und Gemeinden der Welt wird an diesem Tag eine Kollekte für die bedürftigen Glaubensbrüder und -schwestern eingezogen. Damit ist der Sonntag der Weltmission die grösste Solidaritätsaktion der Welt.

 

 

Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann ist zuständig für die PR Bereich Weltkirche bei Missio, dem internationalen Missionswerk in Freiburg.